Mode:Na, spielen wir eine Runde Designer-Roulette?

Riccardo Tisci

Dunkler Lord, jetzt bei Burberry: Riccardo Tisci.

(Foto: imago)

Burberry, Céline und Louis Vuitton nominieren Kreativchefs wie nach dem Zufallsprinzip. Das verspricht Aufmerksamkeit, gefährdet aber die Identität der Marke.

Von Tanja Rest

Es war zunächst alles wie immer, was bedeutete, dass es einen Designerposten zu besetzen gab und die üblichen Verdächtigen bereits lautstark zu wissen glaubten, wer exakt das Zeug dazu habe, worauf sich monatelang trotzdem nichts tat, bis das Burberry-Management schließlich mitteilte, dass die Wahl auf Riccardo Tisci gefallen sei. In dem Moment schnappte eine ganze Branche nach Luft. Tisci - echt jetzt?

Man muss sich das vorstellen: Da ist auf der einen Seite ein vor 162 Jahren gegründetes Traditionshaus, Inbegriff von Wetterfestigkeit, Bollwerk der Britishness, berühmt für sein Tartanmuster, Gabardinestoffe und den nieseldichten Trench. Und da ist auf der anderen Seite Riccardo Tisci, 43, von Givenchy kommender dunkler Lord, Verfechter der Straße, Freund von Rappern, stilistisch irgendwo zwischen "Highway to Hell" und "La Traviata" angesiedelt. Wie geht das zusammen? Gar nicht, da waren sich alle einig, wobei den einen sogleich süßes Adrenalin in die Blutbahnen schoss, während die anderen bloß den Kopf schüttelten.

Burberry sei als Marke immer anspruchsvoll, aber nie einschüchternd gewesen, empörte sich die langjährige Chefin der britischen Vogue, Alexandra Shulman: "Du musst nicht Teil einer Winzgruppe von Wissenden sein, um es zu tragen. Es geht auch nicht um irgendeine irre Wartelisten-Mentalität. Genau das ist doch der Punkt, oder?" Was soll man sagen. Genau das ist der Punkt womöglich nicht mehr.

Neben Tisci gab es interessanterweise zwei ganz ähnliche Personalien, also ähnlich burlesk. Die Herrenlinie des Luxusgiganten Louis Vuitton verantwortet in Zukunft, kein Witz, der frühere Kreativdirektor von Kanye West: Virgil Abloh heißt er, gilt als Erfinder der sogenannten Haute Streetwear und Superheld der Millennials. Hedi Slimane wiederum, der bei Saint Laurent vier Jahre lang dem Sex und dem Punk gehuldigt hat, wird zu Céline berufen, wo der Minimalismus und die selbstbestimmte Frau schlechthin zu Hause sind, na, im Moment jedenfalls noch. Zuvor war Slimane als sicherer Nachfolger für Karl Lagerfeld bei Chanel gehandelt worden - nur ein Beispiel dafür, was man in der Branche inzwischen zu glauben bereit ist. Jedenfalls stellt sich die Frage, ob sie in der Mode nur das Augenlicht verloren haben oder doch den Verstand.

"Wir leben in einer Ära, in der Modemarken offenbar nur noch leere Gefäße sind."

Unbestritten ist natürlich: Alle drei Herren, Tisci, Slimane wie Abloh, haben an ihren früheren Arbeitsplätzen todschicke Umsatzzahlen produziert. Alle drei verstehen sich außerdem auf die Zeichensprache des Streetwear, des wichtigsten Trends der Gegenwart (du kannst als Luxusgigant die Leute mit Fuchsjacken und Krokotaschen heute nur so zumüllen, wenn du kein glaubwürdiges Paar Turnschuhe im Sortiment hast, bist du erledigt). So weit die unternehmerische Vernunft. Davon abgesehen kann man es doch ein bisschen wahnsinnig finden, dass ein Modehaus nach dem anderen seine Identität gerade meistbietend verhökert.

Dabei ist es noch keine zwanzig Jahre her, als das Dogma geboren wurde, dem zufolge man sich niemals weit vom Kern einer Marke entfernen dürfe. Mit der Ankunft von Internet und Social Media waren damals alle sichtbar geworden: nicht nur die Models auf dem Laufsteg, sondern auch die gemieteten Celebrities in der Front Row, die Selbstdarsteller draußen vor der Tür und die Nachahmer an den Bildschirmen rund um den Globus. Die Mode hatte auf einmal ungeheure Einschaltquoten, und damit waren Tonnen von Geld im Spiel. Die Zahl der Labels explodierte, die Schauenkalender der internationalen Fashion Weeks wurden immer länger und voller. Und in den Kreativabteilungen der alten Häuser stellte man sich die bange Frage: Was unterscheidet uns eigentlich noch von den anderen?

Das Ergebnis war ein Akronym, aus der Biologie importiert. DNA. Der Bauplan, der das Wesen einer Marke definierte. Wenn irgendwo ein neuer Designer übernahm, so wurde von ihm ein doppelter Kratzfuß erwartet: das ausführliche Studium des Firmenarchivs sowie das Versprechen, dass er die DNA des Hauses achten werde. Bei der Show wachte dann die versammelte Modekritik darüber, ob das Versprechen eingehalten worden war, es waren oft noch Leute, die ihr halbes Leben an eben diesem Laufsteg gesessen hatten. In einer beliebigen Saison der Nullerjahre konnte man deshalb sicher sein, dass es bei Dior Schößchenjacken geben würde, bei Burberry Karomuster und Jetset-Klamotten bei Gucci. Noch im Herbst 2012, als Hedi Slimane sein umstrittenes Debüt bei Saint Laurent zeigte, fühlte sich Pierre Bergé, der Grandseigneur der Marke, zu dem Satz genötigt: "Er hat das Erbe von Yves Saint Laurent respektiert." Das war damals ein Freispruch, wäre inzwischen aber nicht mehr viel wert.

"Wir leben in einer Ära, in der Modemarken offenbar nur noch leere Gefäße sind, die man nach Lust und Laune mit neuen Inhalten füllen kann", schreibt Alexandra Shulman. Das klingt erst mal schwer beleidigt. Ist es nicht die oberste Pflicht der Mode, den Zeitgeist immer wieder neu zu destillieren? Der Zeitgeist will gerade Rapper und Turnschuhe an allen Fronten, er hat die Modekritik entmachtet und an ihre Stelle das junge Völkchen der Influencer gesetzt, die gar nicht mehr wissen, dass Yves Saint Laurent im Herbst 1965 ein Kleid mit grafischem Muster zeigte, das als Mondrian-Kleid Modegeschichte schrieb. Und selbst wenn - who cares?

Demna Gvasalia war 2015 der Erste, der das Unaussprechliche in Worte fasste. Als er Kreativchef des ehrwürdigen Hauses Balenciaga wurde, kam reflexhaft wieder die DNA-Frage auf. Gvasalia sagte, er nehme das Erbe von Cristóbal Balenciaga demütig zur Kenntnis, fühle sich daran aber nicht weiter gebunden: "Ich muss meine eigene Sprache sprechen." Ähnlich ging der Gucci-Designer Alessandro Michele die Sache an: Er ließ den alten Jetset von Tom Ford links liegen und erfand einen eskapistischen Glitter-Look für Nerds. Bezeichnenderweise belegten Gucci und Balenciaga auf dem Lyst-Index der heißesten Modemarken 2017 die Spitzenplätze.

Kurzfristig kann es sich also lohnen, die in Jahrzehnten mühsam aufgebaute DNA einzureißen. Was aber geschieht, wenn sich der neue Look erschöpft hat und der Designer weiterzieht? Was ist dann noch übrig von der Marke, beziehungsweise: Wer kehrt die Trümmer zusammen?

Im Herbst 2017 zeigte die Britin Clare Waight Keller ihre erste Show für Givenchy, sie folgte auf eben jenen Riccardo Tisci, der nun zu Burberry geht. Tisci hatte bei Givenchy zehn Jahre lang wahre Messen von düsterer Romantik zelebriert, sein Publikum lebte in einem Gefühl der permanenten Eskalation und geilen Entgleisung. Das war nicht mehr zu toppen, klar. Keller versuchte also, wieder ein wenig an das elegante Erbe anzuknüpfen, sie traf Hubert de Givenchy ein Jahr vor dessen Tod und besprach sich mit ihm. Die Kollektion war dann sehr tragbar und schnörkellos modern - kein Triumph, das nicht, aber definitiv ein Anfang. Die Gesichter im Publikum allerdings sprachen Bände, sie zeigten: die purste, leerste Langeweile.

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