Lokaltermin:Wielandshöhe

Kann Küche geistreich sein? Bei Vincent Klink ja. Der Chef auf der Wielandshöhe ist so klug und witzig, wie es die Legende über ihn verspricht.

Von Philipp Mausshardt

Kann Küche geistreich sein? Schwierig, findet unser Autor Philipp Maußhardt, weil es dann mit dem Spaß schnell vorbei ist. Bei Vincent Klink macht er allerdings eine Ausnahme. Der Chef auf der Wielandshöhe in Stuttgart ist bei seiner Runde durchs Restaurant wieder so klug und witzig, wie es sämtliche Legenden über ihn versprechen. Gerade hat Klink von der schwäbischen zur mediterranen Küche zurückgefunden. Warum? Na, weil's schmeckt! Geistreich eben.

Der Häuptling mag auf die 70 zugehen. Aber sein Geist sprüht frischer als der seiner meisten jungen Kollegen. Vincent Klinks kluge Einlassungen zum Essverhalten der Deutschen und zur Philosophie des Kochens sind jedenfalls Legende. Häuptling eigener Herd hat der Stuttgarter Koch und Musiker vor vielen Jahren seine Zeitschrift genannt, deren literarisches Rezept aus einer balancierten Mischung aus Witz und Ernsthaftigkeit besteht. Bestand, muss man vielmehr sagen, denn vor Kurzem hat er die vorläufig letzte Ausgabe vorgelegt. Ein paar Neujustierungen gab es auch in seinem Restaurant, und so war es an der Zeit, dem schwäbischen Oberindianer einmal wieder in den Topf zu schauen. Seit Klink auch als Fernsehkoch wirkt, ist es nicht ganz einfach, kurzfristig einen Tisch in der "Wielandshöhe" zu bekommen. Aber weil an diesem Abend die deutsche Nationalmannschaft spielt, haben wir Glück.

Stuttgart ist ja die schönste deutsche Großstadt. Zumindest bei Nacht, von weit oben betrachtet. Dann funkeln die Lichter unten im Talkessel wie tausend Sternlein, und man will gar nicht mehr weggucken. Darum sind die Fensterplätze in der Wielandshöhe die begehrtesten Tische, die aus diesem Grund auch nicht reserviert werden. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, ist das Prinzip der etwas strengen aber gerechten Saalchefin, Vincent Klinks Ehefrau Elisabeth. Wir sind später gekommen und müssen deshalb auf der anderen Seite des üppig mit Blumen geschmückten Raumes Vorlieb nehmen.

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Der Gruß aus der Küche ist bei Klink seit Jahren eine Konstante, trotzdem erschrickt man jedes Mal: Wie soll man seinem Magen nach einer Käse-Lauch-Quiche noch ein ganzes Menü hinterherschicken? Die Überraschung liegt darin, dass der vermeintlich mächtige Kuchen sich mit dem ersten Biss in fluffig leichten Schaumstoff verwandelt. Das nächste Staunen folgt mit dem Blick in die Karte: Klink hat sich nach Jahren der Beschränkung auf eine regional-verfeinerte schwäbische Küche wieder seinem geliebten Mittelmeer zugewandt. Einige Gerichte oder Zutaten tragen mediterrane Namen - vor Jahren auf der Wielandshöhe unvorstellbar.

Wir wählen die gebackene Aubergine mit Parmesan und Tomatensugo. Das klingt so verdächtig langweilig, dass es schon wieder neugierig macht. Was dann kommt, ist tatsächlich nichts anderes als angekündigt, entpuppt sich aber als echtes "soulfood" . Die Aubergine hat nichts mit den üblichen Gewächshausklonen zu tun und der Geschmack der zu einem Konzentrat eingekochten Tomaten würde jeden Neapolitaner zu Freudentränen veranlassen. Dafür 20 Euro zu bezahlen mag viel wirken, erscheint aber berechtigt, so, wie man für das Ei eines noch im Garten frei laufenden Huhns sofort zwei Euro über den Zaun werfen sollte. "Echt", das ist die kürzeste Bezeichnung für die Art der Klinkschen Küche. Wir lassen der Aubergine eine Rotbarbe und ein Sardellenfilet folgen. Beide stehen gar nicht auf der Karte, doch Klinks Tochter, die den freundlichen Service leitet, hat sie empfohlen. Die Barbe ist auf bissfeste Corona-Bohnen gebettet und durch eine Kapern-Orangen-Vinaigrette so sanftmütig begleitet, dass der Fisch nicht erschrickt.

Jetzt kommt Vincent Klink selbst an den Tisch. Er macht täglich die Runde durch sein Lokal. So als wolle er allen Zweiflern, die argwöhnen, bei so viel Umtriebigkeit könne der Chef ja gar nicht mehr selbst am Herd stehen, seine gesamten 110 Kilogramm Lebendgewicht entgegenhalten. Wer möchte, kann ihn in ein Gespräch verwickeln, gern über die Blastechnik einer Basstrompete. Es gibt eigentlich kein Thema, zu dem Klink nicht etwas Geistreiches, zumindest Witziges zu sagen hätte. "Diät ist Mord an ungegessenen Knödeln", ist nur einer seiner Sprüche, die er bei Gelegenheit zitiert. Wir nutzen die Möglichkeit und fragen ihn nach seinem mediterranen Sinneswandel. "Man muss ja nicht aus allem gleich eine Philosophie machen", sagt er. Es gab da eine Sizilienreise, und er war wieder einmal von "dieser kompromisslosen, einfachen Küche" begeistert. Fertig.

In einem Satz

Ein echter Klassiker, wo der Familienanschluss angenehm und die Devise "einfach gut" keine Phrase ist.

Qualität: ●●●●●

Ambiente: ●●●●●

Service: ●●●●○

Preis/Leistung: ●●●●○

Doch zurück zu den Tellern, die in Meeresnähe bleiben: bretonischer Steinbutt mit Artischocken-Fenchelgemüse, mit 52 Euro nicht gerade das, was die Schwaben "günschtig" nennen. Aber Steinbutt zählt zu den edelsten Plattfischen, aus gutem Grund: Bei Klink kommt er als grätenlose Tranche daher, nur gedämpft und behält so seinen grandiosen nussigen Geschmack. Die Portionen in der Wielandshöhe sind so bemessen, dass man satt wird. Kein schmückendes Beiwerk soll die Konzentration auf das Wesentliche stören. Klink hasst all das Chichi von Kollegen, die Essen mit Kunst verwechseln. Gegenüber liegen Brust und Keule vom Perlhuhn auf dem Teller. Beim ersten Biss knackt die krosse Kruste und der Duft des Thymianjus schleicht sich schon beim Eintunken der Gnocchi in die Nase. Wieder so ein Gericht, das nicht mehr sein will, als es ist. Wir sind so verwegen, noch zu zweit eine Meringue mit Aprikosenkompott zu bestellen, wie ahnen ja, dass auch sie nicht ihrem klebrig-schweren Image entspricht. Wie wahr! Das zum Glück wenig gesüßte Baiser ploppt im Mund zum zarten Schmelz zusammen, mit den leicht säuerlichen Aprikosen ein passender, ehrlicher Abschluss.

Wir würden dem Chef noch sagen, dass er wegen uns gern öfter nach Sizilien reisen darf. Doch Klink hat sich ins Bett verabschiedet. Der Häuptling muss jetzt schlafen, um Kräfte zu schonen. Andere in seinem Alter sind schon in Rente. Am Nachthimmel leuchtet der große Bär.

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