Luxus-Matratzen und Edel-Pyjamas:Schlafen wird jetzt Statussymbol

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Muss nach Toastern und Sextoys wirklich auch Matratzen der Designer-Stempel aufgedrückt werden? Natürlich!

(Foto: imago/Westend61)

Lange wurde dem Schlaf keine Wertschätzung entgegengebracht. Das ändert sich gerade. Die Industrie steht schon bereit.

Von Celina Plag

An einem Abend im vergangenen Herbst gingen in Berlin geladene Gäste kollektiv miteinander ins Bett. Von Seiten der Veranstalter war das ausdrücklich erwünscht, extra dafür hatte man sich ja versammelt. Derlei mag es in der deutschen Hauptstadt allabendlich geben, im Milieu der Start-up-Branche und mit Pressemitteilung aber wohl eher selten. Vielleicht blieb es deshalb an diesem Abend bei zaghaftem Lakenwälzen und sachkundigem Bettgeflüster, das in etwa so klang: "Megabequem, das muss an diesem komischen Talalay-Kautschuk liegen."

Geladen hatten Vincent Brass und Frederic Böert, die im Frühjahr 2015 gemeinsam Muun gegründet haben: ein Designunternehmen rund um das Thema Schlaf. Gefeiert und getestet werden sollte an jenem Abend das erste Produkt der jungen Firma, eine Matratze. Die soll alles anders machen als die weißen Klötze, die man bislang mit angeblich 95 Prozent Rabatt im Matratzen-Schlussverkauf erwarb. Das verrät bereits ihre Farbigkeit: Die Event-Matratze hat wahlweise eine schicke graue oder eine blaue Fassung. Für Brass und Böert zählt neben inneren Werten nämlich auch der Look.

Matratzen werden zum It-Piece

Das ist tatsächlich neu. Bislang waren Matratzen ja in etwa so sexy wie Badmülleimer. Die Unternehmer von Muun aber wollen nun echte It-Pieces daraus machen, ihre Modelle mit Namen wie Aldrin oder Davy sollen künftig ein Statussymbole sein. Eine solche Designmatratze mit den Maßen 140 x 200 kostet etwa 790 Euro - in der Status-Preiskategorie sind sie damit schon mal. Neben dem ausgiebig beworbenen Innenleben kommt die neue Liegefläche auch gleich mit einem kompletten ästhetischen Begleitprogramm. Dazu zählen ein eigenes digitales Schlaf-Magazin genauso wie eine feinfühlige Werbekampagne, die schon jetzt viral gefeiert wird: Unter dem Motto "German Softness" nehmen Klischee-Deutsche auf der Matratze Platz.

Im ersten Moment klingt das völlig ballaballa. Muss nach Toastern und Sextoys wirklich allem der Designer-Stempel aufgedrückt werden? Die Antwort lautet leider: ja. Denn die Vorzeige- und Pinterest-Generation ist derart erpicht auf ein lückenlos durchästhetisiertes Leben, dass eine Matratze, die dem urbanen Publikum nachhaltige und optische Qualität verspricht, eine Marktlücke war. Die sich auch schon wieder schließt, denn Labels wie Filip Lenz (#sleepmatters) oder die coole britische Marke Eve ("Jeder großartige Tag beginnt in der Nacht zuvor") kommen fast gleichzeitig mit ziemlich ähnlichem Konzept daher. Dass ihre Matratzen das Liegegefühl als Lebensstil verkaufen, sieht man bei ihnen ebenfalls am wertigen Design, aber auch an den schönen Kartons, in denen die Matratzen von der Homepage weg verschickt werden.

"Wir bringen Schlaf keine Wertschätzung entgegen"

Für die Macher von Muun geht es aber um mehr als nur Style: "Wir wollen ein Bewusstsein für guten Schlaf aufbauen", erklärt Böert. "Schlafen wird immer noch als Mittel zum Zweck angesehen. Das steht unserer Meinung nach im Widerspruch zu den Kernwerten unseres modernen Lebensstils: dem Streben nach Leistung, Selbstoptimierung und Effizienz. Wir ernähren uns gesünder, treiben Sport und machen Wellness - aber dem natürlichsten Energielieferanten überhaupt, unserem Schlaf, bringen wir keine Wertschätzung entgegen."

Unrecht hat er damit nicht. Rainer Werner Fassbinders berühmter Ausspruch "Schlafen kann ich, wenn ich tot bin" stand lange sinnbildlich für eine Gesellschaft, die keine wache Sekunde ihres Lebens versäumen wollte. In der wenig Schlaf, vorgemacht von Politikern oder Top-Managern, mit Leistungsbereitschaft und einem aktiven Leben gleichgesetzt wurde. Wer aber auf seine Bettruhe stolz war oder ihr sogar anderes unterordnete, galt lange eher als Schwächling oder unproduktive Künstlertype. Diese alte Sortierung in wach oder faul ist jedoch gerade dabei, ins Gegenteil verkehrt zu werden.

Dolce & Gabbana - Runway - Milan Men's Fashion Week  FW16

Pyjama von Dolce & Gabbana.

(Foto: Getty)

"Wir schlafen immer weniger, immer kürzer und immer schlechter", heißt es in einer Studie des Schweizer Gottlieb-Duttweiler-Instituts (GDI, 2014), die sich mit der Zukunft des Schlafens auseinandersetzt. Sie prognostiziert unserer "Always on"-Gesellschaft eine "kollektive Übermüdung", die für so ziemlich alle Krankheiten verantwortlich sei, an der die Deutschen leiden. Und wo Schlaf zum seltenen Gut wird, steigt logischerweise sein Wert. Schlaf wird deshalb "zum neuen Statussymbol" und Langschlaf neuerdings zum "Synonym für Ehrgeiz, Kreativität und Erfolg", sagt das GDI. Bald werde Schlafen, so das Fazit, essenzieller Bestandteil eines trendbewussten Lebensstils mit allen passenden Lifestyle-Produkten und Services. Klar, dass zur Grundlage dieses Schlafwandels eine Designermatratze gehört. Oder auch die Fachsimpelei über die richtige Federung von Boxspringbetten, die neuerdings zur Smalltalk-Pflichtübung zu gehören scheint.

Benjamin Esser profitiert vom langsamen Umdenken genauso wie die Herren Böert und Brass. Er ist einer der drei Gründer von Urbanara, einer bei bewusst shoppenden Berlinern beliebten Online-Marke für Heimtextilien und Wohnaccessoires. "Schlafprodukte waren lange ein extrem staubiges Thema. Die Deutschen kaufen nur etwa alle drei bis vier Jahre neue Bettwäsche und geben verhältnismäßig wenig dafür aus - obwohl man damit knapp ein Drittel seiner Lebenszeit in direktem Hautkontakt ist", sagt Esser. Einen diesbezüglichen Bewusstseinswandel bemerkt er durchaus, satte 35 bis 40 Prozent seines Umsatzes kommen derzeit schon aus dem Schlafsegment - Tendenz und Zahlungsbereitschaft steigend. Genau wie das Interesse an Detailfragen: "Wie viele Tiefschlafstunden habe ich pro Nacht; wie optimiere ich diese, um fitter und effizienter zu werden? Das beschäftigt die Kunden momentan sehr."

Im Bett gönnt man sich was

Eigentlich kein Wunder. Nachdem die Urbanisten in den vergangenen zehn Jahren ihren Speiseplan auf Bio, Regional oder Supergesund getrimmt haben und sich zusätzlich mit Fitness- und Yoga-Kursen frisch hielten, ist das Schlafen eigentlich ein logischer nächster Schritt. Früh ins Bett zu gehen ist ja auch nichts anderes, als nachhaltig auf die innere Stimme zu hören! Man gönnt sich was - erst bei Tisch und dann im Bett.

Luxus-Matratzen und Edel-Pyjamas: Schlafmaske von Aromatherapy Associates, zum Beispiel über Net-A-Porter.

Schlafmaske von Aromatherapy Associates, zum Beispiel über Net-A-Porter.

(Foto: PR)

Deshalb wohl taucht das Thema Schlaf heute in allen Lifestyle-Bereichen auf. Bei der Schönheitsindustrie etwa lautet das Versprechen nicht mehr "schön im Schlaf", sondern viel essenzieller: "schöner schlafen". Das kostet aber natürlich was, Produkte wie ein beruhigendes "Sleep Plus" Kopfkissen-Spray von This Works oder ein aromatisches, angeblich schlafförderndes "Bedtime Treatment" von Tata Harper kommen mit Preisen von 30 bis 60 Euro daher. Ganz zu schweigen von den immer zahlreicheren Seren und Wundermitteln, die erst im Schlaf ihre wohltuende Wirkung auf die Haut entfalten sollen. Alles Firlefanz? Zum Schlafen braucht man nicht mehr als zwei zuverlässig schließende Augendeckel? Mag sein - aber nur wenn man nicht zu den knapp fünfzig Prozent der Deutschen zählt, die an Schlafstörungen leiden.

Wer immer erreichbar sein muss, der arbeitet auch im Pyjama

Obwohl eigentlich ein Widerspruch zum sinnlichen Thema, führt der Wunsch nach besserem Schlaf auch zu einer Unmenge technischer Anwendungen. Programme wie sleepyti.me, Sleep Cycle oder Sleep Time bieten via Smartphone Tracking-Dienste an, mit denen der Benutzer Informationen über seinen Schlaf sammeln kann - um ihn anschließend zu optimieren. Modedesigner sind auf den Schlaf(an)zug aufgesprungen und interpretieren die neue schicke Nachtruhe auf ihre Weise. Während schon vor zwei Jahren eine ganze Welle von Damenpyjamas von Häusern wie Louis Vuitton, Marc Jacobs oder Rochas über die Laufstege getragen wurden (die tatsächlich dafür gedacht sind, mit ihnen das Bett auch mal zu verlassen) setzt der Trend nun bei den Männern ein.

Edel-Pyjamas - Intimer Luxus fürs Bett

Für diesen Sommer gaben Dolce&Gabbana, Alexander McQueen oder Gucci ihre Interpretation von erweiterter Schlafzimmermode zum Besten. Angesichts von lässig fließenden Stoffen, viel Seide und klaffenden Revers geht es dabei aber eben nicht nur um sauberen Schlaf, sondern endlich auch wieder - stimmt, da war ja noch was! - ein bisschen um Sex.

Auch echte Luxus-Pyjama-Labels poppen überall auf wie Schäfchen vor dem Schlaf: Aus den USA kommen edle Modelle etwa von Sleepy Jones, und in der Ukraine bietet The Sleeper neben coolen Nachtensembles aus natürlichen Stoffen auch ein eigenes Online-Magazin, das problemlos den Spagat zwischen elegantem Nachthemd und gutem Lifestyle ausformuliert.

Um dem perfekten Pyjama auf die Schliche zu kommen, muss man aber gar nicht im Ausland suchen, pfiffige Modelle kommen auch von der Münchner Designerin Anna Heinrichs und ihrem Label Horror Vacui. Sie beschäftigt sich ausschließlich mit dem Zweiteiler fürs Bett, und das auf handwerklich hohem Niveau. "Mich reizte das Spannungsfeld zwischen Luxus und Understatement", erklärt Heinrichs ihre Vorliebe für das Schlafgewand. "Ein paspeliertes Knopfloch oder eine scheinbar nahtlos aufgesetzte Tasche sind schon ziemlich over the top für einen Pyjama - und dann bekommt es noch nicht mal jemand mit. Genau das finde ich schön: Luxus, der so intim ist, dass man ihn ganz allein genießen kann."

Schlaf ist hierzulande eben immer auch noch etwas sehr Privates. Das Nickerchen zwischendurch ist eher eine Ausnahme, und wer in der Öffentlichkeit mal versehentlich einschlummert, dem ist das in der Regel peinlich; denn der Schlaf bedeutet ja immer auch Kontrollverlust. Schnarchend und mit Sabberfaden will eben keiner gern von Fremden beäugt werden.

Das war nicht immer so. Zu Zeiten der Römer war Schlafen noch eine öffentliche Angelegenheit, und bis zur Industrialisierung galt der Gruppenschlaf im großen Saal als gang und gäbe. Im asiatischen Raum ist das noch heute so - in Japan etwa, wo Schlaf-Cafés zum Stadtbild gehören, und in China ist laut GDI die Akzeptanz des öffentlichen Nickerchens besonders weit vorangeschritten. Dort hätte man wahrscheinlich keine Hemmungen, sich auch im Ikea mal eine Runde aufs Ausstellungsstück zu hauen.

Hierzulande ist das nur schwer vorstellbar. Geschlafen wird zu Hause! Die Investition in eine raffinierte Designermatratze und die passende Garderobe könnte sich gerade deshalb auch für den zeitgeistmüden Deutschen lohnen. Es ist doch so: Wer wie wir neuerdings immer erreichbar und hoch flexibel sein muss, benutzt sein Bett ja längst nicht mehr nur zum Schlafen. Die Schriftstellerin Sibylle Berg bekannte etwa vor einigen Jahren in einem Interview: "Ich arbeite im Bett, esse im Bett und beziehe es oft frisch." Klingt gemütlich, und einen Vorteil hat diese Lebenseinstellung ja auch: Wer das Bett dergestalt als Universalmöbel und Dauerzuflucht betrachtet, dem erscheinen Preis und Gepränge einer Designermatratze schon fast wieder günstig.

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