Mode:Schwebend leichte Weiblichkeit

Clare Waight Keller

Clare Waight Keller probiert ihre Kleider selbst an, bevor sie auf den Laufsteg kommen.

(Foto: Hugues Laurent)

Als Designerin bei Chloé trifft Clare Waight Keller seit fünf Jahren genau den richtigen Ton. Wie macht sie das bloß? Ein Treffen in ihrem Atelier.

Von Tanja Rest, Paris

Die Frage war, ob sich das verwöhnte Chloé-Girl die Finger wahrhaftig mit Motoröl einsauen würde, und jetzt natürlich hochinteressant zu beobachten, wie sie reagiert. Sie lacht. Es ist kein höfliches Überbrückungslachen, sondern kommt laut und wirklich etwas angedreckt von weit unten. Was angesichts der eleganten Erscheinung, die da in fliederfarbenem Tweedrock und Seidenbluse vor einem sitzt, schon mal sehr schwer in Ordnung ist. Clare Waight Keller weiß natürlich ganz genau, dass das Geschöpf, für das sie designt, bei aller frivolen Abenteuerlust niemals ein Motorrad besteigen und alleine um die Welt brettern würde. Wenn es sich mit Dreck bespritzt, dann auf Coachella oder beim Glastonbury-Festival, und auch dort nur auf den besseren Plätzen. Frage also schon mal Volltreffer. Na ja, fast.

"Andererseits", sagt sie jetzt nämlich mit verschwörerischem Wir-Mädels-müssen-zusammenhalten-Blick, "warum eigentlich nicht . . .? Meine Freundinnen mögen Chloé, weil es sie an eine Zeit in ihrer Jugend erinnert. Als man noch Dinge tat, die spontan waren und ein bisschen verrückt. Das war doch großartig, nein?"

"Ihr Plan war simpel, er lautete: Ich möchte etwas Großartiges tun."

Sechs Tage zuvor war der Laufsteg im Grand Palais eine Piste aus getrocknetem Lehm. Auf den Plätzen saß das Pariser Modewochenpublikum so tiefenentspannt, wie es nur Leute sein können, die ahnen, dass man wieder etwas besonders Schönes für sie vorbereitet hat, an dem sie sich später nicht abarbeiten müssen. Es kamen die Ponchos. Es kamen die wogend bunten Hippiekleider und gerüschten Chiffonblusen, die man so oder so ähnlich schon oft gesehen hatte. ("Aber was würden Sie sagen, wenn ich die Kleider und Chiffonblusen weggelassen hätte? Sie würden sagen: Das sah aber diesmal gar nicht nach Chloé aus!") Und es kamen die Motorradsachen, also Latzhosen, Bikerjacken und knöchelkurze Lederröhren, und sie waren so irre elegant gearbeitet, dass man Angst um sie bekam, wegen der Lehmpiste. Dann Auftritt der Designerin: abgeschnittene Jeans, Jeanshemd, Riesenbrille mit Goldrahmen. Befreites Winken. Donnernder Applaus.

Hinterher gelangte man in den Backstagebereich, ohne den Türsteher quasi niederschlagen zu müssen (unüblich). Die Designerin beantwortete grundfreundlich die Fragen aller, nicht nur die der offiziell wichtigen Großkritiker wie Suzy Menkes und Tim Blanks (sehr, sehr unüblich). Neben ihr an der Wand stand das Mood Board, die Foto-Pinnwand mit den Inspirationen für die Kollektion: eine Frau auf einer Motocross-Maschine, wehendes Haar, herausfordernder Blick, spektakulär schön. Anne-France Dautheville, Tochter aus bester französischer Familie, startete 1972 ihren Trip um die Welt und schrieb ein längst vergessenes Buch - das eines Tages Clare Waight Keller in die Hände fiel.

Im Chloé-Erfolgsrezept, das grob heruntergekocht achtzig Prozent schwebend leichte Weiblichkeit vorsieht, also fließende Stoffe, wallende Volants, tanzende Troddeln und all so was, stand das Mood Board für die zwanzig Prozent maskuliner Würze, die letztendlich diesen lässigen Pariser Chic ergeben. "Ich habe nach einer Jungs-Haltung für diese Kollektion gesucht und Madame Dautheville gefunden", erklärte die Designerin backstage und blinzelte grundfreundlich durch die Nerd-Brille. "Ihr Plan war simpel, er lautete: Ich möchte etwas Großartiges tun."

Eine knappe Woche später ist im Chloé-Headquarter an der Avenue Percier immer noch die Hölle los. Im dritten Obergeschoss hängt die Kollektion, von vielen Augen begutachtet und unzähligen Händen befummelt; Mitarbeiter hämmern an blendend weißen Schreibtischen die Bestellungen der internationalen Einkäufer in die Tastatur. Zwei Stockwerke darüber im Designtrakt: klösterliche Stille. Ihr Büro ist erwartungsgemäß hell, feminin und nicht zu aufgeräumt. Überall Nippes, Fotos, Blumen, auf dem Boden Bücherstapel. Die erste Frage stellt sie gleich mal selbst: "Und, wie ertragen Sie den Modewochenwahnsinn? Die Fashion-Zombies? Ich bin so froh, dass wir mit Chloé ganz am Anfang dran sind, da kann ich am Wochenende fliehen. Und egal, wo ich hinfahre, keiner ist da, weil alle hier sind. Herrlich!"

Clare Waight Keller, 45, ist gleich auf den ersten Blick der Typ Frau, der in der Schule von den Jungs und den Mädels gemocht wurde. Offenes, zugewandtes Gesicht, man sieht viel Humor darin und Gelassenheit, an diesem Tag aber auch Erschöpfung. Die Show ist kaum rum, und sie arbeitet schon längst wieder an der Zwischenkollektion fürs Frühjahr, die in Kürze ausgeliefert wird und den eigentlichen Umsatz macht, weil sie nicht nur sechs Wochen im Laden hängt, sondern sechs Monate. Vier Kollektionen im Jahr, von denen immer zwei parallel entstehen - wie schafft sie das? "Oh, ich bin top organisiert. Ich konzentriere mich. Ich schreibe To-do-Listen. Und ich versuche wirklich, wirklich pragmatisch zu sein."

Clare Waight Keller

"Mit dem Frauenbild auf den Laufstegen tue ich mich manchmal schwer. Ich habe männliche Designer schon gefragt: Wer ist diese Frau? Ich kenne die nicht!"

Schon der vierte Brit-Import für ein urfranzösisches Haus

Sie ist in Birmingham in eine bodenständige Familie hineingeboren worden, der Vater Ingenieur, die Mutter Sekretärin. Nach dem Abschluss am Royal College of Art ging es einmal rund um den Planeten Mode, von Calvin Klein zu Ralph Lauren zu Gucci zu der etwas angestaubten Strick-Marke Pringle of Scotland, die sie als Chefdesignerin komplett umkrempelte und modernisierte. Im Mai 2011 fing sie bei Chloé an. Sie ist nach Stella McCartney, Hannah MacGibbon und Phoebe Philo kurioserweise schon der vierte Brit-Import für dieses urfranzösische Haus. Übrigens keine kleinen Fische, ihre Vorgängerinnen. Aber sie schlägt sie alle.

Der Erfolg kam schnell und scheinbar mühelos. Chloé-Taschen wie die "Drew" oder die "Marcie" sind heute geborene Bestseller, und wenn man im Geschäft an der Rue Saint-Honoré den Kundinnen zusieht, wie sie die Crêpe-de-Chine-Blusen, Spitzen-Tops und weichen Denim-Kleidchen durch die Finger gleiten lassen, blickt man in Augen voller Sehnsucht. "Mit dem Frauenbild auf den Laufstegen tue ich mich manchmal schwer", sagt Waight Keller, "da ist so viel Künstlichkeit und Härte. Ich habe männliche Designer schon gefragt: ,Wer in aller Welt ist diese Frau? Ich kenne die nicht!' Die Antworten sind immer wieder faszinierend. Viele wollen einfach nur Objekte anziehen."

Die Chloé-Designerin zieht ihre Freundinnen an, in Gedanken. Sie sollen hinreißend aussehen, lässig, jungenhaft, schick. Sie sollen sich wohl fühlen in ihren Kleidern. Kein Modell wandert auf den Laufsteg, das die Designerin nicht selbst anprobiert hat: Sind die Ärmel zu lang, klemmen sie unter den Achseln? Kann man in der Jacke Fahrrad fahren? Diese Mischung aus Gefälligkeit und Tragbarkeit hat ihr den Vorwurf eingebrockt, kommerziell zu sein, und den wischt sie jetzt nonchalant mit klimpernden Armbändern vom Tisch.

Mode: Einer von Kellers Entwürfen für Herbst 2016.

Einer von Kellers Entwürfen für Herbst 2016.

Widerborstigkeit macht Spaß

"Eine Kollektion nur zum Geldverdienen? Ich weiß zu hundert Prozent, was ich da rein tun müsste. Nehmen Sie nur mal aktuell die Spitzenkleider." Eine ganze Serie davon hing vor der Show fix und fertig da, "alles absolute Top-Top-Top-Seller, mit denen wir ein Riesengeld verdient hätten". Sie hätte die Kleider noch in der Nacht zuvor in die Laufsteg-Auswahl nehmen können. "Aber ich habe nichts davon gezeigt. Weil es sich nicht richtig anfühlte." Und ihre Chefs vom Luxuskonzern Richemont, was haben die dazu gesagt? "Nun ja, sie haben mich natürlich gebeten, meine Entscheidung zu überdenken. Aber ich habe Nein gesagt." Glitzerndes Lächeln. Oh ja, sie genießt das. Botschaft an alle: Widerborstigkeit macht Spaß!

Sie hat außerdem nur eine Sorte Stiefel und ein einziges Taschenmodell gezeigt und damit sogar noch mehr Geld verloren. Das erfordert Mut, auch deshalb, weil man sich bei dem einen Look dann bitteschön todsicher sein muss. Für Waight Keller hat das aber mit Orientierung zu tun: "Wenn ich morgens aufstehe, finde ich es so viel angenehmer, wenn ich direkt weiß, was ich anziehen will. Also diese Stiefel zu dieser Tasche. An den Tagen, an denen ich es nicht weiß, ziehe ich mich fünfmal um, und es macht mich wahnsinnig. Es gibt zu viel Auswahl heutzutage."

Das sind so Sätze, die man von einem männlichen Designer niemals hören würde. Trotzdem sind die Kreativabteilungen immer noch fest in der Hand von schwulen Männern - auch deshalb, weil sie in der Regel keine Familie haben, nicht zum Elternabend oder Hausaufgaben kontrollieren müssen, sich also permanent mit Mode beschäftigen können. "Ich bin mir nur nicht sicher, ob das immer zu den besten Ergebnissen führt", sagt Waight Keller süffisant.

Mode: Vier Kollektionen entstehen im Jahr, zwei davon immer parallel.

Vier Kollektionen entstehen im Jahr, zwei davon immer parallel.

Irgendwann sagt mein Mann: "Ihr Modeleute habt sie nicht mehr alle"

Ihr Mann und die drei Kinder sind vor fünf Jahren mit nach Paris gezogen. Wenn keine Show ansteht, betritt sie das Büro um neun und ist abends um acht wieder zu Hause. Dann erzählt sie ihrem Mann, einem Architekten, zehn Minuten lang alles, was passiert ist: "Bla, bla, bla, bla, nonstop. Und irgendwann sagt mein Mann: ,Ihr Modeleute habt sie nicht mehr alle.' Dann bin ich es los und kann an etwas anderes denken." Sie kocht Abendessen, bringt den Kleinsten ins Bett. An Wochenenden arbeitet sie nur in Ausnahmefällen, und wenn ihr einer eine Mail schreibt, kriegt er eine SMS zurück, "das geht schneller".

Und man denkt, hoppla. In einer Saison, die den Begriff "Designer-Burnout" salonfähig gemacht hat, sitzt man hier tatsächlich einer Frau gegenüber, die vier Kollektionen im Jahr entwirft, die Zügel fest in der Hand behält, nebenher drei Kinder großzieht - und keine Klage darüber, wie abgehetzt und menschenverachtend das Business geworden ist. Im Gegenteil, sie wirkt gelöst und bester Dinge. "Ein glänzender Kumpeltyp", schrieb die Vogue.

Auch Clare Waight Keller wird natürlich auf die Tube drücken und zumindest die Zwischenkollektion in Zukunft schneller ausliefern müssen, damit die Kopien nicht längst bei Zara und H&M hängen. "Allein die Jogginghosen mit den Seitenstreifen aus der aktuellen Saison: Ein Wahnsinn, ich sehe sie gerade überall. Obwohl man natürlich ganz klar sagen muss" - Kunstpause, Augenaufschlag - "meine sind besser."

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