Mode-Revival der Neunziger:Willkommen zurück

Joseph Fall/Winter 2013

Josephs Herbst-Winter-Kollektion 2013/2014 ist schnell beschrieben: Die meisten Outfits sind schwarz oder weiß, es gibt ein bisschen Farbe und abstrakte Muster.

(Foto: Joseph PR)

Die Neunziger sind wieder da - wer das hört, denkt sofort an Grunge. Tatsächlich war es das erste Jahrzehnt, für dessen Look man sich im Nachhinein nicht schämt. Zu verdanken ist das Labels wie Joseph, das sich ein neues Image zulegte, indem es an das alte anknüpfte.

Von Rebecca Casati

Wer nach dem nunmehr abgewickelten Sommer 2013 genau hinsieht, erkennt auf den Straßen internationaler Großstädte bereits das Nineties-Revival. Wer es ernst mit der Mode meint, aber ehrlich mit sich ist, kennt aber auch die Regel: Mach' niemals das Revival mit, wenn du schon beim Original dabei warst. Angewandt auf den September 2013 könnte das also heißen: Liebe Stefanies, Claudias, Nicoles und wie euch eure Eltern in den Siebzigern sonst noch gern getauft haben. Halt, stopp, wenn ihr mit einem geblümelten Bubikragenkleid liebäugelt, das so verschossen und vertraut am Boutiquen-Bügel hängt.

Für euch, - Markus, Thomas und Michael - gilt derweil: Überlasst die Anzug-Turnschuh-Kombi einer neuen Boyband. Denn ihr, liebe Dreißig- bis Vierzigjährige, seid nicht gemeint mit Grunge-Comeback oder Nineties-Revival. Nicht dieses Mal, nicht noch einmal. Theoretisch.

Denn - andererseits sind es genau diese Generationen, die heute Dreißig-Vierzigjährigen, die die Generationen-Regeln in der Mode geknackt haben. Ohne Bedacht, ohne Hintergedanken oder Revolutionsimpuls, eher, im Gegenteil, mit der passiven Weigerung, bis spätestens 28 erwachsen zu werden und sich auch die dementsprechende Garderobe zuzulegen. Sie machten einfach weiter damit, so auszusehen, wie sie nun einmal aussahen. Was deshalb möglich war, weil sich ihre Langzeit-Garderobe nur ein kleines bisschen an kleinen Schmuddelmädchen und -jungs, ansonsten aber an Uniformen und Streetwear orientierte und deshalb recht clever und zeitlos gewählt war.

Die Neunziger sind jedenfalls das Jahrzehnt, in dem man keine exaltierten Modesünden mehr beging. Die Jeans saßen aus heutiger, elasthanprozentiger Sicht vielleicht noch etwas beulig, und auch die Woopie-Goldberg-Drew-Barrymore-Dauerwelle würde heute eher niemandem mehr passieren. Ansonsten aber ist vieles, was damals auftauchte, einfach nicht wieder verschwunden. Plateausohlen. Sandra Bullock-Blockbuster. Supermodels wie Claudia Schiffer, Kate Moss, Stella Tennant, die heute so präsent wie eh und je sind.

Und auch ein Label namens Joseph, benannt nach dem Gründer Joseph Ettedgui, Sohn eines französisch-marokkanischen Möbelhändlers mit jüdischen Wurzeln. Sein Name ist heute vielleicht nicht so bekannt wie der von Miuccia Prada oder Alexander Wang, aber Ettedgui hat ziemlich viel von dem erfunden, was heute für Prada, Wang und für viele, viele andere in der Mode eine große Rolle spielt.

Wer sich in den Neunzigern ernsthaft für Mode interessierte, aber weder die Gelegenheit noch das Geld noch das Alter hatte, in Sachen Garderobe um die Welt zu reisen, hatte neben einer perfekt passenden Armeejacke und dem siebzehnten Paar Vans wahrscheinlich auch eine Hose von Joseph auf seinem Sehnsuchtsradar. Sie war teuer, über 100 Pfund, was damals ein Vermögen für eine Hose war. Aber sie war auch die erste, die männlich geschnitten war und an Frauen sensationell saß, was mehrere Gründe hatte.

Zum einen benutzte Joseph lange vor den meisten Jeansherstellern Elasthan für seine Hosenstoffe. Manche Modelle hatten Trainingsstreifen an den Seiten, was sie stromlinienförmig und sportlich wirken ließ, und auf beides legte man in den Neunzigern höchsten Wert. Viele der Hosenbeine hatten unter dem Knie noch einmal einen Abnäher, was sie steif und uniformhaft auf die Schuhe treffen ließ. Eine Frau sah in diesen Hosen wie eine Frau aus, aber gleichzeitig gewappnet und ernst zu nehmend. Clean wie eine Jil-Sander-Frau, aber nicht so amorph. Irgendwie - widerstandsfähiger.

Geschäftsidee: unbekannte Designer

Joseph Ettedgui war gelernter Friseur, 1960 zog er aus Casablanca nach London und eröffnete sein erstes Geschäft auf der King's Road. Seine Interessen gingen weit über Haarschnitte hinaus, zum Beispiel interessierte er sich sehr für Mode. Die Pullover des Japaners Kenzo begeisterten ihn so sehr, dass er sie in seinem Laden zum Verkauf auslegte. Die Kunden nahmen das Prinzip an, Ettedgui zog mit Entwürfen von damals noch völlig unbekannten Designern wie Castelbajac, Azzedine Alaïa oder Yohji Yamamoto nach, das Geschäft florierte und weitere kamen hinzu.

Längst sah Ettedgui sich nicht mehr als Ladenbesitzer, sondern als Stil-Kurator. Mittlerweile stellte er Kunst sowie die Arbeit von Architekten aus, er ließ den damals ebenfalls noch unbekannten Norman Foster einen seiner Läden designen und war der Erste in London, der Prada verkaufte. Seit 1972 verkaufte Ettedgui auch eine eigene Linie, eröffnete ein Café - und erfand auf diese Weise das, was wir heute "Concept Store" nennen. Läden, die dem Konzept von Magazinen ähneln, weil man in ihnen neue Mode, Denkansätze, Stilrichtungen und Künstler entdecken kann.

2000 verkaufte Ettedgui 50 Prozent seiner Anteile an den belgischen Finanzier Albert Frère und an LVMH. 2005 verkauften er und die anderen Anteilnehmer an den japanischen Moderiesen Onward Kashiyama, nunmehr hundertprozentiger Eigner. Erwartungsgemäß taten die vielen Besitzerwechsel der Marke nicht gut, sie dümpelte auf hohem Niveau vor sich hin. 2010 starb Ettedgui an Krebs.

Und dann kam Trotter

2010 heuerten die japanischen Besitzer die Engländerin Louise Trotter, 43, an. Und Trotter ist in der Branche für dasselbe bekannt, was Quentin Tarantino in seinen Filmen mit abgemeldeten Schauspielern hinkriegt: wieder hip machen. Was übrigens viel mehr mit Integrität als mit Trends zu tun hat.

Joseph Fall/Winter 2013

Das Label Joseph bietet eine 24-stündige Tauglichkeitsgarantie für multitaskende Karrieremütter.

(Foto: Joseph PR)

In den Neunzigern arbeitete Trotter in London als Creative Director für Josephs Konkurrenz, die Ladenkette "Whistles", die ein ähnliches Konzept hatten: Multibrand-Stores mit der eigenen Linie und ausgesuchten anderen Labels. Danach ging Trotter für Calvin Klein nach New York, erneuerte das angestaubte Jeanslabel Gap, das unter ihrer Ägide sogar bei "Colette" in Paris verkauft wurde. Nachdem sie, zurück in London, dem Unternehmen Jigsaw neuen Schub gegeben hatte, wurde sie dann schließlich das, was sie heute ist; Josephs Creative Director.

Und - da sitzt sie jetzt, im Pariser Joseph-Atelier in St. Germain; eine kleine, schmale, sehr beredte Frau. Sie spricht in einer tiefen Tonart, wie sie sich viele schmale, kleine Frauen in Chefpositionen angewöhnen. Ihr Akzent ist dafür viel weicher als das Londoner Stakkato, Trotter stammt aus Sundland, das ist "eine Küstenstadt bei Newcastle, viel weiter entfernt von Mode kann man gar nicht sein . . . "

Trotter wollte schon als Kind nichts anderes als Mode machen, in der Schule fand man sie zu intelligent dafür, zu Hause amüsierten sich die Eltern, Papa Ingenieur, Mama angestellt beim Elektrizitätswerk, über ihre Flausen. Die Großmutter aber - wie übrigens häufig bei Designerkarrieren - förderte Louise. Sie war Schneiderin, gab Louise Nähunterricht, die Enkelin durfte sogar ihre Vorhänge zerschneiden.

Und heute, als Creative Director - was genau macht sie da? Sie hat die Oberaufsicht über die Kleiderlinie. Aber eben auch "über hundert Joseph-Läden in England, Frankreich, Amerika und Japan, über die Kooperationen mit Online-Stores wie Net-A-Porter, über die man zusätzliche Exklusivmodelle anbietet, über die Zusammenarbeit mit Händlern oder Kaufhäusern, wie in Deutschland KaDeWe oder Breuninger, über die Kooperation mit den anderen Labels, die man in den Läden anbietet, über das Management, Image . . . " Hier muss sie selber Luft holen. Zwei Kinder hat sie auch noch, eines drei Jahre, eines siebzehn Monate alt, und morgens weckt und abends badet sie sie, jedenfalls wenn sie in London ist, denn zwei Wohnsitze hat sie auch noch. Und einen sehr verständnisvollen Mann, für den sie Gott - sehr ehrfürchtig! - dankt.

Der doppelte Standort ist heute wichtig. Er war es schon für Joseph Ettedgui, der sein Atelier stets in Paris hatte. Auch andere Labels profitieren heute enorm von der Wechselwirkung zweier Städte. Erst wer beispielsweise französisches Heritage mit britischem Gespür für Popkultur konsolidieren und vermitteln kann, macht Weltkarriere, übrigens auch nicht von ungefähr seit den Neunzigern; 1993 ging der Eurostar in Betrieb, der bereits Stella McCartney oder Phoebe Philo Karrieren in Paris und Familienleben in London ermöglichte.

Die Kleider, die Trotter entwirft, sind für Frauen wie sie gedacht und haben auch viel mit ihr zu tun. Man mag sie auf Anhieb, weil sie no nonsense sind. Keine Schnürungen, Rüschen, Pünktchen, Ringel. Dafür viel Schwarz, Weiß, etwas Orange, etwas Pink. Und wenn Muster, dann grafisch und abstrakt. Trotters Klientel sind 30-, 40-, 50-jährige Karrierefrauen, die Kinder haben und mobil sein müssen. Referenzpunkt der aktuellen Herbst-Winter-Kollektion sind auf jeden Fall die Neunziger, um nicht zu sagen: Joseph in den Neunzigern.

Spiel mit Erinnerungen

Es geht um definierte Diskretion, also um einen Schnitt, der mehr auf Linie, weniger auf Figur zielt. Abgesehen von einem silbernen langen Slipdress vielleicht, bei dem modeinteressierte 40-Jährige nun mal sentimental werden müssen, weil es sie an einen der großen Modemomente der Neunziger erinnert; einen berühmten Paparazzischuss, auf dem Kate Moss in einem fast durchsichtigen, bodenlangen Silberfähnchen auf einer Party stand.

Josephs Kernkompetenz liegt heute bei Pullovern und Mänteln, vor allem aber da, wo sie auch vor zwanzig Jahren lag: bei den Hosen. Es sind solche, die zu flachen Schuhen ebenso gut wie zu Stilettos passen, was für Frauen eine ganze Menge mehr bedeutet als einen angenehmen Nebeneffekt. Zum Beispiel, dass sie darin morgens auf Loafers zum Kindergarten und zum Zug hechten und vormittags auf High Heels in ein Meeting gleiten können, und das jeweils würdevoll, ja sogar todschick (die Taschen, in denen man das Extra-Paar Schuhe verstaut, macht Joseph seit dieser Saison auch, Katie Hillier, vielleicht die hipste Person auf diesem Planeten, hat sie designt).

Trotter mag das Wort "androgyn" nicht, vielleicht weil das dann doch zu undifferenziert an die Nineties erinnert. Das Wort "Empowering" passt vielleicht eh besser zu ihren Kleidern. Leider klingt die deutsche Übersetzung: "jemanden mit Macht ausstatten" etwas unelegant. Dabei ist es eines der besten Wörter überhaupt. Und beschreibt den größten Gefallen, den ein Designer einer Frau tun kann, und das gilt für alle Zeiten.

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