Mode:Wie man das perfekte weiße T-Shirt findet

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Von wegen schlichte Kleidung: das weiße T-Shirt (Foto: N/A)

Kein Kleidungsstück ist so zeitlos schön wie das blanke T-Shirt. Aber wehe, man sucht mal eins, das richtig gut passt. Ein Leidensbericht und acht Tipps.

Von Jan Stremmel

Das Problem begann am Kragen. Eine Naht ging auf, bald war der Spalt so breit, dass zwei Finger durchpassten. Da war klar: Es ist vorbei mit uns. Zeit für ein neues Lieblingsshirt. Drei Jahre war es her, dass ich es gefunden hatte. In einem Walmart in Nevada, eingeschweißt in Plastikfolie, drei Stück für zehn Dollar, Fruit of the Loom "Sure Fit", Größe L.

Ein schön schmaler Rundkragen, nicht zu eng, nicht zu weit, blickdichte Baumwolle, nicht zu dünn, nicht zu dick. Die Schulternaht saß genau über dem Ende des Schlüsselbeins, und die Ärmel endeten exakt an einer Stelle, an der es rätselhafterweise so wirkte, als hätte ich muskulöse Oberarme. Ich kaufte das Dreierpack ungeöffnet und bereue seither, nicht gleich zehn genommen zu haben. Das Modell wird in Deutschland nicht verkauft und in den USA offenbar nicht mehr hergestellt. Man bekommt es nicht mal mehr bei Ebay.

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Die Suche nach einem neuen Lieblingsshirt dauert bald drei Monate. Sie hat mich in fast alle Klamottenläden der Münchner Innenstadt geführt, ins Büro einer Modeprofessorin sowie ein halbes Dutzend Mal zur Postfiliale, um Pakete hoffnungsvoll abzuholen und tags darauf enttäuscht wieder zurückzuschicken. Die Suche war bis heute nicht richtig erfolgreich, aber ich habe in ihrem Verlauf ein paar wichtige Dinge gelernt.

Zum Beispiel, warum Giorgio Armani das weiße T-Shirt für "das Alpha und das Omega des Mode-Alphabets" hält. Seine Begründung dafür steht als Vorwort in einem Bildband namens "The White T", der sich komplett diesem Kleidungsstück widmet: "Das kreative Universum beginnt mit seiner Wesentlichkeit und endet, egal welchen Weg die Fantasie einschlägt, mit seiner Reinheit." Sagt also der große Armani. Und wird dann zum Glück etwas konkreter: "Es übermittelt mehrere Dinge. Einmal ein Gefühl der Sauberkeit, das tiefer geht als die oberflächliche Bedeutung des Wortes. Und zweitens, was widersprüchlich wirken mag, einen ungenierten Sex-Appeal. Ein weißes T-Shirt formt den Busen einer Frau oder die Brust eines Mannes auf begehrenswerte Art, ohne vulgär zu werden." Damit hat er absolut recht.

Aber leider verrät er nicht, wo man ein gutes Shirt herbekommt, das so funktioniert, wie er es beschreibt: als schlichte, sexy Hülle für den Oberkörper, als stilvolle Bühne für Kopf und Restkörper. Das einzige weiße Armani-Shirt, das ich gefunden und anprobiert habe, hatte jedenfalls ein auffälliges Logo auf Leistenhöhe. Damit ist für mich die Grenze zum Vulgären überschritten.

Menschen lieben das weiße T-Shirt, weil es fast jedem schmeichelt. Ich bin eher schmal gebaut, das Shirt macht mich breiter. Von Natur aus breiten Männern verpasst es eine V-Form.

Justin Bieber wiederum mag am liebsten weiße T-Shirts, die oben gut sitzen, aber unten bis zum Oberschenkel hängen. Bisher ließ er sich die maßschneidern, aber seit Anfang August gibt die Firma Hanes, der wohl älteste T-Shirt-Hersteller der Welt, eine Sonderkollektion mit Justin Biebers Lieblingsschnitt heraus. Beneidenswert.

Das weiße T-Shirt passt zu allen Hosen und sieht nie schlampig aus. Der sehr geschätzte Kollege aus der Moderedaktion, den ich hin und wieder um Stylingtipps bitte, lässt es mich sowohl zur Jeans als auch unters Sakko tragen, zu Sneakern und Anzugschuhen. Ich ziehe es auch zum Sport und zum Schlafen an, wegen seiner Vielseitigkeit geht es mir zurzeit wie nach einer überstürzten Trennung - wie sehr ich es brauche, ist mir erst klar, seit es weg ist. In einer amerikanischen Umfrage gaben vor ein paar Jahren 91 Prozent der Teilnehmer an, ein Lieblingsshirt zu haben (jeder Dritte sagte: ein weißes).

Für die Suche nach einem Ersatz für mein Lieblingsshirt bin ich ins Internet gegangen und habe kistenweise Baumwollshirts bestellt. Eines für 80 Euro bei Sunspel, einem alten britischen Traditionsschneider. Aber auch eines für 2,53 Euro bei einem Händler aus Niedersachsen, der Klamotten-Rohlinge für Firmen oder Junggesellenabschiede beflockt. Man soll mir nicht nachsagen, ich hätte nicht alles versucht. Und dass ein gutes weißes T-Shirt viel kosten muss, kann man zumindest nach einem Blick in die Geschichte nicht behaupten. Es stammt ursprünglich von der US-Marine. Die Seeleute trugen es seit 1913 als neues Unterhemd, bei dem man keine Brust- und Achselhaare sehen sollte. Das weiße Baumwollshirt war günstig, stabil, trocknete schnell, diente zusammengerollt als Kopfkissen und notfalls als Verbandmull.

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Von den Schlachtschiffen des Zweiten Weltkriegs kam das "Viertelarm-Unterhemd", wie es damals hieß, heim zu den Arbeitern und wurde dank Marlon Brando und James Dean ab den Fünfzigerjahren zur "kraftvollsten Mode-Metapher des Jahrhunderts" (schrieb die Vogue, als das Jahrhundert fast vorbei war). Zum "Anti-Statussymbol, das Reiche wie Arme ganz ohne Kastenunterschiede in Baumwolle hüllt" (sagt Giorgio Armani). Kein einziges weißes T-Shirt mehr im Schrank zu haben, fühlt sich jedenfalls so an, als hätte man plötzlich überhaupt nichts mehr zum Anziehen.

Bei meiner Suche soll auch der stationäre Einzelhandel eine Chance bekommen. Also ab in die Innenstadt. Aber obwohl mein Forderungskatalog bescheiden ist (bitte kein Logo, keine Brusttasche, kein V-Ausschnitt), ist die Ausbeute enttäuschend: bei Hirmer, dem großen Münchner Herrenmodehaus, legt mir die nette Verkäuferin ganze zwei Shirts hin. Eins davon ist von Calvin Klein und so kunstvoll luftig gewebt, dass meine Brustwarzen durchscheinen. Das andere nehme ich mit zu Sabine Resch. Sie ist Studienleiterin für Modejournalismus an der Akademie Mode & Design in München und hat sich bereit erklärt, mich zu beraten.

Wie ein T-Shirt sitzen sollte, habe ich bereits auf Styleblogs nachgelesen: Von jeder Seite des Bauchs muss man eine zwei Zentimeter breite Stofffalte greifen können, nicht mehr, nicht weniger. Die Ärmel müssen in der Mitte des Bizeps enden, nicht höher, nicht tiefer. Der Kragen sollte keinesfalls weiter ausgeschnitten sein als die Oberkante der Achseln.

Schön und gut. Mein Problem fängt aber schon früher an: Das billige Shirt von H&M ist zu elastisch und in meiner Größe zu schmal. Die teureren fünf Variationen von COS verwandeln meinen Oberkörper allesamt in ein quadratisches Segel. Das 80-Euro-Shirt aus Großbritannien passt zwar wie im Styleblog empfohlen, ist aber so fein gewebt, dass der Bund meiner Unterhose durchschimmert. Das Hemd von Hirmer, Marke Ragman, würgt am Hals, der Ärmel endet am Ellbogen, das billige von Fruit of the Loom hängt mir weit über den Hintern - vielleicht was für Justin Bieber. Wie soll ich mit diesem Ausgangsmaterial ein Shirt finden, das meine Brust "begehrenswert formt, ohne vulgär zu werden"? Sabine Resch seufzt.

Dann fährt sie mit den Fingerspitzen über die Stoffe: Kriterium Nummer eins sei der Stoff. "Erst mal mache ich den Handtest. Mag ich die Transparenz, mag ich den Elasthan-Anteil? Das hier von Fruit of the Loom fühlt sich so hart an wie Papier und ist dünn gewebt - furchtbar." Als Nächstes sei eine grundsätzliche Entscheidung nötig: Slim Fit oder Regular Fit? "Wer einen Bauchansatz verdecken will, nimmt gerne Regular Fit. Aber damit hängt das Shirt dann oft wie ein Zelt. Ich rate eher zu Slim Fit, aber eine Nummer größer.

Den Bauch sieht man sowieso." Dann legt sie alle Shirts Kante auf Kante übereinander: "Guck mal, alle haben die gleiche Größe. Aber die Schulterlängen sind komplett verschieden." Das mit der schmalsten Schulter zieht sie heraus. "Probier das mal." Was ist mit der Kragenweite? "Da musst du einfach die Marke finden, die für dich am besten passt. Der Kragen ändert sich auch nicht, wenn du eine Nummer größer nimmst." Weg mit dem Hirmer-Shirt also. Dagegen findet sie meine Klage über die Länge der Ärmel unnötig: "Einfach zweimal sauber hochkrempeln, und zwar bevor du es anziehst. Zack, fertig, sieht super aus!"

Hat sie vielleicht recht? In dem Bildband, direkt hinter Armanis feurigem Vorwort, sieht man Dutzende Schwarz-Weiß-Fotos von Matrosen im T-Shirt, kleine und große, schmale und breite. Irgendwie steht es allen super. Und irgendwie sieht keiner aus, als hätte er sich je Gedanken über Ärmellänge oder Kragenweite gemacht. Nun ja, hat Sex-Appeal nicht auch viel mit Lässigkeit zu tun? Der Werbeslogan für das erste T-Shirt, das Hanes 1930 an Zivilisten verkaufte, lautete jedenfalls: "It's practical, correct either way." Passt schon - übrigens genau wie das Shirt, das Sabine Resch mir ausgesucht hat. Es ist von C&A und kostet 12,99 Euro im Zweierpack.

© SZ vom 26.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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