"Me Too"-Debatte:Schwarz wie die Macht

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Bei den Golden Globes verzichten die Stars auf das übliche Farbenspiel - die meisten sahen dennoch so sexy aus wie immer. Ist der politische Protest deshalb weniger wirkungsvoll?

Von Silke Wichert

Diesmal also keine thematisch messerscharf sortierten "Trend-Alerts" vom roten Teppich. Nicht von "Göttinnenkleidern" schwärmen, Farbtöne wie "Sparkling Champagne" erfinden, gleichzeitig das Jahr der angesetzten Capes wie das der blanken Rücken ausrufen. Alles hinfällig bei den diesjährigen Golden Globes, die bekanntlich eher "Black Globes" waren, weil beinahe sämtliche Frauen und ein Großteil der Männer komplett in Schwarz erschienen. Bei People- und Modemagazinen wissen sie, was in solchen Ausnahmesituationen zu tun ist: Sie konzentrierten sich auf die schönsten Schmuck- und Beauty-Looks.

Aber natürlich schrieben auch sie, wie alle anderen Medien, über den Megatrend hinter dem Ganzen. Schwarz als Zeichen der Solidarität in der "Me Too"- und "Time's up"-Bewegung, als Protest gegen Sexismus, sexuellen Missbrauch und ungleiche Machtverteilung. Nicht mal die Reporter von E! Entertainment, traditionell für die Live-Berichterstattung an vorderster Front zuständig, trauten sich diesmal, die Frage aller Fragen zu stellen: "What are you wearing?" - Was hast du an? Noch vor zwei Jahren hatten Schauspielerinnen unter dem Hashtag #askhermore gefordert, nicht ständig auf einen Kleiderständer reduziert zu werden, der wahlweise die Antwort "Gucci", "Saint Laurent" oder "Armani" ausspuckt. Diesmal wurden sie also immerhin gefragt, warum sie Schwarz trugen, was das zu bedeuten habe. Woraufhin Meryl Streep, im großzügig dekolletierten Dress, antwortete: "Wir fühlen uns jetzt stark genug, in einer dicken schwarzen Linie zusammenzustehen, die das Vorher und Nachher markiert."

Etappenziel erreicht, könnte man meinen. Doch es gibt auch Kritik. Die Schauspielerin Rose McGowan, die den Harvey-Weinstein-Skandal ins Rollen gebracht hat, als sie öffentlich machte, 1997 von ihm vergewaltigt worden zu sein, schrieb schon vorab auf Twitter, das Ganze sei eine hübsch verlogene Geste. Man müsse schon ganz fernbleiben, um ein Zeichen zu setzen. Einige Beobachter, darunter ein Autor in der New York Times, bemerkten außerdem, der bloße Farbentzug habe den gewünschten Effekt verfehlt, weil er nichts "an den tiefen Ausschnitten, dem prunkvollen Schmuck und dem glamourösen Firlefanz jeder anderen Preisverleihung" geändert habe. Der Dresscode sei "mehr Vereinfachung statt Aufopferung" gewesen. Klingt irgendwie nach: Der Protest sah noch zu gut aus.

Wenn Frauen sich in der Opferrolle sehen und diese anprangern wollen, müssen sie erst mal ein Opfer bringen, oder wie? Zuallererst ihren Sexappeal begraben, weil man ja niemanden ernst nehmen kann, der semi-transparente Spitzenkorsagen trägt, auch wenn sie nicht zum G-20-Gipfel, sondern zum Kräftemessen im Showbusiness antanzen. So ungefähr? Das muss man jetzt erst mal in den tiefen Ausschnitt sacken lassen.

Unvergessen, wie Jane Fonda bei den Oscars 1972 in einem vier Jahre alten Anzug erschien

Sicher, man hätte den Dresscode noch einheitlicher gestalten können. Alle in schlichten Designs statt des ewigen Wettrüstens. Und natürlich machten einige Frauen eine bessere Figur als andere. Was an diesem Abend vor allem bedeutete: gut auszusehen und nebenbei noch etwas zu sagen zu haben, während andere, nun ja, nur gut aussahen. Eindrucksvoll zu beobachten in dem Moment, als die Schauspielerin Emma Watson hochgeschlossen und Arm in Arm mit der britischen Aktivistin Marai Larasi erschien - während sich zwei Meter weiter links Model und Kardashian-Schwester Kendall Jenner für die Fotografen das Haar zerwuschelte und wie auf Knopfdruck ein Bein unter dem schwarzen Tüllrock herausfuhr. So was nennt man dann wohl einen Blackout.

Hinten von links: Tarana Burke, Michelle Williams, America Ferrera, Jessica Chastain, Amy Poehler, Meryl Streep, Kerry Washington. Vorne von links: Natalie Portman, Ai-jen Poo und Saru Jayaraman. (Foto: Chris Pizzello/AP)

Womöglich hatten viele eher dieses Bild von Protestmode im Kopf: Jane Fonda im schwarzen, hochgeschlossenen Hosenanzug, als sie 1972 den Oscar für "Klute" gewann. In den düsteren Zeiten des anhaltenden Vietnam-Kriegs sei ihr nicht nach schicken Kleidern gewesen, hatte sie damals erklärt. Diesem Zweck diente der keineswegs unglamouröse Aufzug von Yves Saint Laurent Couture. "Hanoi Jane", wie sie damals von ihren Landsleuten verächtlich genannt wurde, hatte sich zudem Ohrringe angesteckt und die Haare gekämmt. Für Modeleute rückblickend fast die größere Sensation: Der Anzug war nicht einmal neu, Fonda hatte ihn vier Jahre zuvor gekauft. Undenkbar im heutigen Millionengeschäft des Teppich-Schaulaufens, bei dem Kleider oft extra für die Schauspielerinnen angefertigt werden.

Sicher trat Jane Fonda damals zurückhaltender auf als "I, Tonya"-Darstellerin Margot Robbie und "Desperate Housewife" Eva Longoria, die V-Ausschnitte bis zum Zwerchfell trugen - zwischen beiden Ereignissen liegen ja mehr als 40 Jahre. Seitdem haben sich Frauen die ein oder andere Freiheit erkämpft. Keine gesetzlich verordnete Hausfrauenehe, straffreie Abtreibung, solche Sachen. Nicht vielleicht das Recht, sich so anzuziehen, wie es ihnen gerade passt? Auch in Deutschland gibt es noch einen Hang zur "aggressiven Nichtmode", wie es die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken nennt. Immerzu beweisen zu müssen, dass man Wichtigeres im Kopf hat als Kleider und Schmuck, kann ganz schön anstrengend sein.

Oder liegt hier womöglich doch irgendwo eine Text-Bild-Schere vor, wenn man im sexy Abendkleid auf sexuelle Übergriffe aufmerksam machen will? Ausgerechnet einer Modemacherin, der Amerikanerin Donna Karan, war zu Beginn der Weinstein-Debatte vor laufender Kamera rausgerutscht, dass Frauen es mit der Art, wie sie sich bisweilen kleiden, "womöglich darauf anlegen". Den Shitstorm erntete sie prompt. Eine derart simple Kausalkette ist nicht nur zutiefst frauenfeindlich, sondern auch äußerst männerfeindlich, weil sie dieser Spezies pauschal das Kontrollvermögen eines Zuchtbullen attestiert. Das nur nebenbei.

Man muss für ein Statement keinen pinkfarbenen Pussy Hat aufsetzen, der die Frisur ruiniert

Wenn man als Frau immer noch entweder unglamourös sein möchte oder die Hosen anhaben muss, um holzhämmernd Gleichberechtigung zu visualisieren, hätten bei den Globen Globes nur die Schauspielerinnen Claire Foy aus der Serie "The Crown" und Susan Sarandon auflaufen dürfen. Sie trugen maskuline Anzüge. Den modernen Mittelweg beschritten Frauen wie Debra Messing, die in einem so genannten Drouser kam, ein Kleid-Hosen-Verschnitt. Eine Variante, die bereits bei Chanel und Versace zu sehen war. Allen anderen wird nachträglich der "Time's up"-Pin vom Korsagenkleid aberkannt.

In Wahrheit war Oprah Winfreys kämpferische Rede an jenem Abend kein Stück weniger überzeugend, weil sie dabei ein schulterfreies Kleid mit Netzeinsatz und lange, funkelnde Ohrringe trug. Im Gegenteil. Was für eine in jeder Hinsicht tolle Frau da oben stand. Nicht jeder, der für sich reklamiert, etwas im Kopf zu haben, muss sich erst einen pinkfarbenen Pussy Hat auf denselben setzen. Auch wenn der natürlich aufopferungsvoll die Frisur ruiniert.

"Viel zu lange wurde Frauen nicht zugehört und ihnen nicht geglaubt, wenn sie es wagten, die Wahrheit über Männer zu sagen, die ihre Macht brutal ausnutzen. Doch die Zeit dieser Männer ist vorbei, sie ist vorbei!“ Oprah Winfrey. (Foto: Paul Drinkwater/Reuters)

Die nächste Frage lautet jetzt natürlich, wie wohl die Oscar-Verleihung Anfang März aussehen wird. #oscarssowhite? Diese Kampagne gab es bereits, wenn auch in etwas anderem Zusammenhang. 2016 wurde mit dem Hashtag auf die kaum berücksichtigten Schauspieler afroamerikanischer Herkunft angespielt. Auch sonst dürfte weder die Suffragetten-Trikolore violett-weiß-grün ausgerufen werden, noch sollten sämtliche Schlüsselbeine bedeckt bleiben; jedenfalls nicht, solange Halle Berry eingeladen wird. Der Effekt der Golden Globes lässt sich ohnehin nicht beliebig reproduzieren.

Die Inszenierungsmaschine Hollywood hat ohnehin noch nie viel mit Sack und Asche anfangen können. Weder die Stars noch die Modelabel werden sich in der Oscar-Nacht von ihrer größten Werbefläche verabschieden. Die Bilder dieses Abends erreichen über die klassischen Medien und Social Media mehr Menschen als jede globale Anzeigenkampagne. Stylisten bekommen bisweilen fünfstellige Summen, um die entsprechenden Kleider an den richtigen Frauen zu platzieren.

Was kann Mode noch bewegen? Mit Sachen, die man sich heute überstreift und morgen ablegt?

Selbst bei den schwarz eingefärbten Golden Globes war es ja keineswegs so, dass die Marken gänzlich totgeschwiegen wurden. Zwar gab es keine "on air"-Nennung, wie das so heißt, wenn "Versadschie" frontal in die Fernsehkameras geflötet wird. Stattdessen sorgten die PR-Abteilungen auch diesmal verlässlich dafür, noch während der Veranstaltung oder kurz danach sämtliche Medienvertreter über die Kleiderwahl der jeweiligen Stars zu unterrichten. Immerhin das Haus Calvin Klein schob dem üblichen "wir freuen uns, mitzuteilen ..." noch den Hinweis voran, dass sie die "Time's up"-Bewegung unterstützen und sich finanziell an dem Fonds für die Opfer sexueller Übergriffe beteiligen. Der ein oder andere Designer dürfte da vielleicht bis zu den Oscars noch rasch ein "me too!" hinterherschicken.

Die Mode gibt sich in letzter Zeit ja gern politisch. Dior druckte höchst erfolgreich "We should all be feminists" auf T-Shirts, zuletzt hieß es, "why have there been no great women artists?" Über die Antwort wurde allerdings bislang kaum geredet, weil gerade so viele Motto-Shirts unterwegs sind, dass solche Statements kaum mehr als trendige Worthülsen sind. Wirklich politisch wird es allenfalls bei Raf Simons für Calvin Klein, der mit Kettensägendekoration und blutroten Röcken in seinen Kollektionen die andauernde American Horror Story verarbeitet.

Was kann Mode noch bewegen? Mit Sachen, die man sich heute überstreift und morgen wieder ablegt? Zumindest ist ihre Oberfläche nach wie vor ein gut funktionierendes Kommunikationsmittel. Entwürfe können gesellschaftliche Strömungen aufgreifen und Stimmungen transportieren. Womöglich wird es bei den Oscars diesmal weniger süßliche Prinzessinnenkleider geben. Keine Federn. Dafür breitschultrige, vielleicht auch scharfgeschlitzte Roben für starke, selbstbewusste Frauen. Warten wir auf die Trend-Alerts.

© SZ vom 13.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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