Mode und Politik:Schulz-Brille oder Kohl-Gestell?

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Zwei Brillenträger in der Politik: Helmut Kohl (links) und Martin Schulz. (Foto: Getty Images/laif)

Die Sehhilfen deutscher Politiker haben alle eine Botschaft. Es gilt die Devise: Bloß nicht zu sehr anecken!

Von Dennis Braatz und Julia Werner

Wenn am 24. September ein neuer Bundestag gewählt wird, hat Martin Schulz es geschafft. Er hat den Wahlkampf ohne optische Korrektur bestritten. Dabei haben dem SPD-Kanzlerkandidaten selbsternannte Stilcoaches, Berliner Promifriseure und sogar seine eigenen Twitter-Abonnenten in den vergangenen Monaten immer wieder empfohlen, etwas mehr aus sich zu machen, etwa durch schnittigere Anzüge oder eine gründliche Rasur. Ihr häufigster Rat: eine neue Brille, bitte! Aber warum eigentlich?

Wer Schulz ins Gesicht schaut, stellt zunächst einen deutlichen Kontrast zwischen runder Kopfform und rechteckigen Gläsern fest. Damit hat er laut Optiker-Faustregel alles richtig gemacht: Haben Wangen und Kinn ungefähr die gleiche Breite, macht das die Gesichtsform kreisförmig und eckig-markante Gestelle zum passenden Gegengewicht. Seine Gläser sind unten randlos und oben durch dunkles Metall verstärkt. Das ist durchaus dezent, wären da nicht diese unverhältnismäßig breiten Bügel, die den Gedanken an leichtfüßig elegantes Durchregieren gar nicht erst aufkommen lassen. Nein, die Schulz-Brille ist die Brille, durch die mittlere Angestellte angestrengt auf ihren grauen Laptop starren, wenn sie morgens kostenbewusst den Sechs-Uhr-Flieger nehmen. Also nicht die, mit welcher der Boss später um elf in der Business Class lässig die Tageszeitung liest.

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So gesehen kann man sagen: Wenn die Kanzlerbrille die ultimative Chefbrille sein soll, dann hat Martin Schulz nicht ideal gewählt. Aber Wahlen werden ja nicht durch Sehhilfen entschieden, sondern durch Inhalte. Und ein bisschen Wählerbauchgefühl an der Urne. Das muss man als Brillenträger schon treffen. Denn zur emotionalen Kommunikation mit den Menschen, die ihn wählen sollen, hat der Politiker ja vor allem sein Gesicht.

Keiner hatte dafür ein so untrügliches Gespür wie Helmut Kohl. Der bisher am längsten regierende Bundeskanzler trug über alle Legislaturperioden hinweg das gleiche Rodenstock-Modell, mit doppeltem Steg aus silbernem Metall und so groß, dass die Gläser über die Augenbrauen reichten. Kohl kaufte es stets nach. Als es aus dem Programm fiel, wurde es für ihn weiterhin angefertigt, mit extralangen Bügeln. (Rodenstock ist übrigens so etwas wie der Spezialist für Brillen großer Politiker: Bill Clinton, Ronald Reagan und Michail Gorbatschow kauften auch schon hier). So wurden das sperrige Etwas und Kohl eins. Seine Unbeweglichkeit in Sachen Brillenmode, die jahrelang als konservatives Statement funktionierte, wurde aber später zum Sinnbild für die Bewegungsstarre der Republik. Die Brille wurde 1998 abgewählt. Kein Wunder: Fügen sich Gestelle in das Gesicht ein, lassen sie ihre Träger geradliniger dastehen. Sind sie zu klein oder zu groß, ist ihr Design zu dominant oder unauffällig, kann der Mensch schnell deplatziert rüberkommen.

Im Handbuch "Der Moderne Medienwahlkampf" aus dem Jahr 2000 widmete sich ein ganzes Kapitel der perfekten Politikerbrille: "Keine ,Balken' vor den Augen zu haben wirkt sympathisch und erleichtert den direkten Blickkontakt", schrieb damals der Rodenstock-Experte Jürgen Hopf. Und in der Tat setzte Edmund Stoiber in seinem Kanzlerwahlkampf aufs randlose Frühstücksdirektoren-Modell - Konturlosigkeit galt als das neue Maß aller Dinge in Sachen Politikerbrille. Nur den Wähler interessierte der direkte Blickkontakt dann doch weniger als erhofft.

Auch Guido Westerwelle trug lange ein solches Modell, bis er zur dicken, schwarzen Brille wechselte, mit der er endgültig den Schritt vom aufgedrehten Parteivorsitzenden zum ruhigeren Außenminister vollzog. Karl-Theodor zu Guttenberg zeigte sich nach seinem Rücktritt 2011 geläutert, also ohne Adels-Nickelbrille und tauchte mit einem dicken, schwarzen Gestell aus dem US-Exil auf. Das ist die Geheimwaffe des Imagewechsels, weil es selbst einem Mann ohne Mandat virile Dynamik und Existenzialisten-Biss verleiht. Jetzt, wo sich zu Guttenberg zurück in Richtung Politikbetrieb bewegt, präsentiert er sich wieder mit dünnem Modell und der Botschaft: Bin wieder da, alles zurück auf Start.

Männliche Politiker befinden sich grundsätzlich in dem Dilemma, dass ihre Berufsuniform nun mal der Anzug ist. Mode aber ist der Ausdruck der Persönlichkeit, weswegen viele Politiker eher farblos erscheinen. Haarschnitt, Krawatte, bunte Socken, in manchen Fällen die Brille: Mehr Stil- und Spielzeug gibt es für sie oft nicht. Der Mehrheit deutscher Staatsmänner mag das recht sein. Im Kampf um Ämter werden sie dann aber oft mit der Frage konfrontiert, wer sie eigentlich sind, oder besser: sein wollen. Nicht wenige kommen dabei auf den Geschmack. Heiko Maas ist etwa, optisch betrachtet, längst nicht mehr der beflissene Reihenhausspießer, sondern mit seinen schmalen Anzügen und der durchaus schnittigen Brille so was wie der It-Boy im Politikbetrieb - inklusive Fernsehstar an seiner Seite. Politikerinnen haben jedoch im Vergleich viel mehr Möglichkeiten der optischen Inszenierung. Der pragmatische Merkel-Look ist zwar nicht inspirierend, aber immerhin ein Look. Während sie also im ewig gleichen Blazerschnitt und mit einer einzigen Kettenlänge, aber vielen bunten Varianten auf der Weltbühne für etwas Farbe sorgt, macht Schulz aus seiner Provinznot eine Tugend.

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In Berlin nahm er Ende Mai im Willy-Brandt-Haus vor 500 Gästen Stellung zu den Styling-Tipps, die er über soziale Medien erhalten hatte: "Die überwiegende Mehrheit der Menschen in diesem Lande (. . . ) kauft die Anzüge von der Stange oder hat vielleicht auch nur ein Kassengestell bei der Brille. Aber genau das sind die Leute, die dieses Land am Laufen halten." Schulz macht also sein äußeres Erscheinungsbild zum politischen Stilmittel, Botschaft: Ehrlich währt am Längsten, ich bin mit euch auf Augenhöhe! Ob ihm diese Aussage aber hilft, die Wahl zu gewinnen? Fakt ist: Seine Oberflächenbetrachtung hat Schulz damit für die Zukunft sogar noch forciert. Nicht auszudenken, was in Deutschland los wäre, wenn er plötzlich auf ein bourgeoises Schildpatt-Imitat umsteigen würde. Es würde wirken wie Verrat! Noch vor ein paar Jahren trug er übrigens ein feingliedriges Pilotenmodell auf der Nase, mit dem er heute in Berlin glatt als Hipster durchgegangen wäre.

Zu häufig wechseln sollte ein Politiker seine Brille ohnehin nicht. Denn zu viel Eitelkeit kommt den Deutschen schnell verdächtig vor. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann fiel zuletzt durch wechselnde Modelle auf. Vorvergangene Woche gestand er, bei seinen beiden Brillen ab und zu die Bügel zu tauschen, aber er sei - um Himmels willen - doch kein modebewusster Mensch.

Mit einer neuen Brille die Bürden eines neuen Amtes inszenieren, das geht allerdings. Kaum ein deutscher Politiker hat sich so oft neuerfunden wie Frank-Walter Steinmeier. Als Außenminister in der großen Koalition trug er zuerst ein Harry-Potter-Gestell, als er auch noch Vizekanzler wurde, setzte er auf ein Modell mit unauffälligem Goldrand. Als Bundespräsident ist auch er nun beim dickrandig schwarzen Modell angekommen, das die Würde des Amtes gewichtig wiedergibt.

Die Schulz-Brille hätte also, siehe Kohl, das Potenzial zum Kult-Accessoire. Sie wäre der Dornenkranz unter den Kanzlerbrillen, die gestellgewordene Garantie des SPD-Kandidaten, die lautet: Ich werde immer einer von euch sein, egal wie viel Kaviar ich löffle. Zu ihr zu stehen ist also der einzig mögliche Schachzug - wenn Schulz die Wahl verliert, sollte er das und sein Ding auf der Nase aber mit Fassung tragen.

© SZ vom 02.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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