Ode an das Daybed:Die gepflegte Eigenablage

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Schlicht schön! Dieses Daybed wurde vom Dänen Ole Gjerløv-Knudsen 1962 entworfen und von der Firma Artilleriet wieder neu aufgelegt. (Foto: Artilleriet )

Na, wie wäre es mit einem Nickerchen? Mit dieser stummen Frage ist das Daybed zum ewigen Sehnsuchtsort der Wohnungseinrichtung geworden.

Von Julia Rothhaas

Verstauen, sitzen, liegen. Mehr Funktionen muss ein Durchschnittsmöbel erst einmal nicht erfüllen, damit wir uns für seinen Kauf entscheiden. Erst Pflicht, dann Kür, das gilt nun mal meistens für den knappen Wohnraum. So gibt es Sehnsuchtsmöbel, um die man jahrelang herumschleicht, die man sich aus Vernunft aber immer verkneift. An der Spitze der Liste dieser "Irgendwann!"-Wunschmöbel steht gerne das Daybed. Ein Zwitter zwischen Bett und Sofa, das niemand haben muss, um gut leben zu können, und das doch ziemlich viel Platz um sich herum braucht, wenn es wirken soll. Trotzdem erscheint vielen die simple Liegefläche wie die Krönung des guten Wohnens.

Um den Zauber der Liege wussten schon die Römer, die auf ihrem "lectulus" aßen und lasen. Recht hatten sie, schließlich kommt kaum ein anderes Stück der Einrichtung an die Ungezwungenheit des Daybeds heran, auf dem es sich so wunderbar im Wechsel nachdenken und dösen lässt.

Auf dem Sofa nämlich muss der Mußesuchende ständig befürchten, dass es sich neben ihm weitere Bewohner bequem machen könnten. Außerdem kommt man auf der Couch nicht zum Denken, weil das direkte Gegenüber in vielen Haushalten immer noch der Fernseher ist. Und der hat schließlich seine eigene Agenda, wenn es um das Behindern von Gedanken geht. Im Bett wiederum fallen uns automatisch die Augen zu, weil der Körper einfach darauf programmiert ist, sich abzuschalten, sobald er auf der wirbelsäulenfreundlichen Matratze zum Liegen kommt. Bei weiteren Denkorten wie dem Schreibtisch verkrampfen wir sofort, weil einem die Pflicht so unmittelbar vor Augen geführt wird, die dort lauert. Und in der Badewanne schrumpeln Finger und Zehen schon bald so unansehnlich zusammen, dass man sich nur noch darauf konzentrieren kann.

Das Daybed mag nur eine Liege sein, aber dahinter steckt mehr als nur einmal Augen zu

Es gibt also doch viele gute Argumente für ein Tagesbett, auf dem man nichts muss und doch vieles kann. Es lässt sich von beiden Seiten besteigen und braucht nicht viel Platz. Es weigert sich nicht, in eine Dachschräge geschoben zu werden, weil ihm das Rückenteil fehlt. Außerdem ist es sehr viel leichter als jedes Sofa, man kann man es also ohne Probleme von Zimmer zu Zimmer rücken und im Sommer sogar auf den Balkon oder in den Garten stellen. Darüber hinaus ist es mehr als anspruchslos, denn viele Kissen, Decken und Lammfelle braucht es nicht, um auf die Dringlichkeit eines Nickerchen aufmerksam zu machen (ein Daybed sollte ohnehin nicht zu bequem sein, damit das Schläfchen nicht zu lange dauert und man noch was vom Tag hat). Gleichzeitig sträubt es sich auch nicht, mal von einem Haufen ungebügelter Wäsche und ungelesenen Zeitschriften verdeckt zu werden. Es mag nur eine Liege sein, von der wir träumen. Aber eben eine, die Dinge kann, von denen andere Möbel nur träumen.

Diese Sehnsucht, auch Récamiere, Chaiselongue oder Sitzliege genannt, wird von den Designern derzeit jedes Jahr mit mehr Eifer interpretiert. Auch wenn das Bemühen nicht immer sichtbar ist - gerade in der Schlichtheit liegt ja der Reiz des Daybeds, man denke nur an den puristischen Klassiker, die Barcelona-Couch von Ludwig Mies van der Rohe. Die schönsten Daybeds kommen bis heute ohne aufwendige Gestaltung aus. Eines der besonders gelungenen, weil herrlich einfachen Exemplare steht in der Bibliothek des Minimalisten Donald Judd in der texanischen Wüste. Dort, inmitten von über 13 000 Büchern, positionierte der 1994 verstorbene Künstler eines seiner Tagesbetten aus Holz mit überhohen Seiten. Eine Art Puppenbett, in das man sich sofort verkriechen möchte.

Wer von einem Daybed träumt, der träumt auch von einem selbstbestimmten Tagesablauf und einer großen Portion Freiheit, in der immer genug Zeit ist für einmal schnell die Augen zu. Geniale Premiumideen, so vermutet man, entstehen dort. Dieses Möbel verkörpert ein Leben, wie es ein Künstler wohl führen kann - zumindest aus Sicht des braven Büromenschen. Es ist ein sanfter Zufluchtsort in den eigenen vier Wänden, ein elegantes Weltversteck - das übrigens auch nach Feierabend funktioniert.

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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