Magazin:Ganz schön rebellisch

Die Zeitschrift "Teen Vogue" führt vor, wie politisch Modemagazine sein können,wenn sie sich nur mal trauen. Nun wird Hillary Clinton Guest-Editor.

Von Silke Wichert

What happened" heißt das kürzlich erschienene Buch von Hillary Clinton über ihre Sicht der Wahlniederlage 2016. Das gleiche fragen sich gerade eine ganze Menge Leute angesichts der Nachricht, dass eben jene Hillary Clinton als "Guest Editor" im Dezemberheft der amerikanischen Teen Vogue fungiert. Eine Ex-First-Lady, Ex-Außenministerin und Ex-Präsidentschaftskandidatin mit Gastspiel bei einem Modemagazin, genauer: Teenie-Modemagazin - wie konnte das passieren?

Für alle, die dem Segment schon ein paar Jahre entwachsen sind: Grob zusammengefasst lautete die Formel der kleinen Schwester der großen Vogue stets "Das Gleiche in Jung". Also schöne Menschen, schöne Dinge, schöne Orte, nur eben für die gutsituierte Teenager-Fraktion. Ähnlich erwartbar gestalteten sich Logo und Format des 2003 geborenen Ablegers. Den berühmten Versalien wurde kurzerhand ein "teen" in Kleinbuchstaben vorgeschoben, das Format verkleinert - fertig.

Entsprechend groß war die Überraschung, als vergangenen Dezember plötzlich ein Teen-Vogue-Artikel im Netz für Aufsehen sorgte, der zwischen "das perfekte Prom-Dress" und "was tun, wenn deine Eltern deine Freunde hassen" nicht ganz in das übliche Schema passte. Das Meinungsstück einer jungen Autorin hieß "Donald Trump Is Gaslighting America", und bezog sich auf das, was die Psychologie "gaslichtern" nennt, wenn nämlich Menschen systematisch durch Lügen und die endlose Wiederholung falscher Behauptungen zermürbt werden.

Oscar de la Renta Forever Stamp First-Day-Of-Issue Stamp Dedication Ceremony

Beste Freundinnen, so heißt es. Trotzdem schreibt Hillary Clinton nicht für Anna Wintours US-Vogue, sondern für den jungen Ableger Teen Vogue.

(Foto: Noam Galai/Getty Images)

Kritische Politikbetrachtung in der Teenie-Vogue? Ungefähr so erwartbar wie ein zehnseitiger Lipgloss-Essay im Spiegel.

Kurz nach Erscheinen teilte der bekannte amerikanische Fernsehveteran Dan Rather den Text auf Twitter. Bis heute hat er mehr als 1,5 Millionen Klicks erzielt, die höchste Reichweite im vergangenen Jahr - innerhalb der gesamten Vogue-Familie wohlgemerkt. Vor allem aber hat er erreicht, dass das junge Ding plötzlich vollkommen anders, beziehungsweise erstmals richtig wahrgenommen wird. Nichts weiter als pubertäres Gedöns? Denkste!

Passiert ist also, um es mit den Worten der neuen Chefredakteurin Elaine Welteroth zu sagen, Folgendes: " Teen Vogue ist aufgewacht." Nach 14 Jahren, mitten in der eigenen Pubertät, hat sich die kleine Schwester eine eigene, vernehmbare Stimme zugelegt. Maßgeblich die von Welteroth, 30, eine von zwei Afro-Amerikanerinnen auf Spitzenpositionen im Condé Nast Verlag, mit riesiger Fangemeinde auf Social Media. Und dann gibt es natürlich noch den "Digital Editorial Director" Phillip Picardi, 26, eine Art Wunderkind für alles Digitale in dem eher printlastigen Haus.

Bevor die beiden vor eineinhalb Jahren Teen Vogue übernahmen, waren die Zahlen im freien Fall, von ehemals einer Million Heften verkauften sich 2015 noch etwa 50 000, Anzeigenerlöse schrumpften, immer wieder gab es Gerüchte, das Heft werde eingestellt. Stattdessen entschied Condé Nast, nur vier Ausgaben pro Jahr herauszubringen und in den Internetauftritt zu investieren. Mit sensationellem Erfolg: Von vier Millionen jährlichen Besuchern 2015 stieg die Online-Reichweite auf zuletzt zwölf Millionen.

Teen Vogue

Der Titel der Dezemberausgabe der Teen Vogue.

Heute landen auf teenvogue.com nicht mehr nur junge Mädchen, sondern auch erwachsene Frauen und sogar: Jungs! Sie lesen dort über Freddie Gray, den 25-jährigen Afro-Amerikaner, der an den Folgen eines Polizeigewahrsams starb, Abtreibung in Zeiten von Trump oder das Versagen von Ronald Reagan während der Aids-Epidemie in den Achtzigern, der Text erschien kurz nach dem Tod von Nancy Reagan. Gefällig geht anders.

Sogar die Zahlen der Abonnements stiegen wieder, weil Erwachsene begannen, dem engagierten Nachwuchs die Hefte zu sponsern. Neulich widmete das Branchenorgan "Business of Fashion" der Teen-Revolution eine ausführliche Geschichte: "Wie aus dem Problemkind ein kulturelles Phänomen wurde."

Und jetzt noch der Clinton-Coup. Erscheinen wird die Ausgabe am 5. Dezember, ein Heft über "Widerstand und Ausdauer", wie es heißt, mit einer Collage aus diversen Hillarys auf dem Titelbild. Bekannt ist, dass es einen Brief von Clinton an ihr Teenager-Ich geben wird sowie einen Text über ihre Jugendfreundin Betsy Ebeling. Online ist bereits eine Art Pre-Editorial zu lesen, in der die Gast-Chefredakteurin erklärt, Teen Vogue zeige, dass sich Stil und Substanz nicht ausschließen. Sie liebe es, Artikel über Make-up-Entferner gleich neben Essays zu sehen, die davon handeln, was es heißt, als Frau für ein Amt zu kandidieren. "Übrigens habe ich zu beiden Themen einiges zu sagen!", schreibt die 70-Jährige - was weniger überraschend ist als die Tatsache, dass sie Teen Vogue und nicht Vogue als Plattform wählt.

Denn eigentlich ist Hillary Clinton natürlich klassisches Mutterheft-Material. Sie und US-Vogue-Chefin Anna Wintour sind seit Jahren befreundet. Sechsmal wurde sie im Heft porträtiert, 1998 war sie auf dem Cover. Für sie entschied Vogue - zum ersten Mal in seiner über hundertjährigen Geschichte - sich öffentlich für einen Präsidentschaftskandidaten auszusprechen. Wintour soll im Wahlkampf sogar Clintons persönliche Stilberaterin gewesen sein, und natürlich gab es einen Vorabdruck des neuen Buches in der Oktoberausgabe. Aber über Politik auch diskutieren? Redaktionelle Experimente wagen? Da lässt man bei der Grande Dame doch lieber die Finger von. Umgekehrt weiß Clinton natürlich auch, in welchem Heft die Wähler von morgen eher zu Hause sind.

Hillary Clinton

"Teen Vogue nimmt Mädchen ernst und begreift, dass sich Stil und Substanz nicht ausschließen."

Phillip Picardi erklärte kürzlich in einem Interview, man habe bei der gedruckten Teen Vogue zunächst auch davor zurückgeschreckt, sich kontroversen Themen zu widmen, um die Anzeigenkunden nicht zu verschrecken. Doch nach dem Erfolg der Webseite hätten alle - Leser wie Verleger - das Bedürfnis verspürt, mit einer Stimme zu sprechen.

Einen Haken an der Erfolgsgeschichte gibt es allerdings: Das Heft ist längst dem Tod geweiht. Die Clinton-Ausgabe wird eine der letzten sein, wie Condé Nast Anfang November ankündigte, danach wird Teen Vogue als reiner Online-Auftritt fortgesetzt. Auf Twitter setzte daraufhin sofort Wehklagen ein, die meisten konnten es schlicht nicht fassen, dass das Magazin auf dem Höhepunkt seines Erfolgs eingestellt wird. "Macht doch ein paar von den anderen Heften zu!", schimpften manche.

Aber ist es wirklich das Ende? Oder nun mal die Zukunft für ein junges Magazin? So oder so muss Condé Nast massiv sparen und gleichzeitig online zulegen. In der digitalen Sparte hat das Haus die meisten Entwicklungen verschlafen, Teen Vogue war der erste nennenswerte Erfolg. Der 26-jährige Picardi darf deshalb gleich noch das nächste "Online only"-Format verantworten: "them", eine Plattform, die sich vor allem an die junge "LGBT-Community" richtet, also Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle. Über allem steht natürlich die Hoffnung, dass seine und Welteroths Marke Teen Vogue jetzt auch ohne Print-Ableger stark genug ist, um Themen in einer Generation zu setzen, die sowieso nur noch online unterwegs ist.

Andererseits waren opulente Bildstrecken stets das Aushängeschild der Vogue-Familie, gerade in Jugendzimmern werden die Wände immer noch mit Ausrissen aus Magazinen tapeziert. Mit der Online-Version dürfte das eher schwierig werden.

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