Porträt:Glanz schön dunkel

Die Niederlande feiern den Fotografen Anton Corbijn mit zwei großen Ausstellungen. Wer ist der Mann, der mit seinen Schwarz-Weiß-Bildern die verborgenen Seiten der Stars zum Vorschein bringt?

Von Christian Mayer

Es war im Herbst 1979, der Beginn der Thatcher-Jahre, als der junge Fotograf aus Holland in ein kaltes, an sich selbst zweifelndes Land kam. England hatte den Blues und Anton Corbijn ein Ziel: Er wollte die Nachwuchsmusiker der Londoner Musikszene davon überzeugen, dass er genau der Richtige für sie war. Der Richtige, um ihren düsteren Glanz zum Vorschein zu bringen. Joy Division hieß die Band, die der völlig unbekannte Fotograf nach einem Konzert einfach anquatschte und trotz seines schweren holländischen Akzents davon überzeugte, mit ihm in der Tube ein paar Bilder zu machen.

Die Fotos von Joy Division waren der Grundstein für die Karriere von Anton Corbijn: Vier junge Männer stehen in der U-Bahnröhre, sie wirken wie Schattenwesen, die sich gerade davonschleichen, nur der Sänger Ian Curtis wirft noch einen Blick zurück. "Vier Musiker brechen auf zu unbekannten Vergnügungen, so wollte ich sie darstellen", erzählt der Fotograf 35 Jahre später. Doch bei den großen Musikmagazinen wollten sie davon erst mal nichts wissen. "Denen war das viel zu abstrakt, zu karg - in den englischen Medien drehte sich damals alles nur um Frisuren und Klamotten."

Anton Corbijn, ein großer, schlanker Mann mit Stoppelbart und engen Jeans, sitzt im Café des Fotomuseums von Den Haag. Er kommt kaum dazu, seinen grünen Tee zu trinken; ständig wollen ihn die Besucher fotografieren, sie führen die dicken Ausstellungskataloge wie Trophäen mit sich. "Du hast mich mit deinen Bildern mein Leben lang begleitet, danke dafür", ruft ihm ein Museumsbesucher zu. Der Fotograf lässt die Liebesbekundungen seiner Fans geduldig über sich ergehen, er ist ein höflicher, eher "introvertierter Mensch", wie er selbst sagt, aber auch die brauchen Zuneigung.

Es sind gerade Anton-Corbijn-Festspiele in Den Haag, zwei große Ausstellungen widmet ihm die Stadt kurz vor seinem 60. Geburtstag: Das Gemeentemuseum zeigt eine Auswahl seiner bekannten Porträts und Fotoprojekte, und gleich nebenan, im Fotomuseum, hat Corbijn als Kurator der eigenen Werke ein Pantheon der Pop-Exzentriker geschaffen.

Er liebt die Maskerade, das Spiel mit Identitäten, die Ausflüge ins Surreale. Mick Jagger als dominante Upper-Class-Großtante, Johnny Cash als Götzendiener, Tom Waits als vierhändiger Magier, Kurt Cobain als schöner Lackvogel: In der Corbijn-Welt taumeln die Stars auf einer leicht abschüssigen Bühne, sie scheinen sich immer auch über sich selbst zu wundern.

Spricht man Anton Corbijn auf die vielen schwermütigen Bilder an, die im Museum hängen, dann erzählt er von seiner Jugend, die er auf einer einsamen Insel bei Strijen im Rhein-Maas-Delta verbrachte. Sein Vater war Pastor, Strijen ein sehr protestantisch geprägter Ort in Südholland. "Am Sonntag durften wir als Pastorenkinder nicht einmal Fahrrad fahren, das gehörte sich nicht für uns, ich sollte den anderen Kindern ein Vorbild sein." Er selbst sei kein religiöser Mensch, sagt Corbijn, aber doch stark vom Elternhaus geprägt. Die Fragilität des Menschen, das sei sein Lebensthema. Es hat ihn sogar dazu verleitet, dass er mit Anfang 50 den Sprung ins Filmgeschäft wagte, nachdem er zuvor nur Musikvideos gedreht hatte. In seinem ersten Film "Control" erzählt Corbijn die Geschichte des Sängers und viel zu jungen Familienvaters Ian Curtis bis zum bitteren Ende, es ist eine Liebes- und Leidensgeschichte und auch eine Hommage an die Kultband Joy Division. Natürlich in Schwarz-Weiß, im Corbijn-Stil. Die musikvernarrten Briten waren so begeistert, dass sie den Film mit Preisen überhäuften.

Das Heiter-Verspielte und das Düster-Dramatische stehen in seinem Werk nebeneinander, das erzeugt Spannung. "Die Melancholie ist eine Charakterschwäche von mir, aber man kann eine Schwäche auch in eine Stärke verwandeln", sagt er lächelnd. Die Welt, die er in Bilder gebannt hat, die Welt der Rocklegenden, die noch Millionen Platten verkauften, deren Songtexte jeder auswendig kannte, sie ist verschwunden - und so blicken viele Besucher ein wenig wehmütig auf die Fotos. Aber gibt es heute nicht auch noch Popstars, auf Youtube und anderswo? "Schon", sagt Corbijn, "aber die Wichtigkeit der Musik nimmt im Internetzeitalter stark ab, das sind nicht mehr die Stimmen ihrer Generation."

Wer ist in der Beziehung zwischen dem Star und seinem Fotografen eigentlich der Chef? Wer bestimmt den Stil der Bilder, wer entscheidet über die richtige Pose? Wer prägt das Image? Anton Corbijn findet diese Fragen so faszinierend, dass er einen Film darüber gemacht hat: "Life" lief bereits bei der Berlinale im Frühjahr und kommt nun im Herbst in die Kinos. Nach dem politischen Agenten-Drama "A Most Wanted Man" (mit einem großartigen Philip Seymour Hoffman als deutscher Geheimdienstler) verspricht Corbijn nun einen leichteren, heiteren Film, der auf einer wahren Begegnung beruht. In "Life" geht es um die Erfindung eines Weltstars. Es ist das Jahr 1955, der junge Schauspieler James Dean (Dane DeHaan) trifft auf den Auftragsfotografen Dennis Stock (Robert Pattinson), und die beiden begeben sich auf eine Reise quer durch die USA. "Dennis Stock hat James Dean auf gewisse Weise erst zum Leben erweckt", erzählt Corbijn. Der Junge aus Indiana, der mit Zigarette im Mundwinkel und herunterhängenden Schultern über den verregneten Times Square spaziert - dieses Foto ist zur Ikone der Popkultur geworden.

Es kann aber nicht immer regnen, nicht mal in den Bildern eines "typischen Nordeuropäers" (Corbijn über Corbijn). Für den aktuellen Werbeclip "Miss Dior" hat der Filmemacher Natalie Portman in einem spektakulären weißen Bustier-Brautkleid in Szene gesetzt. Die Sonne, der Sommer, das tiefblaue Meer, die hauchzarten Dior-Stoffblüten auf der Haut der schönen Braut: So viel Hochglanzkitsch hätte man dem Holländer gar nicht zugetraut - doch dann fällt das Happy End aus, die Braut sucht mit dem Helikopter das Weite, während Janis Joplin "Peace of my Heart" singt. So viel Ironie muss schon sein. Die dreitägigen Dreharbeiten seien okay gewesen, erzählt er, "das gehört zum Geschäft, und ich muss auch meine Angestellten bezahlen - mit Kinofilmen würde ich das nie schaffen."

Wer sich die Bilder in Den Haag ansieht, entdeckt auch einen Künstler, der die Realität gerne mal hinter sich lässt. "Hollands Deep" heißt die Ausstellung im Gemeentemuseum, genauso wie die Landschaft an der Nordsee. Vor einigen Jahren kehrte er noch einmal dorthin zurück, für einen Besuch der eigenen Vergangenheit. An den Orten seiner Kindheit machte er eine ganze Serie von Selbstporträts, die verblüffende Ähnlichkeit mit Musikern der Siebziger- und Achtzigerjahre haben. Corbijn mit blonder Perücke und dem typischen Kurt-Cobain-Blick, Corbijn im Elvis-Kostüm, Corbijn als Ziegenbartträger Frank Zappa. Und Moment mal: Ist das vielleicht doch die echte Janis Joplin mit ihrer Nickelbrille und dem wirren Haar? Beim ersten Anblick dieser Doppelgänger-Bilder erschrickt man schon ein wenig, schließlich sind die Legenden ja längst irgendwo zwischen Himmel und Hölle unterwegs, jedenfalls nicht mehr von dieser Welt. In Corbijns Welt dürfen sie weiterleben, er spielt sie einfach selbst.

"Mir hat die Verwandlung wahnsinnig viel Spaß gemacht, zum Glück hat mir meine Schwester mit der Maske geholfen", sagt er. Die Perücken und die Klamotten gab es billig im Supermarkt, der Fotograf arbeitet gerne auch mit einfachen Mitteln, um die Stimmung am Set aufzulockern. "Erst wenn es dann um die Entwicklung der Bilder geht, werde ich zum Perfektionisten." Dann wechselt er von der Analogfotografie, die er vehement verteidigt, zur digitalen Bildbearbeitung. "Im Grunde stehe ich zwischen der alten und der neuen Welt."

In seinem Haus in Den Haag, das früher mal ein Pferdestall war, zeigt Corbijn sein Archiv. Es geht steile Treppen hinauf in den ersten Stock, die wilden Reisejahre, in denen er oft drei, vier Mal in der Woche die Stadt wechselte, haben hier ihre Ordnung. Zehntausende Fotos, festgehalten auf Kontaktbögen. In jüngster Zeit sind bildende Künstler wie Gerhard Richter, Georg Baselitz, Damien Hirst, Ai Weiwei, Marlene Dumas oder Julian Schnabel dazugekommen: "Irgendwie finde ich sie gerade spannender als die Musiker. Vielleicht weil ich selber Bilder mache", erzählt Corbijn und zieht ein Stück Schokolade aus einer Schublade gleich neben den abgelegten Stars. Wegzehrung für seinen Besucher.

"Ich bin dankbar, dass mir so viele Menschen die Gelegenheit gegeben haben, an ihrem Leben teilzunehmen", sagt er zum Abschied. "Irgendwie müssen sie mir wohl vertrauen."

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