Mode-Geschichte: Weißer Anzug:Synonym des sorglosen Lebens

Mode-Geschichte: Weißer Anzug: Das Fieber einer Nacht: John Travolta in "Saturday Night Fever", 1977.

Das Fieber einer Nacht: John Travolta in "Saturday Night Fever", 1977.

(Foto: imago)

Mit dem Tod von Tom Wolfe geht eine längst verblasste Ära der Herrenausstattung endgültig zu Ende: Der weiße Anzug war einmal ein Statussymbol.

Von Jan Kedves

Dass jede kleinste Verschmutzung auf ihm erkennbar ist: genau das ist beim weißen Herrenanzug wichtig. Man trägt ihn als Mann ja nicht, um sich für die Schlammschlacht des Alltags zu rüsten, so wie Männer das heute in Outdoorjacken und bürotauglichen Sportklamotten tun. Ein Mann trägt den weißen Anzug, um zu signalisieren, dass er vom Alltag im Grunde nicht tangiert ist, oder, wie sich noch zeigen wird, dass er auf den Alltag vielleicht sogar scheißt.

Zunächst einmal ist traurig, dass mit Tom Wolfe vor einigen Tagen der bekannteste zeitgenössische Träger weißer Herrenanzüge verstorben ist. Der Autor des Romans "Fegefeuer der Eitelkeiten" (1987) war einer der prägendsten Chronisten der amerikanischen Populärkultur der Sechzigerjahre. Wenn Wolfe in Kalifornien auf Messen für aufgemotzte Oldtimer zwischen Schraubern und Lackierern herumlief, erschien sein Outfit anmaßend. Warum? "Das ist kein Rätsel: Es hat mit Status zu tun", sagte Wolfe, als er 1989 vom Time Magazine nach der Wirkung seines Stils gefragt wurde.

Tom Wolfe

Das Erscheinungsbild des Südstaatlers: Für den Schriftsteller Tom Wolfe war der weiße Anzug Glaubenssache.

(Foto: LAIF)

Wolfe, 1930 in Richmond, Virginia, also in den Südstaaten geboren, war nicht unbedingt reich, jedenfalls anfangs nicht. Nachdem er 1962 für eine neue Stelle bei der New York Herald Tribune nach New York gezogen war, merkte er, dass ein weißer Anzug, den er sich hatte schneidern lassen, viel zu dick war, um ihn im Sommer zu tragen. Also trug er ihn im Herbst und Winter. Mit erstaunlicher Wirkung: "Ich merkte, dass das die Leute wirklich irritierte - ich war da auf eine harmlose Form der Aggression gestoßen!"

Aggression? Ja, weil eben immer etwas Dekadentes beim weißen Anzug mitschwingt - und man böse Blicke auf sich zieht, wenn man wie ein New Yorker Millionär in der Sommerfrische auf Long Island aussehen will oder wie ein Plantagenbesitzer, der in Virginia Sklaven ausbeutet und sich selbst die Hitze im weißen Anzug etwas angenehmer macht. In den USA gab es nie einen Geburtsadel. Aber es gab die Reichen und die Neureichen. Sie haben den weißen Anzug zum Statussymbol gemacht, zum Synonym des sorglosen Lebens, in dem man sich nur schmutzig macht, wenn man viel Spaß dabei hat.

So wie in "The Great Gatsby" von F. Scott Fitzgerald. Mit den Verfilmungen des Romans - 1974 mit Robert Redford, 2013 mit Leonardo DiCaprio - wurde der weiße Anzug zum Inbegriff der Roaring Twenties und dem kleinen Bluff, der vielleicht auch zu dem rauschenden Leben gehörte. Deswegen passte der weiße Anzug auch so gut in "Saturday Night Fever" (1977). John Travolta spielt den jungen Italoamerikaner Tony Manero, der aus Brooklyn kommt und unter der Woche in einem Farbengeschäft arbeitet. Eigentlich ein armer Schlucker. Aber am Wochenende wird er in Manhattan im weißen Anzug zum König der Disco.

Michael Jackson trug ein Modell auf dem Cover von "Thriller". Das war damals ein Statement

Fünf Jahre später trug Michael Jackson auf dem Cover seines "Thriller"-Albums einen weißen Anzug. Wobei der weder eine Reverenz an Travolta noch eine an Tom Wolfe war. Er spielte vielmehr auf Jacksons großes Vorbild an, den Tänzer Fred Astaire. Der hatte 1953 im Film "The Band Wagon" (deutsch: "Vorhang auf!") einen (fast) weißen Anzug getragen: weiße Hose zu eierschalenfarbenem Jackett.

Mit 66 Millionen Kopien ist "Thriller" bis heute das meistverkaufte Pop-Album. Jackson ließ damit die stereotypischen Vorstellungen, wie sogenannte schwarze Musik zu klingen habe, hinter sich und setzte zum Sprung auf den Pop-Thron an. Der schwarze "King of Pop" im weißen Anzug, jenem Kleidungsstück, das ja ursprünglich Bestandteil eines den Weißen vorbehaltenen Lebensstils war, der auf der Unterdrückung und Ausbeutung Schwarzer basierte. Das hatte Symbolkraft. Jacksons Anzug stammte nicht von Brooks Brothers oder Ralph Lauren, sondern von Boss. Zum 60. Geburtstag von Michael Jackson Ende August wird Boss eine limitierte Auflage des weißen "Thriller"-Anzugs neu herausbringen.

Vielleicht war es auch Michael Jackson, an den Donald Glover alias Childish Gambino dachte, als er im Januar bei der Grammy-Verleihung in New York im weißen Anzug auf den roten Teppich und die Bühne ging. Der schwarze Sänger und Schauspieler ist gerade mit seinem Nummer-Eins-Hit "This Is America", in dem er den blutigen Rassismus in den USA anklagt, in aller Munde. Es ist nicht überinterpretiert, wenn man in Glovers Outfit einen politischen Kommentar erkannte - in Zeiten, in denen "Make America Great Again" implizit auch heißt: "Make America White Again". All jenen, die sich im Kostümverleih einen weißen Anzug fürs nächste Sommerfest aussuchen, sind solche Implikationen aber wohl herzlich egal.

Allerdings sollte man beim Feiern wie im "Great Gatsby" zumindest ein bisschen vorsichtig sein, sonst geht es einem nachher wie Helmut Berger. Der erinnert sich in seiner grandios egozentrischen Autobiografie "Ich", wie er 1971 beim Rot-Kreuz-Ball in Monaco als Ehrengast der monegassischen Fürstenfamilie auf der Herrentoilette schlechtes Kokain erwischte, und wie sich in seinem Darm daraufhin etwas verflüssigte, weswegen der Versuch, beim Dinner einen "klitzekleinen Pups" herauszulassen, zu Dünnpfiff in der Hose wurde. Bis zum Ende des Balls um vier Uhr morgens wich Berger nicht mehr von seinem Platz. An diesem Abend war die Dekadenz des weißen Anzugs dann einmal doch allzu offensichtlich.

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