Mode:Ein Fest im Sattel

Hermès ist ein Unternehmen der Superlative und auch immer noch: ein Familienunternehmen. Kreativdirektor Pierre-Alexis Dumas erzählt, warum Handarbeit das Herz der Firma ist.

Von Dennis Braatz

Vor einer Woche, mitten in Schwabing: Eine Gruppe ziemlich gut und teuer gekleideter Frauen starrt in einem Ladengeschäft auf orangefarbene Waschmaschinen und Pulverboxen. Sagt die eine: "Ich würde echt alles für so eine geben." Sagt die andere: "Meinst du, die kann man kaufen?"

Kann man natürlich nicht. Bei der Haushaltsware handelte es sich nur um die Deko eines Pop-up-Waschsalons, den Hermès in München installiert hat; wer im Besitz eines alten Carrés ist, des typischen Hermès-Seidentuchs, kann es dort noch bis zu diesem Samstag einreichen und kostenlos umfärben lassen. Die Aktion ist schon jetzt ein Erfolg; 600 Tücher sind in der ersten Woche abgegeben worden. Nicht wenige Leute sind allein schon deshalb hergepilgert, um das Interieur zu bewundern oder Selfies davor zu machen.

Ein paar Monate zuvor sitzt Pierre-Alexis Dumas im Orangeriesaal von Schloss Nymphenburg zwischen ein paar Raubkatzen-Zeichnungen. Der Kreativdirektor des französischen Traditionshauses gehört zur sechsten Generation der Hermès-Familie und ist gekommen, um die Wanderausstellung "Fierce and Fragile" zu eröffnen. Er trägt einen dunkelblauen Anzug und eine Seidenkrawatte mit feinem Strichmuster; bescheidenes Lächeln. Dass Hermès in den letzten 20 Jahren sein größtes Wachstum erlebte, hat es auch ihm zu verdanken. Jüngste Bilanz: ein Umsatz von 2,44 Milliarden Euro im ersten Halbjahr. Dumas überwacht 16 Métiers, von der Seide, dem Leder, der Reiterei, dem Prêt-à-porter bis hin zu den Schuhen. Also eigentlich alle Produkte. Was in diesen Abteilungen designt wird, bekommt er vorgelegt. Dann entscheidet er, was davon verkauft wird - und was nicht. "Das mache ich zweimal im Jahr, immer so einen Monat lang, insgesamt 15 000 Entwürfe pro Saison."

Mode: Schuhe, Hüte und Schmuck wie das Gliederarmband aus Silber umfassen das Hermès-Sortiment ebenso wie Wohn-Accessoires, Reitsättel und natürlich die Taschen, wie die schwarze Kelly-Bag. Fotos: PR; Montage: SZ

Schuhe, Hüte und Schmuck wie das Gliederarmband aus Silber umfassen das Hermès-Sortiment ebenso wie Wohn-Accessoires, Reitsättel und natürlich die Taschen, wie die schwarze Kelly-Bag. Fotos: PR; Montage: SZ

"In den Werkstätten wird wird wenig geredet. Bei uns arbeitet man stundenlang hoch konzentriert. Das hat etwas sehr Meditatives."

Wie treffsicher er agiert, hat Dumas schon Mitte der Neunzigerjahre bewiesen. Damals war er für den asiatischen Markt zuständig und arbeitete von Hongkong aus. "Ich habe ständig in Paris angerufen und gesagt, dass wir Geschäfte in China eröffnen müssen. Sie gaben mir umgerechnet 150 000 Euro - für ein Land mit mehr als einer Milliarde Menschen." Eine lächerliche Summe, er schmunzelt. Werbung wäre da ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen. Stattdessen kam Dumas die Idee zu einer Ausstellung über Pferde. Sein Vorfahre Thierry Hermès war schließlich Sattler und legte 1837 mit einem kleinen Geschäft für Pferdegeschirr den Grundstein für das spätere Weltunternehmen: "Das Pferd war unser erster Kunde." Die Ausstellung sollte sich mit der Bedeutung des Pferdes in China beschäftigen - und so ganz subtil eine Brücke zu Hermès schlagen. In der Zeitung las Dumas, dass der Chefkurator des französischen Museums für asiatische Kunst zufällig in der Stadt war. Sie taten sich zusammen. Am Ende war Hermès eine der ersten Firmen überhaupt, die eine Ausstellung in der Verbotenen Stadt von Peking zeigen durften. Die Chinesen sind heute verrückt nach Hermès.

Unter Modekennern wird die Marke wie der heilige Gral verehrt. Ihre Ikonen, also die bunten Carrés, die Kelly- und Birkin-Bags, die Armbänder mit den Metallschließen, die Emaille-Armreifen und Gürtel halten so gut wie ewig. Das gilt für das Material genauso wie fürs Design. Aber ist Hermès auch cool? Es gibt Kritiker, die die Produkte einfach nur hübsch finden und dafür extrem teuer (kleine Carrés kosten 260 Euro, eine Tasche kommt schon mal locker auf 6000 Euro). Da mag was dran sein. Trotzdem definiert die Marke mit ihrem Sortiment wie keine andere die höchste Form des Luxus, nämlich Beständigkeit.

Mode: Pierre-Alexis Dumas, 50, ist seit 2009 Kreativdirektor von Hermès.

Pierre-Alexis Dumas, 50, ist seit 2009 Kreativdirektor von Hermès.

(Foto: Valérie Archeno)

Seit fast 180 Jahren werden die wichtigen Lederwaren in und um Paris produziert, das Haus beschäftigt mehr als 2000 Handwerker. Besonders der Beruf des Täschners wird hier nicht nur erhalten, sondern gefördert, die interne Ausbildung kann bis zu fünf Jahre dauern. Das wissen und befürworten die Kunden genauso wie die Tatsache, dass Hermès ein Familienunternehmen ist. Aktuell besteht diese Familie aus mehr als 70 Menschen, nicht alle sind aktiv im Unternehmen. Neben Pierre-Alexis Dumas steht sein Cousin Axel als CEO an der Spitze. 2011 wurde die Holding H51 gegründet, die für vorläufig 20 Jahre mit 50,2 Prozent die Mehrheit des Hermès-Aktienkapitals sichert, es gehört 52 Familienmitgliedern. Dieser Zusammenschluss schützt vor der Übernahme Dritter.

"Hermès ist wie ein großes Raumschiff, das durch die Zeit reist", sagt Dumas. Die Menschen, die darin arbeiten (weltweit sind es etwa 12 000), seien immer nur für eine gewisse Zeit Gäste. "Aber sie hinterlassen Spuren." Er betont oft und gern, wie sehr er von der Zeit mit seinem Großvater geprägt wurde, eben jenem Robert Dumas, der die heute als Kelly-Bag bekannte Tasche entworfen hat. Von ihm hat er Schritt für Schritt gelernt, wie man eine Tasche macht; jede Woche einmal nach der Schule, ganze fünf Jahre lang. "In den Werkstätten wird wenig geredet, und wenn, dann nur das Nötigste. Bei uns arbeitet man stundenlang hoch konzentriert. Das hat etwas sehr Meditatives", sagt Dumas.

Mode: Das Carré "Panthera Pardus", das zur Ausstellung "Fierce and Fragile" angeboten wird.

Das Carré "Panthera Pardus", das zur Ausstellung "Fierce and Fragile" angeboten wird.

(Foto: Hermès)

200 Arbeitsschritte pro Tasche sind bei Hermès keine Seltenheit. Lange Wartelisten auch nicht. Einfach in ein Geschäft reinspazieren und eine Kelly oder Birkin mitnehmen ist so gut wie unmöglich. Man muss sie meist in Auftrag geben, dann wird sie gefertigt. Auch wenn Hermès die Taschenknappheit immer wieder mit zeitintensiven Verarbeitungstechniken begründet und eine künstliche Verknappung aus Marketinggründen verneint hat: Natürlich macht auch die Seltenheit der Produkte ihre Begehrlichkeit aus. Auf Vintage-Auktionen erzielen die Taschen jedenfalls regelmäßig Höchstpreise, zuletzt 267 000 Euro für ein Exemplar aus Krokodilleder mit Schnallen aus 18-Karat Weißgold.

Fragt man Pierre-Alexis Dumas nach dem richtigen Rezept für ein Hermès-Produkt, dann sagt er: "Es muss die Summe unserer Werte sein. Erstens ist das Funktionalität, zweitens Qualität, und es muss Freude bereiten. Was nützt der schönste Sattel, wenn er dem Pferd wehtut?" Natürlich wolle man sich weiterentwickeln, aber mit Bedacht.

Die Idee mit dem Waschsalon, der parallel auch in Amsterdam und Straßburg geöffnet hatte, verkörperte dabei perfekt die Wendigkeit des Hermès-Raumschiffs. Aus einem alten Tuch von der Oma ein schickes neues Teil zu machen, das hat Charme, trifft den Zeitgeist und unterstreicht natürlich auch die Langlebigkeit von Marke und Produkt. Gleiches gilt für das Métier "Petit h", das es seit 2010 gibt: Aus den Arbeitsabfällen der Werkstätten entstehen in dieser Sparte neue Kunst- und Wohnobjekte.

Viele Hermès-Regeln sind zeitlos. Dumas erinnert sich: "Als ich zehn Jahre alt war, sagte mein Großvater zu mir: Pierre-Alexis, in einem Quadrat musst du immer die Diagonale aktivieren." Noch heute befolgt er diesen Satz, wenn es darum geht, ein Carré zu entwickeln. Auf einem Modell, das zur "Fierce and Fragile"-Ausstellung vorgestellt wurde, macht ein Leopard zum Beispiel "eine sehr elegante S-Bewegung".

Die Einfachheit der Dinge zu erkennen und wertzuschätzen ist typisch für Hermès. Vielleicht macht diese Haltung die Marke so erfolgreich. In der Luxusmode ist sie so selten wie guter Humor. Auch den beweist Hermès immer wieder, sei es mit orangenen Waschmaschinen oder einem Tarotspiel mit Silberschnitt, das derzeit im Sortiment ist. Gute Karten für die Zukunft.

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