Mode:Hautnah

Zum 100. Geburtstag erfindet sich das Deutsche Ledermuseum in Offenbach komplett neu - als Ort, an dem sich Kostbarkeiten begegnen.

Von Anne Goebel

Elefantenhaut? Liegt unerwartet geschmeidig in der Hand. Beim Krokodilleder kurzes Zögern, immerhin streichelt man die Körperhülle eines Kaimans mit dem gruselig langen Kiefer, den flinken Beinen - lieber nur flüchtiges Antippen. Schließlich ein Stück Haut vom Perlrochen, samtweich, leicht genoppt und gar nicht fischig kühl.

Rind und Strauß, Hai und Javaeidechse: So könnte es weitergehen an der "Fühlstation" in Saal eins im Deutschen Ledermuseum. Und es fühlt sich zuallererst einmal seltsam an, reihum die Überreste toter Tiere zu betasten, und dazu braucht man kein Aktivist zu sein. Dabei ist Leder doch nichts anderes als totes Tier, das weiß jeder, aber man verdrängt es gerne, wie den Gedanken ans Schlachten beim Schnitzelessen. Trotzdem ist es ein sinnvoller Auftakt für einen Besuchs des Museums im hessischen Offenbach, nicht eine Tasche oder einen Schuh zu befühlen, sondern das Material an sich. So kann man am besten wertschätzen, was aus Leder entstehen kann.

Eine lederbespannte Teedose, Pariser Reisekoffer - war früher nicht einfach alles stilvoller?

Und das geht neuerdings in lichten, wie durchgelüfteten Museumsräumen. Offenbach, die unansehnliche kleine Schwester Frankfurts, besitzt eine lange Tradition als Lederstadt - und seit 1917 das passende Museum dazu. Vom Reichtum der Kollektion konnten sich Besucher bisher vor dicht befüllten Vitrinen überzeugen, ein Parcours vom afrikanischen Schurz bis zum Krokotäschchen. Die Frau, die jetzt als Direktorin mehr Durchblick schaffen will, steht kerzengerade im Foyer, bereit zum Rundgang. Dezenter Ohrschmuck, schwarze Ankleboots, puderrosa Spenzer (aus Leder, versteht sich): Inez Florschütz leitet das Deutsche Ledermuseum seit drei Jahren, und zum 100-jährigen Bestehen macht sie mit Ausstellungen und engagierter Öffentlichkeitsarbeit auf den neuen Kurs in der Frankfurter Straße 86 aufmerksam. "Unser Schatz", sagt Florschütz, "ist die Sammlung." Man müsse ihn nur zum Leuchten bringen.

Das funktioniert über eine rigorose Auswahl, die einzelne Objekte in den Fokus rückt. In der Jubiläumsschau mit dem etwas gespreizten Titel "Leder. Welt. Geschichte" haben Florschütz und ihr Team jeweils zwei Exponate einander gegenübergestellt. Sie kontrastieren oder ergänzen sich, was simpel klingt, aber effektvoll aussieht - und dem Thema Leder eine erstaunliche Tiefe gibt. Da steht zum Beispiel ein ägyptisches Rohhautgefäß aus dem 4. Jahrtausend vor Christus, wüstensandbraun und ungelenk geformt, vor einem ultraschlichten Over-Ear-Kopfhörer aus Aluminium, Edelstahl und Lammleder von 2014. Und für einen Moment scheint die ganze Menschheitsgeschichte zusammenzuschnurren auf den Versuch, mithilfe von Werkstoffen den Alltag zu vereinfachen. Was bekanntlich, das Leben ist nun einmal kompliziert, nie gelingt. Oder: Eine Tiroler Renaissance-Truhe für häusliches Hab und Gut, lederbespannt - und als Gegenüber ein großes Spielzeugnashorn, aus Bastfaser mit Ledersattel, hergestellt in der DDR. Aus beidem spricht, in ganz unterschiedlichem Kontext, der Wunsch, sich drinnen mit tröstlichen Gegenständen zu umgeben. Die Welt draußen ist unberechenbar genug.

Mode: Minimalismus trifft Pomp: Tasche aus papierähnlichem Vliesstoff von Saskia Diez, davor ein päpstlicher Reisekorb aus dem 17. Jahrhundert.

Minimalismus trifft Pomp: Tasche aus papierähnlichem Vliesstoff von Saskia Diez, davor ein päpstlicher Reisekorb aus dem 17. Jahrhundert.

(Foto: Deutsches Ledermuseum)

Insofern erzählt die Lederschau von Offenbach viel über die Menschen, unsere Fähigkeiten, Sehnsüchte. "Leder begleitet uns ein Leben lang, und das seit Urzeiten", sagt Inez Florschütz. Natürlich kann man die Preziosen, schön arrangiert in luftigen Schaukästen, auch einfach als Ästhet betrachten. Und sich in Details verlieren. All die Kunstfertigkeit, Hingabe an ein Material - anfällige Besucher dürfte das sofort in eine sentimentale Gefühlslage versetzen ("Früher! Da hatte man für so etwas noch Sinn!"). Aber für kleine Fluchten sind Museen ja genau der richtige Ort. Da wären also: Jugendstil-Schnürpumps aus moosgrünem Kalbleder mit geschwungenem Absatz. Ein englischer Teekasten aus Holz, bespannt mit Sternrochenleder in Eisblau. Ein Kofferradio mit Python-Hülle, ein tailliertes ungarisches Aussteuer-Jäckchen aus besticktem Schafspelz, fein geprägte Zigarrenfutterale. Dagegen die E-Zigarette, Tee to go, versenkbare Plastikohrstöpsel: eindeutig weniger stilvoll.

Luxusgegenstände sind natürlicher Bestandteil eines Ledermuseums, weil Tierhaut immer kostbar war. Inez Florschütz, früher viele Jahre am Münchner Architekturmuseum tätig, präsentiert solche Stücke nicht einfach als Nobelrevue. Ein ehrwürdiger Louis-Vuitton-Reisekoffer aus den 1930er Jahren, daneben die Graffiti-Edition einer Tasche mit übergroß aufgepinseltem LV-Logo aus den Nullerjahren: Das sagt einiges über den Markenfetisch der Mode, dem sich kein noch so traditionsreiches Haus entziehen kann. Auch umstrittene Materialien werden thematisiert, weil Prestigeobjekte häufig aus Schlangen- oder Echsenhaut bestehen, das verstärkt den Trophäencharakter. Einige Firmen der Offenbacher Lederwarenindustrie waren auf Exotenleder spezialisiert, betrieben Farmen, entsandten eigene Krokodiljäger nach Afrika. "All das wäre heute undenkbar", sagt Florschütz. Die Verquickung von Ledergewinnung, Kolonialismus und exzessiver Jagd auf Tiere, deren Bestand heute gefährdet ist, nennt die Direktorin ein "dunkles Kapitel".

Mode: Inez Florschütz leitet das Offenbacher Ledermuseum seit 2014.

Inez Florschütz leitet das Offenbacher Ledermuseum seit 2014.

(Foto: Jessica Schäfer)

Reichlich Stoff also für spezielle Themenausstellungen, mit denen das Museum die Qualität seiner Objekte der Öffentlichkeit künftig neu bewusst machen möchte. Daneben sollen Schaudepots den riesigen Lagerbestand für Besucher zugänglich machen, etwa die umfangreiche Schuhsammlung. Auf inhaltliche Schwerpunkte will sich Florschütz noch nicht festlegen. Gut vorstellen kann sie sich Kooperationen mit Modefirmen. Spannend sei auch die Entwicklung nachhaltiger Gerbmethoden, etwa mit Olivenblättern, und vor allem die Fortschritte in Sachen Leder-Alternativen. Vegane Imitate aus Ananasblättern oder Fruchtresten, Marken wie Stella McCartney oder das kanadische Label Matt&Nat, die ganz auf Tierhaut verzichten - "das sind wichtige Themen für ein Ledermuseum im 21. Jahrhundert".

Mit dem puristischen Entwurf namens "Off White Papier" aus Vliesstoff der Münchner Designerin Saskia Diez steht bereits ein schönes Exempel für lederloses Gepäck in der Offenbacher Ausstellung. Wobei die weiße Tasche besonders wirkungsvoll aussieht, rein, fast streng, als Gegenpart zum barock verspielten Ziegenlederkorb eines Papstes.

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