Ortstermin:Die Uhreinwohner

In Glashütte werden seit Jahrhunderten einige der teuersten Uhren der Welt gebaut. Das merkt man der Kleinstadt in der sächsischen Schweiz nicht unbedingt an.

Von Cornelius Pollmer

Das Handgelenk ist ein stummer und deswegen wohl unterschätzter Botschafter der eigenen Persönlichkeit. Nackt verrät es wenig, wenn es bespielt wird eine Menge. Es soll noch immer Männer geben, die sich mit kräftig-goldenen Puffkettchen fesseln. Häufiger sieht man inzwischen Armbänder, mal künden sie von der Hoffnung auf eine Karriere als Liedermacher (Leder), mal vom Mut, sich für eine gute Sache einzusetzen (Livestrong, etc.). Und dann gibt es schließlich Menschen, die Uhren an ihren Händen tragen. Manche geben viel Geld dafür aus und kaufen sich in diesen Tagen eine Computer-Uhr aus Cupertino. Manche geben noch viel mehr Geld dafür aus, und sie bekommen: eine analoge Uhr aus Glashütte. Als Normalverdiener kennt man diese Uhren eher von ganzseitigen Magazin-Anzeigen als vom eigenen Handgelenk. Glashütte steht aber auch für einen realen Ort, Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, knapp 7000 Einwohner. Beides, Marke und Ort, gehören natürlich zusammen, zugleich aber sind sie in erstaunlicher Weise und Weite voneinander entfernt.

Besucht man Glashütte, besucht man ein sehr kleines, saniertes Durchschnittsschön, schmiegsam im Tal liegend. Ein gefegter Markt, mehr "Frühlingsweg" und "Am Ochsenkopf" als Boulevard. Und in der Mitte fließt ein Fluss, die Prießnitz, unter dessen Unbeherrschtheiten der Ort zwei Mal heftigst litt, die entsprechenden Jahreszahlen sind den Bewohnern allgegenwärtig: 1927, 2002. An der Zeit und an den Uhren kommt man hier auch an ruhigen Tagen nicht vorbei, zumal einen das Uhrenmuseum wie ein Art erstes Haus am Platze empfängt. Davor: zwei Touristenbusse. Darin: Zeit-Geschichte, Zeit-Räume und Gravur coram publico an der Guillochiermaschine, mit der einst feine Linienmuster ins Metall geritzt wurden. Wer es in anderer Weise genau nehmen will, der geht in das andere Museum am Ort, mit über 700 Pilzarten in 3500 naturgetreuen Pilzmodell-Kunstwerken.

Früher, als es nur den Ort gab und noch nicht die Marke, ereignete sich hier eine Geschichte, wie man sie heute gerne über mehrere Städte aus der sächsischen Provinz erzählen würde. Diese Geschichte verbindet sich mit Ferdinand Adolph Lange, geboren 1815 in Dresden als Sohn eines Büchsenmachers der königlichen Leibgarde. Es war Glück, das ihn seine Ausbildung an die Technische Bildungsanstalt der Stadt führte, die gegründet worden war, um die industrielle Entwicklung Sachsens mit systematischem Unterricht in Mechanik und Technik zu fördern . Während seiner Lehre sammelte Lange Kontakte fast überallhin, vor allem in Paris, danach traf er Entscheidungen, die ihn aus heutiger Sicht zum Schutzheiligen sächsischer Wirtschaftspolitik machen sollten.

Als Erstes definierte er eine Marktnische für sein Produkt. Er wollte keinen Massenschrott produzieren, seine Taschenuhren sollten einfach sein, aber mechanisch vollkommen, so hätte man das damals wohl in den Businessplan geschrieben. Lange ging zum Geheimen Regierungsrat Carl von Weißenbach und schlug vor, die nötige Fabrik in einer wirtschaftlich maladen Region des Erzgebirges anzusiedeln. Nach zwei Jahren Verhandlung gewährte die sächsische Staatsregierung 1845 einen Kredit von 5580 Talern.

So kam es, dass die Begriffe Uhr und Glashütte nicht viel später fast synonym gebraucht wurden, Langes sekundengenaue Industrie florierte, bis sie in den krisenhaften 20er-Jahren etwas aus dem Takt geriet. 1945 wurde die Stadt schwer bombardiert, wenig später die Familie Lange enteignet und was von den Stätten der Feinmechanik und vom Uhrmacherwissen dort noch übrig war entweder verstaatlicht oder anderweitig neu eingesetzt. Der VEB Glashütter Uhrenbetriebe dümpelte durch die DDR, durchaus anspruchsvoll, sein Nachruhm ist jedoch längst verblichen. Denn gleich nach der Wiedervereinigung holte Walter Lange, der Urenkel des Gründers, die Rechte von der Treuhand und meldete die Marke wieder an, am 7. Dezember 1990. Stunde null, ein Neuanfang für den Familienbetrieb, initiiert von einem Mann, der eigentlich schon im Ruhestand war.

Heute gibt es in Glashütte viele Unternehmen, die mit Uhren viele Millionen Taler umsetzen. Die beiden größten gehören inzwischen noch größeren Firmen aus der Schweiz. A. Lange & Söhne wurde 2001 von Richemont übernommen, Glashütte Original ein Jahr zuvor von der Swatch Group. In einer Marktnische im wachsenden Feld des leistbaren Luxus hat sich Nomos als Dritter etabliert. Mit einer Kollektion, die regelmäßig Designpreise abstaubt, steht Nomos besonders augenscheinlich für das moderne Glashütte, die Verbindung aus altem Handwerk und tja, Zeitgeist. Frank-Walter Steinmeier trägt eine Nomos, Gerhard Schröder bekam von Doris Schröder-Köpf eine geschenkt, als beide noch mehr Zeit miteinander verbrachten.

Glashütte als Marke, das funktioniert also wieder. 1300 Menschen arbeiten in der Branche. Nur, wie ist es mit dem Ort? Der kam wegen der Uhren zu Ruhm, ist Luxusmenschen auf der ganzen Welt ein Begriff, spätestens seit A. Lange & Söhne 2013 mit der Grand Complication eine der erstaunlichsten Uhren der Welt vorlegte, inklusive ewigem Kalender mit 29. Februar, Glockenspiel und Stoppuhr - eine uhrmacherische Jahrhundertleistung, ein einziger Superlativ fürs Handgelenk. Eher verbindliche Preisempfehlung? Fast zwei Millionen Euro pro Uhr. Vor Kurzem erweiterte A. Lange & Söhne seine Manufaktur dann auch um mehr als 11000 Quadratmeter.

Doch außerhalb der Produktionsgehäuse der großen drei ist Glashütte ein Flecken unter vielen in dem, was immer etwas vage und euphemistisch als ländlicher Raum klassifiziert wird. Sehr weit weg von allen Superlativen, zumindest allen positiven. Als wäre das wichtigste Produkt des Ortes nur ein Exportartikel für eine andere Welt. Vor einigen Jahren veröffentlichte der Kommunikationsverein aus Berlin ein Magazin über "Orte, an die niemand reisen mag". Die Stadt Glashütte wurde tatsächlich zum Covergirl der ersten Ausgabe erkoren und die Wiege tickender Luxus-Accessoires mit liebevollem Fremdeln erkundet. Schon auf dem Titel ließen die Gestalter wenig Zweifel, wo die Reise auch für den Leser dabei hingehen würde. "Bordelle, Dauerwellen, billiges Benzin: Leben an der Grenze", stand da. Zudem wurden "17 Einheimische und ihre sehnlichsten Wünsche" angekündigt, unter anderen dieser: "Einmal in Freital leben!" Zum Verständnis: Freital ist eine Große und graue Kreisstadt zwischen Dresden und Glashütte, die hier recherchierte Sehnsucht scheint also so abwegig wie die eines Menschen aus Kaufering nach, sagen wir, Fürstenfeldbruck.

Für den Preis einer Lange-Uhr kann man hier mit Familie fünf Jahre eine Wohnung mieten

Das Cover war, einerseits, natürlich übertrieben. Andererseits ist es natürlich schon ein gewaltiges Gefälle, von der Marke zum Ort, von den Wunderwerken mit Tiki-Taka-Technik auf engstem Raum bis zum schläfrigen Alltag im Müglitztal.

Für den durchschnittlichen Preis einer Lange-Uhr kann man hier mit der Familie locker fünf Jahre eine Wohnung mieten. Auf den Uhrenmessen steht Glashütte selbstverständlich neben Genf und Paris. Aber wer hier abends tanzen will, geht zur Dreiklang Disco von DJ Heiko Liebscher. Der legte als "Staatlich geprüfter Schallplattenunterhalter" schon für 6,50 Ost-Mark die Stunde auf. Die Dönerbude macht um neun Uhr zu, das Bistro an der Hauptstraße um zehn.

Was ist das für ein Lebensgefühl, zwischen teuren Uhren und nicht viel anderem? "Schwierige Frage", sagt da Bianca Braun aus dem Tourismusbüro der Stadt, "die Verbundenheit mit den Uhren ist auf jeden Fall da. Manche Familien sind ja seit Generationen mit dieser Arbeit verknüpft." Man habe da eher als Auswärtiger eine falsche Vorstellung von der Stadt. "Weil hier die Hersteller der großen Luxusuhren sitzen, erwarten einige Besucher alles Mögliche vom Luxushotel bis zum perfekten Restaurant", sagt Braun. Dabei sei man doch, Uhren hin und her, nur "eine ganz normale Stadt wie viele andere auch." Und wenn es doch einen Unterschied gebe, dann diesen hier: "In anderen kleinen Städten fahren die Leute alle raus zur Arbeit, hier pendeln sie ein, die Mitarbeiter." Beim Mittagstisch ist die Auswahl noch entsprechend prächtig. Abends? Siehe Bistro.

"Hier lebt die Zeit", behauptet das Eigenmarketing von Glashütte. Man versteht das, die Uhren und so, aber lebt die Zeit nicht überall? Und was ist mit denen, die in Glashütte nicht im Dienste der Feinmechanik stehen? Die sehen das ein bisschen anders. Geht man durch den Ort, hält mal hier, mal da zum kurzen Schnack, dann hört man, dass Glanz und Gloria der Uhren einigen auch ziemlich weit den Hals raushängt. Während viele Mitarbeiter der Uhren-Werke nach der Arbeit wieder davonrauschen, fehle es in Glashütte an Bauland für junge Familien und am Zuzug dieser erst recht. Man hört auch Sorgen wegen der Monokultur. Die Uhrenwerke garantieren ordentliche Gewerbesteuereinnahmen, aber was, wenn das mal wieder wegbricht? Haben wir doch alles schon erlebt. Kurzum, sagt eine, die lieber anonym klagen möchte: "Wir fühlen uns hier ein bisschen vergessen." Dann muss sie weiter, zur Arbeit. Die Zeit, sie drängt.

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