Mode:Fremde Federn auf dem Laufsteg

NZFW 2014: Trelise Cooper - Show

Die Designerin Trelise Cooper bekommt für ihren Federschmuck Ärger.

(Foto: Phil Walter/Getty Images)

Wenn Designer und Künstler die Symbole von Indianern oder anderen Minderheiten benutzen, ernten sie Kritik. Aber wäre Mode überhaupt möglich, wenn sie sich völlig abschottet?

Von Kia Vahland

Der Bumerang flog mit Karacho zurück. Für 1 930 Dollar hatte die Firma Chanel im vergangenen Jahr einen Bumerang aus schwarz lackiertem Holz angeboten, er trägt das Firmenlogo am Scheitel. Der amerikanische Vlogger und Make-up-Performer Jeffree Star gab auf Twitter und Instagram mit seinem Chanel-Bumerang an, so wurden australische Ureinwohner und ihre Unterstützer aufmerksam - und der Skandal war perfekt. Der Vorwurf: Das Luxusprodukt sei ein obszöner Ideenklau. In den Augen der Kritiker (von ihnen gab es etliche) beraubt es ideell Aborigines, die einst mit Bumerangs auf Jagd gingen. Die australische Rapperin Kaylah Truth twitterte, der Bumerang eigne sich hoffentlich gut, ein Känguru sowie einen Chanel-Chef zum Mittagessen zu erlegen. Andere rechneten vor, wie lange eine Ureinwohner-Familie von 2000 Dollar leben kann.

Der Fall ist einer von vielen. Modemacher und Künstler, die sich bei fremden Kulturen bedienen, müssen sich rechtfertigen. Der Designer Marc Jacobs sandte 2017 zur New York Fashion Week Models mit bunten Dreadlocks auf den Laufsteg; inspiriert hatte ihn dazu die Transfrau Lana Wachowski. Jacobs wurde vorgeworfen, Frisuren aus der schwarzen Subkultur zu kommerzialisieren. Erst wies er dies zurück, dann entschuldigte er sich für seine Unsensibilität. Vorwürfe hörte auch die neuseeländische Designerin Trelise Cooper und entschuldigte sich ebenfalls. Sie hatte Modelle mit Federschmuck ausgestattet. Ebenso gerieten Unterwäschemodelle von Victoria's Secret wegen ihrer Federn in die Kritik, auch diese Firma entschuldigte sich.

Indianische Kopfbedeckungen mögen kaum je noch original sein, es gibt sie im Westernfilm, als Playmobilfigur und für Touristen. Doch nordamerikanische Indigene, die viele Zeugnisse ihrer Geschichte verloren haben, identifizieren sich jetzt wieder mit dem Kopfschmuck - und nicht mit den ihrerseits aus dem weißen Mainstream übernommenen Baseballkappen. Und sie wollen ihre Symbole schützen.

Was früher als besonders aufgeschlossen oder als lustig (Karneval!) galt, muss sich heute fragen lassen: Ist das kulturelle Aneignung, ergreift hier also jemand unberechtigterweise Besitz von anderen Traditionen, schmückt sich aus Geldgier mit fremden Federn? Wessen Lebensgefühl könnte das verletzen? Und lässt es sich vermeiden? Oder tut man Subkulturen und fernen Völkern im Gegenteil einen Gefallen, wenn man sie im großen Stil zitiert?

Der Vorwurf der Aborigines richtete sich nicht gegen einen Sportbumerang, der in einem Kaufhaus für wenig Geld zu haben ist. Er zielte auf das Statussymbol, zu dem das Gerät wird, wenn ein Luxus-Logo auf ihm prangt. Die Modetheoretikerin Barbara Vinken sagt dazu: Der Glaube an den Fetisch sei "zur Kolonialzeit ein Vorwurf des Westens an indigene Völker" gewesen. "Die Mode zeigt uns nun: Ihr seid das, was ihr den anderen vorgeworfen habt, ihr seid die Fetischisten." So gesehen wäre die Mode selbst ein Bumerang: Der Vorwurf des magischen Denkens, der Verehrung von Dingen, den die Kolonialherren einst gegen Ureinwohner richteten, kehrt zurück und trifft Konsumgläubige.

Mode ist eine Wunschmaschine

Dagegen steht die Notwendigkeit für Mode und Kunst, sich der Zeichen anderer Kulturen zu bedienen, ansonsten sind sie tot. Kaum ein Lebensbereich ist so durchlässig wie das Modische. Hier gibt es nicht immer, aber immer wieder Karrieren wie die von Coco Chanel, der unehelichen Tochter einer Wäscherin und eines Hausierers, die ein Modeimperium schuf. Und hier können es aufgerissene Jeans oder die weiten Röcke der Roma zum Massenartikel bringen. So offen sind westliche Gesellschaften, in denen immer noch die Herkunft Biografien prägt, ansonsten selten. Eher tragen Oberschichtkids senkellose Turnschuhe, als dass der durchschnittliche amerikanische Gefängnisinsasse nach seiner Haft Unternehmer oder Erfolgspolitiker wird.

Das Nachleben aber, und das provoziert Kritiker, das Ohrringen, Arbeiterhosen, Südsee-Tattoos zuteilwird, ist verzerrt. Die Modeforscherin Gertrud Lehnert erklärt, es würden immer nur einzelne Elemente eines Milieus zitiert und in ein kommerzielles Produkt verwandelt, das dann nichts mehr mit der Ursprungskultur zu tun habe. Doch so sei die Mode, sie brauche immer wieder neue Überraschungen.

Kunst und Mode sind keine geschlossenen Systeme. Sie leben von der Aneignung, nicht von der Ab- und Ausgrenzung. Angehörige von Minderheiten aber hegen die Sorge, das Eigene an die Kräfte des Marktes zu verlieren und von den vermeintlichen Siegern der Geschichte ein zweites Mal enteignet zu werden. Bevölkerungsgruppen, die Unrecht erfahren haben, pochen auf ihre Traditionen - und zwar nicht mehr nur Indigene, sondern in den USA auch Vertreter von Afroamerikanern, Hispanics, sozial Benachteiligten.

Mode jedoch zeigt selten das Ursprüngliche, sie ist eine Wunschmaschine. Als Freizeitkleidung von Städterinnen setzte sich das Dirndl im frühen 20. Jahrhundert durch, in einer Zeit also, die vom Landleben vornehmlich träumte. Erst in den Dreißigerjahren wurde das Dirndl durch die Operette "Im weißen Rößl" weltweit bekannt. Und wie ursprünglich ist heute die Kleidung der Chola-Girls, der nordamerikanischen Hispanics, die ihre weiten Karohemden aufgeknüpft tragen? Die Sängerin Rihanna, die Schauspielerinnen Sandra Bullock und Selena Gomez mussten sich kürzlich rechtfertigen für ihre Karohemden im Chola-Stil. Die allerdings haben ihren Ursprung in der Arbeitskleidung kanadischer Holzfäller, die sich nun theoretisch auch beschweren könnten.

Die Reichen kopieren in der Mode den Lebenstil der Armen

Wie beim Chanel-Bumerang zielt die Kritik auf das soziale Gefälle. "Privilegierte Kids sollen aufhören, die Kleidung der Arbeiterklasse zu fetischisieren", fordert der britische Publizist Dawn Foster. Reiche sollen sich bitte schön wie Reiche kleiden. Das aber taten sie noch nie, denn Reichsein allein ist langweilig. Gerade in den historischen Momenten, in denen soziale Hierarchien gefestigt schienen, leisteten es sich Eliten, sich eine ärmere, aber vermeintlich glücklichere Parallelwelt zu erschaffen.

So ist das schon in der Renaissance, als gebildete Städter vom Landleben träumen. Maler wie Tizian schaffen die Bilder zu diesem poetischen Ideal des bäuerlichen Glücks. Ihre Protagonistinnen sind unbekannte junge Frauen, die im Unterhemd auftreten, ihr Haar offen lassen und kaum Schmuck und Schminke tragen. Diese kulturelle Aneignung eines vermeintlich einfachen Lebens wiederholt im 18. Jahrhundert die französische Königin Marie Antoinette. Sie lässt sich von der Porträtistin Élisabeth Vigée-Lebrun im Unterhemd malen (unter dem sie freilich trotzdem ein Korsett trägt) und tritt als Schäferin im Theater auf.

Die Reichen benutzen in Mode und Kunst den Lebensstil der Armen, ohne sich in deren Situation hineinzuversetzen. Das wird den echten Schäferinnen nicht gerecht. Doch wie wäre eine Welt, in der sich alle streng voneinander abgrenzen, die Reichen von den Armen, die Männer von den Frauen, die Weißen von den Schwarzen?

Grenzt an künstlerische Selbstvernichtung

Das probiert gerade die Gegenwartskunst aus. Während die Modemacher sich bei allen bedienen und sich neuerdings vielleicht dafür entschuldigen, kommen Künstler und Kuratoren dem Protest gegen kulturelle Aneignung weiter entgegen. Die Documenta 2017 in Athen und Kassel rang um ethnische Ursprünglichkeit oder das, was die Macher dafür hielten. Rentierschädel, Flechtwerk aus der Südsee, afrikanische Masken waren zuhauf zu sehen. Viele Künstler, etwa Khvay Samnang aus Kambodscha, möchten sich so wenig wie möglich von der Moderne beeinflussen lassen. Die Documenta führte eine abgeschottete Welt scheinbar urtümlicher Natürlichkeit auf, man könnte auch sagen: eine kolonial anmutende Fantasie vom guten Wilden.

Noch fünf Jahre zuvor war das anders. Auf der damaligen Documenta erinnerte der Künstler Sam Durant an den Galgen, mit dem im Jahr 1862 einige Dakota in den USA hingerichtet wurden. Die Skulptur klagte die amerikanische Mehrheitsgesellschaft an. Als Durant sie nun im Jahr 2017 in einem Park in Minneapolis wieder aufstellte, war der Protest der Indigenen so groß, dass er sich entschied, ihnen das Werk auszuhändigen, damit sie es verbrennen können. Die Dakota entschlossen sich am Ende, den Galgen zu begraben und so von der Bildfläche verschwinden zu lassen.

Das grenzt an künstlerische Selbstvernichtung. Wenn niemand sich mehr fremder Schicksale annehmen darf, wird die Welt kalt. Konstruktiver wäre es, die Dakota würden selbst Platz in den Kunstmuseen beanspruchen und für ihre eigenen Bilder eintreten statt gegen die der anderen.

Der Kampf gegen kulturelle Aneignung ist nicht zu gewinnen. Mode und Kunst lassen sich nicht gängeln, nur übertrumpfen, parodieren, immer wieder neu erfinden.

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