Mode:Aufbruch Ost

Kyrillische Prints, Agentenmäntel, schräge Farbkombinationen: Pünktlich zur Fußball-WM in Russland ist der Ostblock-Schick wieder zurück.

Von Anne Goebel

Februar 2015, Wladimir Putin gibt in einer Fernsehsendung erstmals unumwunden zu, die Krim aus reinem Machtkalkül an Moskau gebunden zu haben. Die Welt fröstelt, wieder einmal weht schneidend kalter Wind aus Ost.

Ungefähr zur selben Zeit zeigt die Luxusmarke Valentino in Paris eine Revue zauberhafter Roben, die aussehen wie aus Tolstois Roman "Anna Karenina". Flechtfrisuren, Stickereien, es ist ein Fest. Selbst die abgefeimtesten Moderedakteurinnen seufzen über die liebliche Brise, die direkt aus den russischen Weiten hinein ins Hôtel Salomon de Rothschild zu wehen scheint.

Was nun: Liebesgrüße aus Moskau oder Zittern vor dem listigen Bären? Politisch gesehen eine hochkomplexe Frage. Kulturgeschichtlich fällt die Antwort einfacher aus: sowohl als auch. Der Westen und Russland, das ist ein äußerst biegsames Verhältnis, das scheinbar Gegensätzliches leichtfüßig zusammenbringt wie ein Tanz des Bolschoi-Balletts. Entzücken über das fremdartig Aparte und Schaudern angesichts finsterer Machenschaften - beides existiert problemlos nebeneinander. Mal Kalinka-Romantik, dann wieder eine strenge Prise KGB: Zwischen diesen Polen bewegt sich auch das Russlandbild in der Mode. Zuletzt hat Givenchy in Paris kantige Agenten-Outfits gezeigt. Und pünktlich zur Fußball-Weltmeisterschaft präsentiert sich Russland als Stilnation der maroden Looks.

Zwei Namen sorgen vor allem dafür, dass wir bei Mode aus dem Osten zurzeit weniger an graziöse Zarinnen denken - sondern an eine Kombination aus schlecht kopierten Neunziger-Silhouetten und Fehlfarben: Gosha Rubchinskiy und Demna Gvasalia. Die beiden sind nicht nur der bekannteste Design-Import aus der ehemaligen Sowjetunion, sondern gelten seit ein paar Saisons als zwei der einflussreichsten Kreativen überhaupt.

Die Farbpalette: Staubgrau bis Tomatenrot - schwierig, darin nicht bleich zu wirken

Für Rubchinskiys Streetwear, gern aus Polyester, übergroß geschnitten, mit kyrillischen Prints, reisen Journalisten und Einkäufer zu seinen Schauen bis nach Jekaterinburg östlich des Uralgebirges. Um Kooperationen mit dem stets kahl geschorenen Designer reißen sich Firmen wie Burberry oder Adidas. Zur WM gibt es wieder eine gemeinsame Mini-Kollektion mit dem deutschen Sportartikelhersteller. Die Farbpalette: Staubgrau bis Tomatenrot - schwierig, in solchen Teilen nicht bleich zu wirken, aber darum geht es ja. Gesunde Gesichtsfarbe gilt in der Gosha-Grunge-Gemeinde als uncool.

Aus der Underground-Szene der Neunzigerjahre schöpft bekanntlich auch Demna Gvasalia eifrig, bei den Entwürfen für sein Label Vetements und als Kreativchef von Balenciaga. Dass er gar kein Russe ist, sondern Georgier, tut nichts zur Sache - in der Modeszene gilt gefühlte Zugehörigkeit mehr als geografische Sorgfalt. Ein Vertreter der "eastern bloc edginess" ist er allemal. Raue Ostblock-Ästhetik, so hat der Branchendienst Women's Wear Daily die Handschrift der gehypten Designer charakterisiert.

Als die UdSSR aufhörte zu existieren, waren beide Heranwachsende, sie erlebten die Zeit des Umbruchs, den Hunger nach westlichem Überfluss und seinen Symbolen. Die postsowjetische Jugendkultur erschuf sich ihre eigenen Codes. Sie ahmte die Logos der unerschwinglichen Labels aus dem Westen nach, mit grotesken kyrillischen Imitaten. Trug gefakte Drei-Streifen-Jogginghosen zu Jeansblousons, knappe Stretchröckchen und Lenin-Anstecker. Ein kruder Mix, aus dem eine seltsame Mischung aus Aufbruch und Verlorenheit sprach. Dieses Gefühl bringen, in abgewandelter Form, Leute wie Gvasalia und Rubchinskyi heute auf den Laufsteg. Beide haben stets den Rückgriff auf die Ästhetik ihrer Teenagerzeit betont, wenn sie erklären sollten, warum ihre Taschen in blauer Ikea-Optik für 2000 Euro oder nylonglänzende Turnhoserl plötzlich so cool sind.

Westliches Wunschbild: Valentino zeigt Models im prunkvollen Zarinnen-Outfit

Eine ironisch gebrochene Postsowjet-Nostalgie mag den Erfolg in ehemaligen Ostblockstaaten und bei trendbewussten Russinnen erklären. Umsatz machen die Labels aber zum allergrößten Teil in westlichen Modemetropolen. Dort profitieren auch die zahlreich sprießenden Epigonen der neuen Hässlichkeit von der Aufmerksamkeit, die junge Anastasia Dokuchaeva zum Beispiel. Es passt in New York, London oder Paris offenbar gerade zum Zeitgeist, unansehnlich auszusehen. Der etwas freudlose Normcore-Stil als Vorläufer, die Suche nach einem Gegengewicht zum ermüdend perfekten Selfie-Universum, die Demokratisierung der Mode mit dem Wunsch nach scheinbar unelitären (Luxus-)Produkten: All das hat den Siegeszug des antiglamourösen "Russian style" erst möglich gemacht. Dass emsige Instagramer wie die Stylistin Anya Ziourova selbst dann nach Kunstleder und Nowosibirsk aussehen, wenn sie Prada tragen, hält den Trend im Netz immer schön am Laufen. Das gefällt nicht jedem. "Why is fashion so ugly?", stand vor ein paar Monaten über einem Artikel in der Financial Times.

Schon wahr: Wo sind die pelzverbrämten Mäntel mit schmaler Taille hin, die bestickten Stiefel, all die russische Matrjoschka-Pracht? Die war, ganz einfach, eine Projektion des Westens. Auch Yves Saint Laurents als revolutionär gefeierte "Collection russe" von 1976 bediente das Klischee der Zobelmützen und Bordüren. In den Achtzigern fand man Gaultiers hautenge Teile in Schwarz und Kreml-Rot todschick. Häuser wie Dior oder Giambattista Valli spielen mit mal opulenten, mal folkloristischen Elementen und schicken Zarinnen oder Kolchosemädchen auf den Laufsteg. Erstaunlich ist, dass trotz des kulturellen und historischen Reichtums ein Land wie Russland keinen eigenen Couturier von echtem Weltrang hervorgebracht hat.

Mit Gosha und Gefolge wird das Bild jetzt jedenfalls ziemlich durchgeschüttelt, das wir uns von slawischer Mode machen. Die stilistische Vorlage könnte Rosa Klebb sein, James Bonds ätzende Widersacherin mit schlammbrauner Uniform und Messerschuhen aus "Liebesgrüße aus Moskau". Fahl oder schrill, bloß nicht gefällig: Dafür stehen Newcomer wie das Label Fakoshima mit seinen grotesk großen Sonnenbrillen. Auf der Moskauer Fashion Week im März gab es viel Trashiges zu sehen, Röcke aus Kunststoff, weiße Stiefeletten. Olga Vilshenko ist eine der wenigen, die das alte Stickerei-Erbe hochhält, nur heißt das jetzt natürlich Boho Chic.

Alles in allem: Eine bunte Jungdesigner-Truppe, die sich in Russland gerade formiert. Präsident Putin wird das während der Fußball-WM als Zeichen angeblicher Weltoffenheit darzustellen wissen. Wichtiger wären Taten. Staatliche Unterstützung, etwa für Modewochen, gibt es in Russland nicht.

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