Pariser Fashion Week:Lagerfeld lädt in die "Brasserie Gabrielle"

Chloe : Runway - Paris Fashion Week Womenswear Fall/Winter 2015/2016

Die Hippie-Kollektion von Chloé gehört zu den stärksten der Modewoche.

(Foto: Pascal Le Segretain/Getty)

Zum Abschluss der Prêt-à-porter-Modewoche in Paris bleiben die Designer ihrem Sound treu: Chloé feiert die Hippie-Romantik, Saint Laurent setzt auf Rockstars und Karl Lagerfeld lädt in seinen Themenpark.

Von Tanja Rest, Paris

Bis zu zwölf Schauen am Tag, Präsentationen und Re-Sees nicht mitgerechnet, und am Eröffnungsabend der Retrospektive "Jeanne Lanvin" quetschen sich die Leute trotzdem durch die Säle des Palais Galliera, als hätten sie seit Monaten keine Klamotten mehr gesehen. Hundert Kleider aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren sind hier ausgestellt, Originale aus dem Atelier von Jeanne Lanvin, neben Coco Chanel und Elsa Schiaparelli die dritte Mode-Pionierin des 20. Jahrhunderts. Mitten im Gewühl steht schwitzend und gestikulierend ihr aktueller Nachfolger.

Alber Elbaz ist das elaborierte Gegenteil der toughen Luxusfrau, für die er designt: ein kleiner, runder, leutseliger Mann, der auch im Winter keine Strümpfe trägt. Ein Bilbo Beutlin der Mode. "Ist es zu fassen?", juchzt Elbaz. "Schauen Sie sich die Handarbeit an, die Schnitte, die Imagination. Ist das nicht wahnsinnig modern?"

Tatsächlich, wenn man diese fast hundert Jahre alten Kleider betrachtet, wird eine Experimentierlust spürbar, ein so unbedingter Zukunftswille, dass es einem den Atem verschlägt. Als Jeanne Lanvin 1890 an der Pariser Rue Boissy d'Anglas einen Hutladen eröffnete, gab es in der Mode nichts, was den Blick zurück lohnte. Das war ihr Glück. Sie konnte bei allem, was sie tat, die Erste sein.

125 Jahre nach Gründung der Maison Lanvin grassiert die Retromanie. Die Sixties sind zu Tode zitiert, die Seventies im Frühjahr groß im Kommen, bei Balmain wurden für den Herbst gerade die Achtziger heraufbeschworen, bei Rochas die Dreißiger. Andere kupfern heftig bei sich selbst ab. Was ist noch neu? In der vergangenen Dekade ist es nur drei Designern gelungen, die Mode bleibend zu verändern: Nicolas Ghesquière etablierte bei Balenciaga die rund überwölbte Schulter; Phoebe Philo nahm diese Schulter und formte daraus den Minimalismus à la Céline; und Hedi Slimane ersann das Rezept, wie man an die Kreditkarten der hippen Youngsters kommt: Gib ihnen rockige Glitzerkleidchen, Baby! Das werden ihm die Gralshüter der Eleganz so schnell nicht verzeihen.

Glitzerkleidchen und zerrissenen Netzstrümpfe

Obwohl. Selbst die hartleibigsten Slimane-Verächter können nicht übersehen, dass sich der Umsatz bei Saint Laurent binnen sechs Saisons verdoppelt hat und die Sachen auch auf anderen Laufstegen hochpoppen. Sie schauen also an diesem Abend mit neuem Interesse hin, wie der Boden zwischen den Rängen emporfährt, Lautsprecherboxen freilegt, der Beat einsetzt und das erste Model einen schwarzen Lederbootie auf den Laufsteg knallt.

Saint Laurent Paris - Runway - Paris Fashion Week Ready to Wear F

Mach mich nicht an, schreit das Make-up bei Saint Laurent.

(Foto: dpa)

Frisur: Bad Hair Day. Make-up: Mach mich nicht an. Walk: Ich will hier raus - schnell. Soundtrack: Punk (The Felines, "Pretty Boy"). Also alles wie immer, und die sexy Lederminis, Skinny-Hosen, rockigen Glitzerkleidchen und zerrissenen Netzstrümpfe sowieso, ergänzt um Petticoats und ein paar wirklich anbetungswürdige Tweedmäntel und Paillettenjacken.

Frage: Waren die Röcke nicht sehr kurz? Antwort von Jessica Chastain, Schauspielerin: "Ich bin klein, da sehen sie länger aus." Frage: Was ist dran an dem Vorwurf, Slimane zeige seit sechs Saisons die gleiche Kollektion? Antwort von Salma Hayek, Schauspielerin und Ehefrau von François-Henri Pinault, Eigentümer der Luxusgruppe Kering (= oberster Slimane-Boss): "Aber es ist doch immer wieder anders! Beim letzten Mal waren es Plateau-Schuhe. Endlich habe ich diese Schuhe, nun schaue ich auf den Laufsteg, und was sehe ich? Keine Plateaus!" Merci, damit wäre das geklärt.

Einen Traum verkaufen, den die Kundin anziehen kann

Halten wir dennoch fest: Das Einzige, was in Paris wirklich neu ist, ist der Kotau vor dem Kommerz. "Der Niedergang der Erwartungen an eine Laufsteg-Kollektion war die ganze Saison über Gesprächsthema, und keiner rechnet damit, dass sich das in absehbarer Zeit ändern wird", schreibt die Kritikerin Bridget Foley im Branchenblatt Women's Wear Daily. Die Mode aber lebt nun mal davon, dass sie der Kundin einen Traum verkauft, den sie anziehen kann - und von dem sie immer wieder nicht genug bekommt.

Claire Wright Keller zum Beispiel hat bei Chloé in ihrer Frühjahrsshow Hippiemädchen de luxe gezeigt. Das ist sehr gut angekommen, und darum macht sie es für Herbst noch mal, nur noch luxuriöser, mit Mänteln und Pelzjacken, und es ist wieder sehr schön. Oder Hermès: Die neue Designerin Nadège Vanhee-Cybulski schmiegt die Silhouette ein wenig näher an den weiblichen Körper und buchstabiert sich sonst pflichtschuldig durch die DNA ihres Arbeitgebers, also feinste Materialien, gediegene Schnitte, Zeitlosigkeit. Die Hermès-Kundin ist bestimmt superfroh aus diesem Debüt herausspaziert.

Bei Louis Vuitton zeigt Nicolas Ghesquière ein Defilee, bei dem man vergeblich nach einem Thema sucht: Ozelot-Jacken, Discokleidchen und Oberteile mit Puffärmeln - alles ein wenig wirr und kraftlos. Gleichzeitig gibt es viele tragbare Basics. In der Mode heißt das: Diese Kollektion wurde für die Kasse gemacht.

Na, und dann wäre da natürlich noch Chanel. Im Lauf der Saisons hat man gelernt, weniger auf die Kleider als auf die Einladung gespannt zu sein; vom Meister selbst illustriert, verrät sie die Kulisse. Vor einem Jahr: "Supermarket". Vor sechs Monaten: "Boulevard Chanel". Diesmal: "Brasserie Gabrielle." Also die Stufen zum Grand Palais hinauf und durch die goldene Drehtür (wo kommt die plötzlich her?) in eine rundum holzvertäfelte, mit gedeckten Tischen, Bistrostühlen und Bars versehene Riesenbrasserie, wo weiß beschürzte Garçons Teller polieren, Speisekarten reichen und hinterm Tresen Croissants, Petit-fours und Champagner für 2000 Leute servieren: Bienvenue im aktuellen Themenpark von Karl Lagerfeld.

Models present creations by German designer Karl Lagerfeld as part of his Autumn/Winter 2015/2016 women's ready-to-wear collection show for French fashion house Chanel during Paris Fashion Week

Chanel setzt auf Tragbarkeit- und auf Brasserie-Kulisse.

(Foto: Reuters)

Die teuersten Models der Welt, 97 insgesamt, spazieren mit wippendem Rock und kleinem Absatz, die neuesten Taschen schlenkernd, durch dieses Ambiente, setzen sich an die Tische, bestellen einen Kaffee und versinken in Geplauder. Und weil sie da noch sitzen, als die 2000 Zuschauer schon wieder rumlaufen und Instagram aufrufen können, wird das Netz binnen Minuten mit Bildern von Chanel geflutet. Die Kleider sind mit ähnlich verschwenderischer Liebe zum Detail gearbeitet wie ihr Drumherum, bleiben aber streng innerhalb des Chanel-Kosmos. Im Stammhaus kostet eine Jacke übrigens 4600 Euro. Also nicht das Luxusmodell. Irgendeine  Jacke.

Kulisse: Ramschladen für Elektroschrott

Schwenken wir nun endgültig Richtung Entertainment ein, denn das ersinnen sie in Paris wirklich immer neu. Bei Issey Miyake spielte ein Musiker auf E-Gitarrensaiten Xylofon; bei Wolfgang Joops Wunderkind liefen Germany's Next Topmodels in figurativen Stoffen, man identifizierte lateinische Sprüche, römische Reiter und Hanfblätter. Givenchy war diesmal ein Ramschladen für Elektroschrott - aussortierte Lichtreklamen, Röhrenfernseher, Flipperautomaten -, und durch diese Apokalypse wandelten die bleichen Geschöpfe von Riccardo Tisci mit Gesichtsschmuck und lackierten Locken wie glamouröse Untote nach Mitternacht: in schwarzer und bordeauxfarbener Spitze, in Samt, Brokat und Pfauenfeder-Prints, mal elisabethanisch streng, mal mit Kristallen übersät.

"Mode muss nicht immer ernst sein", sagt Maria Grazia Chiuri, die eine Hälfte des Designer-Duos von Valentino, "sie darf auch mal Spaß machen." Dabei war zunächst alles wie immer. Kleider von sakraler Schönheit, erst in grafischen Schwarz-Weiß-Mustern, dann als Gespinste aus hauchzarter Spitze, zuletzt kommen die bodenlangen, über und über bestickten Tuniken, und im Publikum wird geseufzt. Die Show ist eigentlich vorbei, als der Soundtrack zu "Don't you want me, Baby" wechselt und die Stars des Filmes "Zoolander" in vollem Fashion-Ornat dastehen.

Es sind tatsächlich Ben Stiller und Owen Wilson, die hier über den Laufsteg rennen, wobei Stiller einem Zuschauer das Handy aus der Hand reißt und weiterfilmt. "Pier Paolo und ich haben sie bei ihren Dreharbeiten zu ,Zoolander 2' in Rom kennengelernt", berichtet Chiuri. "Wir sind riesige Fans, und da hatten wir diese Idee . . ." Die Leute katapultiert es förmlich aus den Sitzen, alles kreischt und benimmt sich insgesamt sehr unfein. Es ist der Höhepunkt einer sonst eher spannungsarmen Woche.

Weil man Antworten parat haben muss, wenn man aus Paris zurückkommt, hier eine Prognose: Die Silhouette bleibt hoch und schmal, aber es ist Volumen drin. Mäntel sind unbedingt lang, die knöchelkurzen Hosen werden entweder noch kürzer (Wadenhöhe) oder reichen bis über die Schuhe. Die Taille rückt nach oben, was nicht immer sexy ist, aber jünger macht, wie der Herbst insgesamt femininer wird: Farben, Muster, Animal Prints und Glitzer überall.

Wer von der Mode mehr erwartet, soll ins Museum gehen. Die Retrospektive "Jeanne Lanvin" läuft bis zum 23. August.

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