Neuer Wohntrend:Dr. Sofa

Neuer Wohntrend: Illustration: Véronique Stohrer

Illustration: Véronique Stohrer

Rutengänger, Feng-Shui, Mondphasenholz, Lichttherapie-Liegen: Kann es sein, dass das Wohnen immer esoterischer wird?

Von Gerhard Matzig

Bei Matthias Korff war es erst Tinnitus, dann Asthma. 30 war er damals. Bei Kurt Simon war es Schlafmangel, mehr als drei Stunden Schlaf pro Nacht waren nicht mehr drin. Simon war 23 und sehr, sehr müde. Beiden, Simon (mittlerweile 56 Jahre alt) und Korff (47), ist gemeinsam, dass ihre längst verjährten Leiden mit frisch bezogenen Wohnungen zu tun hatten. Möglicherweise. Beziehungsweise, wenn man Korff und Simon lang genug zuhört: "sicher". Darüber könnte man streiten. Wie man über das ganze Thema hier wunderbar streiten kann, geht es doch letztlich um Glaubensfragen: Wohnst du noch oder bist du schon gesund?

Das Wohnen als Krankmacher also. Oder umgekehrt: Interior Design als Heilsbotschaft. Sind doch Wohnungen oder Häuser schon immer Glücksversprechen, Aufladestationen, Regenerierungsmaschinen, Schutzschilde und Gesundmachorte: My home ist my clinic. Die Lifestyle-Industrie lebt von der Odyssee im Wohnraum, die zur Suche nach dem idealen Habitat zwischen Identitätsstiftung, Wellness und Reha wurde. Zumal heute, da die Fliehkräfte global wirksamer Beschleunigung auch an der Gesundheit zerren. Die Wohnung ist nun so etwas wie das Auge im Taifun, ein Punkt der Ruhe. Die Welt bleibt bitte draußen - mitsamt ihren Anfechtungen.

Und dann das: Wohnen gefährdet Ihre Gesundheit! Da räumt man, denn der Umzug ist Aufbruch und Ankommen in einem, frohgemut die Bücherkisten aus und knufft das Sofakissen, um glücklich zu sein . . . was wird man? Krank. Heinrich Zille, Chronist des Volkslebens im 19. Jahrhundert: "Man kann mit einer Wohnung einen Menschen töten wie mit einer Axt."

Für Korff war jene Zille-Axt, die eigentlich die Not dunkelfeuchter Elendsquartiere vergangener Epochen illustriert, zwar nicht tödlich, aber bedrohlich. In seinem Blut wurde, nach dem Umzug in die neue Wohnung und nachdem er dort einen Tinnitus erleiden musste, das ist eine qualvolle Hörstörung, eine hohe PCB-Dosis festgestellt. Polychlorierte Biphenyle (PCB) wurden vor ihrem Verbot 2001 als Weichmacher in Lacken verwendet oder als Dichtungsmasse. Korff zog deshalb in eine neue, garantiert PCB-freie Wohnung. Und wurde wieder krank. Asthma. Ausgelöst, so erzählt er heute, durch den mit einem falschen Kleber verlegten Sisalboden. Korff zog wieder einmal um. Seine Krankengeschichte füllt Umzugskartons.

42 Prozent der Bundesbürger - also fast jeder Zweite - fühlen sich in ihrer Wohnung gesundheitlich belastet. Das belegt eine Umfrage der GfK-Marktforschung. Eine andere Studie besagt: "Jeder siebte Deutsche ist wegen gesundheitlicher Belastungen in seiner Wohnung schon einmal umgezogen."

Heute baut Korff in Hamburg als Bauträger Wohngebäude aus Vollholz. Auf seiner Homepage (DeepGreen Development) findet sich ein Satz, der bezeichnend ist für das neue Wohnanliegen: "Wohnen Sie sich gesund!" Einer Arbeitsplatz-Studie zufolge lässt sich durch geeignete Akustikmaßnahmen, vernünftige Grundrisse, durch besseres Licht oder ergonomisches Mobiliar die Arbeitskraft von Büro-Mitarbeitern um bis zu 70 Prozent steigern. Das gilt in gewisser Weise auch für das Wohlbefinden in privaten Räumen. Insofern ist das gesunde Wohlfühlparadies der eigenen Wohnung natürlich auch ein Beitrag zur Selbstoptimierung. Ausgeruht kann man noch mehr leisten.

Aber nicht deshalb ist beispielsweise Kurt Simon, der genesen ist von einem falsch platzierten Bett, das ihm "der Erdstrahlen wegen" den Schlaf raubte, Geobiologe, Lebensraumberater und, ja, Rutengänger geworden. Sowie Vorsitzender des Homburger "Forschungskreises Erdstrahlen und Elektrosmog". Er sagt: "1998 gab es im Internet kaum Angebote von Rutengängern - heute zigtausend." Der Kampf gegen Wasseradern, Erdstrahlen und Elektrosmog ist intensiv. Pro Jahr bearbeitet Simons Verein tausend Anfragen. Auch wenn der Stuttgarter Geophysiker Erhard Wielandt lakonisch einwendet: "Die Störzonen, in denen Erdstrahlen entstehen, befinden sich nicht in der Erde, sondern im Kopf." Und weiter: "Von Rutengängern angegebene Störzonen, Erdstrahlen oder Gitterlinien ( . . . ) sind Hirngespinste."

Allerdings, man kann auch an Hirngespinsten leiden. Fest steht: Das Unbehagen am Wohnen nimmt zu. Weshalb nun auch jene Branche wächst, die ein Antidot verspricht, ein Gegenmittel gegen angebliche oder wirkliche Krankmacher in den eigenen vier Wänden. Die Produzenten einer Dingwelt, die nicht nur vom Design, sondern auch vom mitgelieferten Heilsversprechen lebt, erleben in Bio-Öko-Glutenfrei-Zeiten einen wahren Boom. Schöner Wohnen war früher - heute will man vor allem gesünder, bewusster wohnen.

Dreizehn Stunden täglich verbringt man in hautnahem Kontakt mit Möbeln

Jeder Deutsche liegt im Schnitt sieben Stunden täglich im Bett und sitzt weitere sechs Stunden auf anderen Möbelstücken. Kein Wunder, dass der Biomöbelmarkt schon seit Jahren gegen den Trend wächst; kein Wunder auch, dass Feng-Shui-Berater, Rutengänger, Farbpsychologen oder Leute, die sich um mondphasengerecht geschlagenes Zirbenholz (gut für's Herz) kümmern, derzeit Hochkonjunktur haben. Der Wohntrend unserer Zeit ist der Health Style. Die Innenarchitektur, die schon länger das Wohnen als Wellness-Idee im Blick hat, wird so zunehmend zum Schauplatz auch der Esoterik und der Heilpraxis. Eine ganze Ratgeber-Industrie, das Baustoff-Gewerbe und die Möbelhersteller leben von der aktuellen (und im Grunde natürlich so uralten wie absolut berechtigten) Sehnsucht nach Räumen, in denen es sich eindeutig besser leben als siechen lässt.

Da gibt es etwa den "Landhausdielen"-Boden der Firma Haro, der über eine "sanft geschroppte Oberfläche mit ausgeprägten Höhen und Tiefen" verfügt. Dieser Holzboden soll für eine "echte Wellness-Wirkung beim Barfußlaufen" sowie für "emotionale Aufladung" sorgen. "Wohlfühlparkett" wird das genannt. Einen Schritt weiter geht die Firma Bembé mit ihrem "Gesundheitsparkett". Man könnte auch Bodenbelag dazu sagen - aber ein "Gesundheitsparkett" klingt fast so, als könnte man die Kosten dafür mit der Krankenkasse abrechnen.

Weniger der Ökologie als vielmehr dem skulpturalen Hochglanzdesign ist ein Möbel verpflichtet, das aussieht wie eine gigantische Obstschale mit Überrollbügel. "Lomme" heißt es, "Light Over Matter Mind Evolution". Es ist ein Matratzen-Massagesystem samt Licht- und Soundtherapie. Der britische Hersteller verspricht ein "gesünderes und glücklicheres Leben".

Eine flackernde Leuchte, die Nahtoderfahrungen ermöglicht, soll auch irgendwie gesund sein

Verheißungsvoll ist auch die österreichische Homepage "gesund-im-licht": "Die Hypnagoge Lichterfahrung macht es möglich, Gesundheit als Bewusstsein zu erfahren, das sich nicht auf physische oder psychische Vorgänge reduzieren lässt." Hm. Aha. Soso. Der Spiegel titelte über die vom Münchner Gestalter Ralph Buchner entworfene Leuchte "Lucia No. 03": "LSD-Trip mit der Flackerlampe". Die flackernde Leuchte (die eben keine Lampe ist!) soll Zustände wie bei einem LSD-Trip oder einer Nahtoderfahrung auslösen und zu kreativen Höchstleistungen animieren. Auf gesunde Weise. Eine gewisse "D. C.", die sich im Netz als Fremdsprachen-Sachbearbeiterin aus München vorstellt, beurteilt Lucia No. 03 so: "Die Sessions bauen den Alltagsstress ab, ich tanke neue Kraft, regeneriere mich und fühle mich danach rundum wohl. Seit ich die Lichtreisen gefunden habe bin ich belastbarer, ausgeglichener und gleichzeitig konzentrierter."

Eine Nahtod-Erfahrung hat die Regensburger Feng-Shui-Beraterin Martina Berchtold zum Glück nicht im Angebot. Aber immerhin: "Mein Ziel ist, dass Sie sich in Ihrem Zuhause richtig wohlfühlen ( . . . ) in einem persönlichen Gespräch - der sogenannten Anamnese - können Sie mir Ihre individuellen Bedürfnisse ausführlich schildern. Bei der Auswertung eines harmonischen Feng Shui Gesamtkonzeptes beurteile ich Ihre Wohnräume nach dem Chi-Fluss . . ."

Nicht zufällig wird hier der Begriff der Anamnese eingeführt, also die Leidensgeschichte eines Patienten. Der Wohnzimmerboden ist eben auch der ideale Nährboden für Suchende aller Art. Die allein schon im Dickicht der Gütesiegel um Orientierung ringen. Es gibt das "Forest Stewardship Council"-Siegel für verantwortungsvolle Waldwirtschaft, das "Allergiker-geeignet"-Prädikat, das "eco-Institut"-Label oder das "Öko-control"-Gütesiegel. Und dann gibt es noch den Glauben. Der hilft, das weiß man aus der Placebo-Forschung, beim Gesundwerden. Auch wenn es nur ein Sofa ist, an das man glaubt.

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