Mobilität:Abgefahren

Warum die Mobilitätsideen von Modedesignern nur selten richtig ins Rollen kommen: Über die Kunst, möglichst unpraktische Fortbewegungsmittel zu entwerfen.

Von Jan Kedves

Für ein hässliches Fahrrad, das man garantiert nie fahren wird, 3500 Euro auszugeben - das ist schon eine ziemliche Herausforderung. Balenciaga bietet aktuell so ein Fahrrad an, als Accessoire zur neuen Männerkollektion Frühjahr/Sommer 2018. Es ist ein Mountainbike mit Ansteck-Schutzblechen aus Plastik und batteriebetriebenen Lampen. Ein Bike, das - ohne die bunten Balenciaga-Aufkleber - im Baumarkt maximal 400 Euro kosten und das man auf einem Pariser Laufsteg eher nicht vermuten würde. Aber der amtierende Balenciaga-Designer Demna Gvasalia weiß eben, wie er seine Fans bei der Stange hält.

Wie für ihn ist nämlich auch für sie Geschmack keine Kategorie. Was zählt ist einzig der unromantische Blick auf niedere Ästhetiken der Gegenwart. Davon zeugten bereits die hässlichen T-Shirts mit DHL-Logo, mit denen Gvasalia den Erfolg seines eigenen Labels Vetements begründete. Und davon zeugte kürzlich auch die für knapp 2000 Euro aus blauem Leder nachgeschneiderte Balenciaga-Kopie der Ikea-Riesenplastiktüte Frakta, die im Möbelhaus 50 Cent kostet.

Die Rollschuh-Pumps wirken wie ein Fetisch zur (Selbst-)Demütigung der Frau

Allerdings geht es bei dem Balenciaga-Bike nicht nur darum, für möglichst viel Geld möglichst billig auszusehen. Komplizierend kommt nämlich hinzu, dass das Rad über einen Alurahmen, Scheibenbremsen und Federgabel verfügt - alles Ausstattungsmerkmale, die ein Mountainbike früher durchaus teuer machten. Allerdings gibt es sie inzwischen in fast jeder Pappkiste, die aus Fahrradfabriken in China oder Taiwan verschifft wird.

Insofern könnte man sagen: Das Balenciaga-Bike ist weniger ein Fahrrad als ein bissiger Kommentar auf Dynamiken in der Mode- und Konsumkultur. Entwürfe, die einst als hochwertig galten, werden mit der Zeit in der Masse vertrasht. Und dann kommt ein Designer daher und adelt diesen Trash wieder, zum Drei- bis Fünffachen des Ausgangspreises. Vielleicht ist das Balenciaga-Bike damit sogar schon das tiefsinnigste der Fortbewegungsmittel, die in der Mode gerade in auffälliger Häufung unterwegs sind. Wobei unterwegs falsch ist, denn all diese Entwürfe kommen ja nie ins Rollen, sie stehen nur herum.

Da ist zum Beispiel das knallrote Mini-Cross-Moped, das man Ende Juni bei dem New Yorker Edel-Skater-Label Supreme einen Tag lang bestellen konnte. Es ist voll funktionsfähig, mit Rasenmähermotor und Seilzugstarter ausgestattet, Höchstgeschwindigkeit 38 Kilometer pro Stunde. Wer als Erwachsener darauf sitzt, macht sich entweder lächerlich oder sieht sehr cool aus. Botschaft der schnell vergriffenen Produkte von Supreme: Fürs Skaten eigentlich schon zu alte Männer wollen weiterhin coole Jungs spielen. Das geht auch im Stand, die Reifen des 900-Euro-Spielzeugs sollen nicht dreckig werden.

Für Frauen gibt es ein unmotorisiertes Pendant zu dem Supreme-Moped: die Disco-Rollschuhe von Saint Laurent. Sie sind zum einen in einer Hightop-Sneaker-Variante erhältlich, mit roten Sternchen auf silbernem Leder und vier Rollen pro Fuß. So sehen sie noch einigermaßen praktisch aus. Richtig scharf sind aber erst die Rollschuh-Pumps, die Designer Anthony Vaccarello außerdem designt hat. Sie wirken wie ein Fetisch zur ultimativen (Selbst-)Demütigung der Frau: ein Zehn-Zentimeter-High-Heel auf Rollen, wobei unter dem Stiletto hinten nur eine Rolle angebracht ist. Die funktioniert nach dem Prinzip Tapezierrolle, also mit einer Stahlstange, die von der Mitte aus abknickt und dann nur von einer Seite in die Rolle greift. Wackliger geht es kaum. Was die Frage aufwirft: Darf man Saint Laurent verklagen, wenn die Frau sich Knöchel und Knie bricht? Oder: Kann man das Balenciaga-Bike, wenn die Federgabel mal Öl leckt, zur Reparatur in die Boutique bringen?

Wobei es dazu nie kommen wird, denn wie das Supreme-Moped werden auch das Balenciaga-Bike und die YSL-Roll-Pumps nie benutzt werden. Sie landen direkt in der Vitrine, im Safe oder auf Ebay, wo sie sich für die dreifache bis fünffache Summe weiterverkaufen lassen.

Kann man das Balenciaga-Bike zur Reparatur einfach in die Boutique bringen?

Das ist ein bisschen schade, denn es gab ja Zeiten, da wurden in der Mode durchaus ernsthafte Visionen zum Thema Mobilität formuliert. Gemäß dem Verständnis, dass Mode gewissermaßen immer schon ein Fortbewegungsmittel war - man zieht sie ja nicht nur an, um draußen hübsch herumzustehen, sondern um in ihr auch von A nach B zu kommen -, sahen es manche Modeschöpfer als Teil ihrer Zuständigkeit, auch Autos zu entwerfen. Am Weitesten ging dabei der französische Space-Age-Designer André Courrèges. Er präsentierte 1968 zusammen mit seiner technikbegeisterten Ehefrau Coqueline den Entwurf "Bulle" (Blase), einen Prototyp für ein kugelrundes batteriebetriebenes Elektroauto. Fahren ohne Benzin, 1968!

Andere Modedesigner merkten hingegen schnell, dass der Einstieg in die Automobilindustrie, inklusive Entwicklung, Crashtests und Beachtung aller möglicher Normen, recht anstrengend ist. Sie fanden es deswegen praktischer, ihre Namen an etablierte Autohersteller zu lizenzieren. Pierre Cardin, König des Lizenzgeschäfts, verpasste 1972 den Sitzen des Sportcoupés AMC Javelin rot-weiße Rallyestreifen. Voilà, der lukrative Markt für Fashion-Sondermodelle war eröffnet. Er boomte bis etwa 1990, oder: bis Willy Bogner den VW Golf "Fire and Ice" in dunkelvioletter Perleffekt-Lackierung mit dicken Plastik-Seitenschwellern beklebte. Danach sah man in der Autoindustrie ein, dass es vielleicht doch nicht die allerbeste und auf keinen Fall nachhaltigste Idee ist, so zu tun, als sei es ganz normal, sein Auto zu wechseln wie Socken oder Handtaschen. Der grün-rot gestreifte Gucci-Fiat-500, von manchen als "schnellste Handtasche der Welt" verspottet, war 2011 das vorerst letzte Fashion-Auto.

Womit wir wieder bei den jüngeren Fashion-Fortbewegungsmitteln wären, die keine Autos sind und gar nicht den Anspruch erheben, irgendwen oder irgendetwas zu bewegen. Sie sind verspielte Ideen, die den Humor des Designers widerspiegeln oder eben das, was man gemeinhin Philosophie des Hauses nennt. Im Falle Chanel sieht das so aus, dass Karl Lagerfeld immer mal wieder kokett sagt: Ich kann das Chanel-Logo wirklich auf alles draufpappen! Es gab schon Chanel-Ski und Chanel-Surfbretter und, 2009, tatsächlich den Chanel-Segway - so ein zweirädriges Elektromobil, mit dem sonst nur Touristengruppen im Pulk durch Fußgängerzonen surren. Der Segway ist interessanterweise ein Gefährt, das immer dann am faszinierendsten aussieht, wenn es steht und dabei trotzdem nicht umkippt.

Mode auf Rädern soll also gar nicht rollen. Am treffendsten hat diese Paradoxie bislang der Designer Rick Owens auf den Punkt gebracht. Sein "Rickboard" von 2014 ist ein Skateboard aus versteinertem Holz. Es sieht aus wie Marmor, dunkel, morbide, schwer. Damit passt es ideal zu Owens' Männermode, in der sich meist zweierlei mischt: eine Idealisierung ephebenhafter Jugendlichkeit und eine Faszination für Abgründiges oder den Todestrieb. Dandyismus in Reinform. Der Skater, der sich mit dem Rickboard in die Halfpipe wagt, würde davon sofort erschlagen. Weswegen das Steinbrett für 13 000 Euro verkauft wurde. Ohne Rollen.

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