Modellprojekt:Tropische Früchte aus der oberfränkischen Provinz

Modellprojekt: Auch Maracujas wachsen in dem Tropenhaus.

Auch Maracujas wachsen in dem Tropenhaus.

(Foto: Ralf Schmitt/Tropenhaus am Rennsteig)

Köche schwören neuerdings auf Maracujas, Papayas und Guaven aus einem bayerischen Tropenhaus. Die Geschichte eines Dschungelabenteuers.

Von Marten Rolff

Wer im oberfränkischen Kleintettau aus dem Auto steigt, dem erschließt sich erst mal nicht, warum ausgerechnet hier ein Garten liegen soll, den sie "Klein-Eden" nennen. Schließlich ist die Region nicht ohne Grund auch als bayerisches Sibirien bekannt. Hier, auf 700 Meter Höhe, geht selbst im Mai noch ein frostiger Wind. Die großartige Aussicht führt weit über die Wipfel des Frankenwaldes, Thüringens Wintersportgemeinden sind näher als die unterfränkischen Weinbaugebiete. Man denkt also eher an Tannenzapfen, Kiefernharz oder Pilzpfannen als an Papayas, Guaven, Maracujas oder Tamarillos. Und doch liegt genau hier Europas vielleicht vielversprechendstes Anbaugebiet für exotische Früchte.

Der seltsame Gegensatz verfehlt seine Wirkung bei kaum einem der Besucher, die hier zu Führungen anreisen: Ein Dorf im toten Winkel zwischen Coburg und Saalfeld, Grashänge, auf denen Galloway-Rinder weiden, und dahinter glänzen im Sonnenlicht plötzlich zwei extrahohe Gewächshäuser, die wirken, als probe das deutsche Raumfahrtzentrum in Kleintettau die Selbstversorgung für eine Marsexpedition.

Modellprojekt: Geheizt wird mit Abwärme, gewässert mit Regen, gedüngt mit Fischexkrementen

Nicht weniger erstaunlich wirken die Eckdaten: Das "Tropenhaus" am Rennsteig ist ein von der Europäischen Union gefördertes Modellprojekt, das Schule machen soll, denn die Energie für 3400 Quadratmeter Anbaufläche speist sich komplett aus der Abwärme eines hier ansässigen Herstellers für Glasflakons, der Firma Heinz-Glas. Gewässert wird mit Regenwasser, gedüngt mit dem Abwasser einer nachhaltigen Nilbarschzucht. Und von den vielen aromatischen Früchten, die hier wachsen, schwärmen auch Sterneköche. Seit vergangenem Jahr ist der Anbau sogar biozertifiziert.

Das klingt, als müsste man sofort jedes deutsche Firmengelände mit Gewächshäusern pflastern. "Theoretisch wäre das wunderbar", nur sei die Praxis eben anders, sagt in weichem Fränkisch Ralf Schmitt, der das Tropenhaus als Geschäftsführer aufgebaut hat und das Projekt nun als Berater weiterentwickelt. "Eine Pflanze ist ja kein Industrieprodukt. Bei der Planung vor ein paar Jahren dachten die hier noch, du säst aus, es macht wupp, und schon kommt der Lkw und holt die Früchte ab."

Aber so einfach war es dann doch nicht. Noch während er durchs Foyer des Tropenhauses läuft, vorbei an Schautafeln und einem Verkaufstresen mit Papayamarmelade und selbstgemahlenen Chilis in jeder Schärfe, schält sich Schmitt aus seiner Jerseyjacke. Schließlich ist es hier drinnen mit 30 Grad gut doppelt so warm wie draußen auf dem Parkplatz. Das Gewächshaus betritt er dann im T-Shirt, bedruckt mit Palmwedeln und Papageien, was fast wie Tarnkleidung wirkt in diesem tropischen Obst- und Gemüsegarten. Man sieht üppig tragende Bananenstauden, vier Meter hohe Surinamkirschen voll knallroter, süßsäuerlicher Früchte; Kaffee- und Kakaobohnen, Wasserspinat, Ingwer, Piment, Galgant oder Calamondin-Mandarinen, dazwischen Becken für die Nilbarschzucht. Zu jeder Pflanze hat Schmitt eine Geschichte zu erzählen. Wie zum Beispiel zum Gewürzamarant, den er auf Bitte eines Kochs pflanzen ließ und der als Bodendecker nun "förmlich explodiert ist". Oder zu einer Parzelle, auf der Botanikstudenten der Uni Bayreuth zur Lulo-Pflanze forschen.

Auf Besucher wirkt das erst mal wie ein großer Erfolg. Was hier alles wächst, in dieser Größe, nur fünf Jahre nachdem erste Setzlinge in den Boden kamen! Im vergangenen Jahr wurden 250 Kilo Maracujas geerntet, 400 Kilo Sternfrüchte, eine halbe Tonne Guaven oder anderthalb Tonnen Papayas. Und die Erträge lassen sich steigern.

Einerseits wirke das wohl erfolgreich, erklärt Schmitt, andererseits herrsche im Gewächshaus noch "ein ziemliches Kraut und Rüben". Wer wirklich professionell unter Glas exotische Früchte anbauen wolle, der müsse vor allem eins: ausprobieren, scheitern, neu ausprobieren. Kurz: immer wieder umdenken. Es gebe da diese Redensart, sagt Schmitt: "Ein guter Gärtner ist faul, aber er beobachtet viel." Doch machen die vielen Schlüsse, die Schmitt aus seinen Beobachtungen im Tropenhaus zieht, ihn ganz hibbelig. Er komme ständig an einen Punkt, "da würde ich am liebsten alles rausreißen und neu beginnen".

Eine Erkenntnis: Sonne ist wichtiger als gleichbleibend hohe Temperatur

Der Grund dafür, warum ausgerechnet in Kleintettau ein Tropenhaus gebaut wurde, ist vergleichsweise schnell erklärt: Der Chef des hier ansässigen Glasherstellers hatte sich auf einer Cornwall-Reise vom "Eden-Project" begeistern lassen, einem botanischen Garten, der ebenfalls mit Abwärme funktioniert, aber eine reine Touristenattraktion ist. Also beantragte die Heinz-Glas-Holding EU-Gelder und Regionalförderung und bekam ihr prestigeträchtiges Referenzprojekt "Klein-Eden". Komplizierter war dann die Lernphase, die mit der Berufung von Ralf Schmitt begann und bis heute andauert. 68 Bewerber hatte es auf seine Stelle gegeben. 67 von ihnen waren reine Akademiker, zum Beispiel promovierte Biologen. Als er das von einer Mitarbeiterin erfuhr, "da sagte mir ein Bauchgefühl, dass ich die Stelle sicher hatte", erzählt Schmitt und lächelt fast entschuldigend.

Er war schon früh überzeugt, dass sich eine tropische Nutzpflanzenzucht nicht wissenschaftlich vom Reißbrett planen lässt. Sein beruflicher Gemischtwarenladen bot da bessere Voraussetzungen: Schmitt ist Gärtnermeister, hat die staatliche Fischereiprüfung absolviert und dazu eine Marketingausbildung. Er hatte einen Führungsjob in der Forstwirtschaft, machte einen Lehrgang als Gewürzsommelier und kocht seit der Kindheit "leidenschaftlich".

Beim Rundgang durch das Gewächshaus kann man sich schnell vorstellen, dass all diese Fähigkeiten hier nützlich sind. Der 42-Jährige weiß, wie man die Becken für die Fischzucht mit etwas Basiswerkzeug repariert, aber auch, dass das Fleisch der Nilbarsche eine zarte Schärfe bekommt, wenn man Blätter des mexikanischen Pfefferbaums zufüttert. "Probieren Sie mal eine Kaffeebohne, die sind noch unreif, ein Gourmetrestaurant in Wirsberg macht da köstliches Gel draus", sagt Schmitt etwa und läuft schon wieder weiter. Er telefoniert viel mit Köchen, bietet an, fragt, was gebraucht wird, tauscht sich über Pflanzen und Früchte aus. Die Verbesserungen sind oft mühsam. Mit 15 Sorten Papayas haben sie experimentiert, mit Früchten zwischen 500 Gramm und fünf Kilo. Die kleineren Sorten wurden süßer. Das Restaurant im nahen Wirsberg nimmt inzwischen so viele Früchte aus Kleintettau an wie möglich. Weil die Qualität so gut sei und der Transport einfach, sagt Tobias Bätz, der Küchenchef dort, "fränkische Papaya - das macht die Gäste neugierig." Sogar die Kerne lassen sich als Delikatesse vermarkten. Und einige asiatische Familien aus dem Landkreis kommen inzwischen zum Tropenhaus, um dort das Nötige zum Kochen einzukaufen.

Gut möglich, dass sie im Frankenwald bald Kochkurse geben. Thema: exotische Früchte

Doch aus der Nachfrage ergeben sich für Schmitt neue Probleme: Papayabäume schießen geradezu in die Höhe, neun Monate nach dem Setzen ist schon die erste Ernte möglich. Klingt gut, doch leider stoßen die Bäume bereits im dritten Jahr an die Glasdecke. "Wir haben sie abgeschnitten, aber das mögen sie nicht", sagt Schmitt. Die Früchte werden danach nur noch halb so groß. Soll man die Bäume also alle drei Jahre rausreißen und neue pflanzen?

Sie haben viel gelernt in den vergangenen Jahren. Zum Beispiel, dass die gleichbleibend hohe Temperatur für den Rhythmus der Pflanzen eher eine untergeordnete Rolle spielt und sie sich allein nach der Sonne richten, was sich natürlich im Fränkischen ganz anders auswirkt als am Äquator. Das ganze Thema sei "noch voller Fragezeichen", sagt Ralf Schmitt. Sein Fazit bisher gelte für viele Lebensbereiche: "Was du für den Gipfel hältst, ist nur eine weitere Stufe. War das jetzt Sokrates?"

Schmitt würde sich Nachahmer für das Projekt wünschen; bei all der Abwärme, die überall ungenutzt bleibt. Etwa fünf Vertreter anderer Firmen kommen pro Jahr, um sich das Tropenhaus anzusehen. Die winkten aber bisher ab. Zu kompliziert. Zu teuer. "Die Leute erwarten einen Selbstläufer, der Profit abwirft". Ralf Schmitt findet indes nicht, dass man unbedingt profitabel arbeiten muss, "eine schwarze Null reicht völlig, schließlich ist ein solches Projekt für ein Unternehmen ein tolles Marketingtool."

In Kleintettau machen sie jährlich derzeit noch 50 000 Euro Minus. Aber das Tropenhaus ist eine Forschungseinrichtung, die nicht wirtschaftlich ausgerichtet sein darf. Die Baukosten von fünf Millionen Euro wurden zu 90 Prozent aus Fördermitteln finanziert. Es gibt die Zusammenarbeit mit der Universität Bayreuth, Seminare oder Führungen für Schulklassen. Der Verkauf der Früchte trägt zum Unterhalt bei. In zwei Jahren fallen die Auflagen allerdings weg, dann darf das Tropenhaus auch wirtschaftlich arbeiten. Ralf Schmitt glaubt, dass Kostendeckung so sehr gut möglich ist. Er fände ein Restaurant mit Gastköchen und Kochkursen am sinnvollsten. Wo Besucher Früchte, die sie vorher riechen, sehen und anfassen, auch zubereiten. Am Ende aber, sagt Schmitt, gehe es auch im Minitropenwald um Landwirtschaft. Bedeutet: "Wirklich reich wird da selten einer, und man muss oft umgraben."

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