Möbelmesse in Mailand:"Designed in Italy"

Das Mekka aller Kreativen und Designbegeisterten hat seine Tore geöffnet. Die Möbelmesse "Salone del Mobile" in Mailand zeigt Originelles, Schräges, Braves, diskutiert Wohn- und Designtrends - und findet trotz oder vielleicht gerade wegen der billigen Angebote bekannter Möbelhausketten großen Zulauf.

Henning Klüver

Mailand bietet in den Tagen des Salone del Mobile ein einziges Spektakel. Kein Showroom, der nicht mit einem "Event" aufwartet, schnell aufgebaute Vitrinen versperren die Fußwege, schreiend bunte Autos verwandeln die Stadt in eine Freilicht-Austellung. Im Teatro dell'Arte der Triennale kann man der Aufführung eines "DesignDance" folgen, ein Tanzabend für die schöne Form - mit hunderten von Objekten von Giò Pontis Stuhl "Superleggera" bis Philippe Starks Saftpresse und Aldo Rossis Badekabine "Elba". Hier wird Designgeschichte mit Akrobatik und lauter Musik vermischt.

Möbelmesse in Mailand: Besucher der "Salone del Mobile" sitzen in Sesseln der italienischen Deisgnermarke Driade, die den Namen "Nemo" tragen. Auf der Mailänder Möbelmesse werden neue Designtrends disktuiert. Auch Nachwuchsdesinger aus Brasilien und China bekommen Raum um ihre Werke zu zeigen und Hersteller zu finden.

Besucher der "Salone del Mobile" sitzen in Sesseln der italienischen Deisgnermarke Driade, die den Namen "Nemo" tragen. Auf der Mailänder Möbelmesse werden neue Designtrends disktuiert. Auch Nachwuchsdesinger aus Brasilien und China bekommen Raum um ihre Werke zu zeigen und Hersteller zu finden.

(Foto: AFP)

Stiller, aber nicht weniger spektakulär geht es dagegen in der ehrwürdigen Biblioteca Ambrosiana aus dem 17. Jahrhundert zu: eine Lichtinstallation durchzuckt den Raum, ihre Strahlen verbinden klassische und moderne Bände, aus Lautsprechern tönt Rede und Gegenrede in Zitaten von Homer bis C.G. Jung, wobei es sich alles um Farbe, Form und Architektur dreht.

Was das alles mit Möbeln zu tun hat? Der Salone del Mobile war bis in die neunziger Jahre nicht mehr als eine wichtige Messe für ein Fachpublikum. Doch der Siegeszug des "Designed in Italy" und die Anziehungskraft Mailands und seines industriellen Hinterlands auf die Kreativen aller Welt machten die Messe zum Mekka. Die Fachgrenzen brachen auf und neben der immer ausgebuchten Möbelschau auf dem Messegelände entwickelte sich ein "Fuori Salone", eine Nebenmesse für alle und alles. Schräges Design und brave Handwerkerarbeiten, Kitsch und Kunst verwandeln inzwischen ganze Straßenzüge in den Stadtvierteln Tortona, Lambrate und Brera in offene Ausstellungsflächen.

Hier verwischen sich endgültig die Grenzen, das Autodesign stellt sich aus und auch Modehäuser wie Armani, Prada und Co. wollen am Rummel teilhaben. Landschaftsarchitekten der Vereinigung "Green City" pflanzen Bäume und verwandeln Asphaltplätze in Grünflächen. Sogar die deutsch-italienische Kirchengemeinde lutherischer Protestanten hängt in dieser Woche unter dem Titel "Windsbräute" große, mit bunten Formen bedruckte Segelplanen der bayrischen Künstlerin Beate Oehmann in den Garten vor ihr Gotteshaus.

Brasilianer und Chinesen drängen auf den Markt

Fast hat man da den Eindruck, dass der 51. Salone del Mobile nur noch eine Veranstaltung unter vielen ist, verschluckt vom Trubel der Design-Woche. Auf dem Messegelände stellen noch bis zum Sonntag mehr als 2.500 Anbieter ihre Kreationen aus. Integriert sind diesmal die alle zwei Jahre stattfindende Küchenschau "Eurocucina" sowie die internationale Badezimmerausstellung. Erwartet werden mindestens 300.000 Besucher, am Wochenende sind die Messehallen in Rho auch fürs breite Publikum geöffnet.

Hier endlich geht es um Möbel und Einrichtungsgegenstände. Da sieht man etwa ein Regalsystem mit klappbaren Elementen von Nando (für Cappellini), ein bezogener Stuhl von Lenny Kravitz (für Kartell), leichte Sessel von Patricia Urquiola (für B&B Italia) und Karim Rashid (für Chateau d'Ax) oder ein Sofa, besser eine wahre Liegelandschaft, von Piero Lissoni (für Cassina). Bei Masse der Aussteller kann man sich vor Neuheiten kaum retten. Deutlich ist: Immer mehr Brasilianer und Chinesen drängen auf den Markt, wobei oft die Vielfältigkeit des Objektes eine Rolle spielt: etwa bei einem Tisch, der auch ein Hocker ist oder Ablageflache, wie bei dem jungen Chinesen Xiaoxi Shi.

Er und weitere rund 750 Designer der kommenden Generation stellen in zwei Hallen Prototypen aus - in der Hoffnung, einen Hersteller zu finden. Darunter sind auch einige Deutsche, die mit Unterstützung des Mailänder Goethe-Instituts in den Salone gekommen sind. Der Saarländer Thomas Schnur zeigt unter anderem vier Metallwinkel, vier Holzstäbe, vier Holzprofile, vier Kunststoffschienen, vier Kunststoffstifte und eine Platte - diese Fragmente greifen eins nach dem anderen ineinander und bilden einen Tisch. Er sagt, es gäbe schon Interessenten.

Wer allerdings meint, eine übergreifende Tendenz auszumachen, wird oft schon am nächsten Stand von gegenteiligen Prognosen überrascht. Brauchen wir in der Wohnung der Zukunft, wenn wir Musik, Filme und Literatur aus dem Internet herunterlanden, überhaupt noch Platz für Regale, in denen sich CDs, DVDs oder Bücher stapeln? Und doch werden immer noch Regalsysteme in allen Formen und Farben angeboten, zum Beispiel ganz praktisch wie die vielen kleinen Module, die Giulio Iacchetti für Meritalia entworfen hat.

Auffallend sind die hellen Farben, oft überwiegt das Weiß (Tische, Schränke, Sofas), Leichtigkeit und Durchsichtigkeit sind Trumpf (etwa in den Stühlen) und wie in den vergangenen Jahren werden immer mehr natürliche Materialien wie Holz eingesetzt. Nachhaltigkeit gewinnt auch bei Design-Produkten, die vorwiegenden zum Luxusbereich gehören, an Bedeutung. Aus dem Material alter Weinfässern entstehen zum Beispiel in den Werkstätten einer Anstalt für Drogenentzug (San Patrignano) Stühle, Liegen oder sogar ein Schaukelpferd.

Design für alle? Demokratisches Design?

Unter Designern wird immer öfter darüber diskutiert, wie wichtig es sei, breite Bevölkerungsschichten für den Umgang mit Formen zu interessieren. Design für alle? Demokratisches Design? Lange Zeit galt ein Anbieter wie Ikea in der Mailänder Möbelbranche als rotes Tuch. Der schwedische Weltkonzern würde nur Billigprodukte liefern und Design-Formen frech abkupfern. Noch heute kommentiert Carlo Guglielmi, Chef von Fontana Art und Vorsitzender des Messe-Veranstalters Cosmit: "Die Leute gehen einmal zu Ikea, und dann kommen sie nach sechs Monaten zu uns."

Doch inzwischen lässt Ikea verstärkt in Norditalien produzieren, lombardische Partner haben wieder den Platz von asiatischen Zulieferern eingenommen - und seitdem ändert sich die Stimmung. So sind die Schweden zum ersten Mal überhaupt auf der Mailänder Design-Woche vertreten und präsentieren ihre neueste Kollektion "Uppleva" - in Möbel integrierte Unterhaltungselektronik wie Flachbildschirme. Allerdings treten sie damit nicht in den Messehallen auf, sondern bislang nur auf dem Fuori Salone (Zona Lambrate). Dort eben, wo es das Volk hinzieht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: