Mailänder Fashion Week:Mailand macht Schluss mit Sex

Auf der Mailänder Fashion Week geben sich die Designer zugeknöpft und hochgeschlossen - und zeigen endlich, dass sie mehr können als Dolce Vita.

Von Dennis Braatz

In den vergangenen Jahren mussten sich die Modedesigner Italiens einiges anhören: Sie beschäftigten sich zu viel mit ihrer Vergangenheit, dem Dolce Vita der Sechziger- und Siebzigerjahre und den eigenen Klischees, die Mode werde somit austausch- und kopierbar. Trendforscher erklärten deshalb sogar schon ihren Tod. Jetzt aber, bei der soeben zu Ende gegangenen Mailänder Modewoche, gelang den Modemarken Italiens ein bemerkenswertes Comeback.

Michele macht's vor

Nach Selfies, Belfies (Fotos vom Hintern) und Shelfies (Stillleben) zeichnet sich auf Instagram gerade eine neue Beitragsform ab: Das Gruppenfoto von gleichen Schuhen, die zufällig aufeinander treffende Menschen tragen. Entstanden ist die Idee natürlich nicht mit irgendwelchen Schuhen, sondern mit Guccis, die Schlappen und Loafer mit dem Horsebit-Emblem und der Fell-Fütterung, über die man in der Branche seit Wochen spricht. Motive mit bis zu sechs aufgereihten Paaren sind durch die Social-Media-Kanäle gewandert, vorausgesetzt, dass kein Sitznachbar die Gucci-Kette unterbrochen hat. Seit ein paar Tagen sind die Schuhe nicht nur in den Boutiquen vergriffen, sondern auch im Online-Shop. Kunden können zwar noch bestellen, erhalten innerhalb von 24 Stunden aber eine Stornierungs-Mitteilung.

Für den finalen Ausverkauf dürfte Guccis Show am Mittwochnachmittag gesorgt haben. Nicht, weil sich - so ging ein in diesen Tagen gerne erzählter Scherz - die Mode-Reporter ihre Schuhe im Mailänder Sintflut-Regen ruiniert hätten und deshalb dringend neue brauchten. Die produzierte Stückzahl wäre dafür ohnehin viel zu hoch gewesen. Vielmehr wurde an jenem Mittwoch klar, dass sich nicht allein die kleine Modewelt für das neue Gucci interessiert, sondern Kunden auf der ganzen Welt. Sie waren es nämlich, die, kurz nachdem die Show zur zweiten Damen-Kollektion vom neuen Designer Alessandro Michele in Videos und Fotos durchs Internet geisterte, den Warenkorb voll machten.

Als Inspiration diente Michele dieses Mal die Idee der 1654 von der französischen Philosophin Madeleine de Scudéry verfassten "Carte de Tendre" aus dem Werk "Clélie". Eine Landkarte des Reiches der Liebe, wo die Leidenschaft gebändigt und in eine Sympathie für die einzelne Seele umgewandelt wird. Klingt eigenartig, ergibt aber Sinn, wenn man bedenkt, dass Gucci vor Michele noch Sexyness im klassischen Sinne war, also Frauen auf extrem hohen High-Heels, in knallengen Hosen oder mit tiefen Ausschnitten und einer Löwenmähne. Heute treten verhuschte Mädchen auf, dazwischen geschlechtslose Männer, beide in transparenten und hauchzarten Entwürfen. Kurz darauf tragen sie wieder strenge Schluppenblusen und sind reich dekoriert mit knallbunten Blumen- und Tapetenmustern. Beide tragen Schlappen, beide sind ungewöhnlich reizvoll.

Micheles Kollektion ist sensibel und aufwändig gestaltet: Ins Innenfutter eines Nerzmantels ist ein Schmetterling aus einem Python-Patchwork gesetzt, Jacken sind mit schimmernden Ameisen aus Schmucksteinen bestickt, auf den Absätzen der Schuhe sitzen kleine Perlen und Metall-Schleifen. So macht man Plagiat-Giganten wie H&M, Mango und Zara das Leben schwer.

Nie mehr Bunga Bunga

Versace - Runway - Milan Fashion Week SS16

Bei Versace sieht der nächste Sommer angezogener als gewohnt aus.

(Foto: Pietro D'Aprano/Getty)

Der Norweger Peter Dundas dagegen hat dieses Kunststück noch vor sich. Mit seiner Debüt-Kollektion für Roberto Cavalli hat er allerdings schon mal einen schönen Anfang gemacht. Dundas kennt die Marke gut, er hat früher einmal selbst unter dem Gründer gearbeitet. Dessen Pailletten-Roben mit Animalprints und Lederfransen für die Bunga-Bunga-Gesellschaft hat er nun vom Laufsteg verbannt. Stattdessen gibt es jetzt Jeanswesten, Bikerjacken, in der Taille gebundene Lederhosen und Minikleider, die dem Heritage-Gedanken der Marke zeitgenössisch gerecht werden. Es sind Teile, die endlich auch wieder auf der Straße getragen werden können. "Ich musste den Körper der Frau erst befreien, um neue Wege einzuschlagen", sagt Dundas nach der Show backstage zwischen Kamerateams und Gratulanten. Weder Roberto Cavalli persönlich, noch ein anderes Familienmitglied ist zu sehen.

Bei Versace ist die Frontrow dagegen gefüllt mit Designer-Kollegen: Ricardo Tiscy von Givenchy, Christopher Kane, daneben drängeln sich die Topmodels Klum und Campbell. Und selbst hier, wo bislang so konsequent wie nirgendwo sonst Sex und Vulgarität in der Luft lag, geht es jetzt angezogener zu. Khaki und Camouflage-Muster zieren Kastenjacken, Parka und Seidenkleider. Neben den üblichen Killer-Heels werden flache Sandalen gezeigt. Zum bevorstehenden Börsengang eine gute Entscheidung.

Solide Schneiderkunst

Roberto Cavalli - Runway - Milan Fashion Week SS16

Peter Dundas zeigt beim Debüt für Roberto Cavalli, wie tragbar die Marke auch auf der Straße sein kann.

(Foto: Pietro D'Aprano/Getty)

Natürlich gab es in Mailand in der Vergangenheit nicht nur Totengräber, sondern immer schon Labels, die sich um den Fortschritt bemüht haben. Interessant ist, dass vor allem sie nun bei ihren Schauen auf ausgeklügelte Stylings setzen, zum Beispiel Prada. Hier blitzen unter Kostümen, über Kleidern und auf Pullovern feine Seiden und Netze hervor. Den Models sind zu Balken modulierte Haarsträhnen ins Gesicht gekämmt. Bei Bottega Veneta gibt es Python-Jacken und Leo-Tops zu Bergsteigerseilen, Karabinerhaken, Kordeln und voluminösen Kleidern. Bei Tod's dagegen Paperbag-Hosen zu Rüschenblusen, Lederkleider mit Laser-Ausstanzungen und mit Kreis-Mustern bedruckte Halstücher. So faszinierend das alles auch aussieht, so mutig und nicht ganz leicht zu tragen ist es auf der anderen Seite. Zerlegt man aber alle Outfits in ihre Einzelteile, bleiben Kleidungsstücke übrig, die nach der klassischen Schneidertradition perfekt sind, lange haltbar sowieso, was schon deshalb gut ist, weil es Kunden gibt, die der Marke ein Leben lang treu bleiben.

Vor allem bei Dolce & Gabbana ist das so, einer Marke, die nicht jedem Trend hinterherjagt, sondern für einen bestimmten Stil steht, der vor allem eins immer wieder feiert: das eigene Land. Dieses Mal sind Portofino, Rom und Sizilien in 90 rekordverdächtige Looks zusammengefasst. Sie zitieren immer wieder vorangegangene Kollektionen. Neu ist, dass die Models auf dem Laufsteg zwischendurch immer wieder stehen bleiben, um Selfies zu schießen. In Sekundenschnelle werden die auf riesigen Leinwänden über den Publikumsrängen eingespielt, weil sich die Gäste im Hintergrund bei dem "einzigartigen Erlebnis" entdecken sollen.

Ohrringe für alle

Am Ende haben alle Designer eines gemeinsam. Sie haben für die nächste Saison riesige Ohrringe entworfen, entweder beid- oder einseitig getragen, als Glitzerkugel (Prada), Ornament-Hänger (Gucci), Zitronen (Dolce & Gabbana), Glastropfen (Tod's), Creolen (Versace) oder stilisierte Mäuse (Marni). Die meisten davon sind Modeschmuck, erschwinglich im Vergleich zu allem, was sonst auf dem Laufsteg gezeigt wird. Ein Produkt also, das sich selbst an die schnell verkaufen lässt, bei denen das Geld nicht im Überfluss vorhanden ist - und an solche, die Mode nicht mehr nur als reines Luxusprodukt sehen und flexibler mit ihr umgehen. Auch daran lässt sich ablesen, wie sehr sich die italienische Mode gerade zurückkämpft, an die Spitze im internationalen Vergleich mit New York, London und Paris. Und in die Kleiderschränke der modernen Frau.

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