Lokaltermin:Waldknechtshof

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Baiersbronn im Schwarzwald hat acht Michelin-Sterne auf 14 000 Einwohner, das ist Weltrekord. Doch wie kocht es sich im Schatten der Stars?

Von Philipp Maußhardt

Die Gemeinde Baiersbronn im Schwarzwald ist das Weltfressdorf Nummer eins. Es gibt keinen anderen Ort, an dem - gerechnet an der Einwohnerzahl - mehr Michelin-Sterne vergeben wurden als eben hier. Acht Sterne auf 14 000 Menschen - das ist Rekord und hat natürlich Auswirkungen auf jeden Koch, der in Baiersbronn auch nur ein Wiener Schnitzel zubereiten möchte. Niemand kann hier so tun, als wüsste er das nicht. Die Strahlkraft der "Sterne" sitzt jedem Wirtshaus im Nacken, ja der Ruf, die Gourmet-Hauptstadt der Welt zu sein, klingt sogar bis zur Fritteuse des Bahnhof-Kiosks, dessen Kunden jede Currywurst einer kritischeren Betrachtung unterwerfen als irgendwo sonst.

Die Namen der drei Köche, die hier seit Jahrzehnten Maßstäbe gesetzt haben, kennt jeder Gourmet: Harald Wohlfahrt (Hotel Traube-Tonbach), Claus-Peter Lumpp (Hotel Bareiss) und Jörg Sackmann (Hotel Sackmann) gehören zu den Berühmtesten ihrer Zunft, hinzu kommt das Heer an Spitzenköchen, die bei ihnen das Handwerk erlernt haben. Im Schatten dieser Brigaden zu kochen mag für die anderen ortsansässigen Köche schwer sein, doch es ist auch Ansporn, und für den Gast, der zwar gut speisen möchte, aber aufs Geld achten muss, zahlt sich das aus. Auch er ist in Baiersbronn längst bestens aufgehoben. Zum Beispiel im Waldknechtshof des Ortsteils Klosterreichenbach.

Dort kocht seit knapp einem Jahr der gebürtige Greifswalder Christian Lange, der mit seinen 30 Jahren schon viel herumgekommen ist (unter anderem war er Sous-Chef in Schloss Elmau). Lange hat in den Betreibern des Waldknechtshofes, den Geschwistern Christine und Gernot Marquardt, zwei kongeniale Patrons gefunden, die ihm alle Freiheiten lassen, seinen eigenen, sehr fantasievollen, Stil zu entwickeln, und so konnte der Waldknechtshof in kurzer Zeit zum Geheimtipp von Baiersbronn werden. Und zum Anwärter auf den nächsten Stern.

Schon die Einrichtung des früheren Schwarzwaldhofes ist liebevoll bis ins Detail gestaltet und verzichtet auf jeden Kitsch mit Bollenhut. Noch puristischer ist nur die Speisekarte. Man erfährt: "Thunfisch, Sesam, Chili." Auf dem Teller liegen Variationen vom Thunfisch, einmal in Sesamkruste gebraten, daneben ein Tartar, im Bällchen ausgebacken, dazu gibt es Chilisauce. Oder: "Kaninchen & Jakobsmuschel, Paprika, Tomate, Basilikum" - was sich als eine im ausgebeinten Kaninchenfleisch gegarte Meeresfrucht entpuppt, umrahmt von zu Mus gekürtem Gemüse und Kräutern. Im Garten des Waldknechtshofes wachsen seit Frühjahrsbeginn fast alle Küchenkräuter Mitteleuropas. Aus ihnen schöpft Küchenchef Lange oft seine Inspirationen, denn zur Hausphilosophie gehört die Konzentration auf das Wesentliche und Naheliegende. Gut, die Jakobsmuschel ist jetzt nicht in der nahen Murg gefangen worden, deren Forellen aber ebenso auf der Karte zu finden sind wie im Herbst das heimische Wild. Wo aber täglich sowieso die Lieferanten bei Wohlfahrt, Lumpp und Sackmann anrücken und den Waldknechtshof passieren, hat man die Gelegenheit genutzt, sich ebenfalls mit frischen Meerestieren oder weißem Trüffel einzudecken.

Dass man für ein Einstiegsmenü mit drei Gängen nur 35 Euro bezahlt, ist wohl auch ein wenig der Landesgrenze geschuldet. Noch sind wir hier nicht im kulinarisch geschulteren Baden, sondern in Schwaben, und noch immer ist es schwer, den eigenen Landsleuten begreiflich zu machen, dass der Wert einer aufwendigen Küche sich am Ende auch in der Rechnung ausdrücken muss. "Günschtig" ist daher auch das Weinangebot, das in einer kleinen, aber austarierten Karte jedem Pfennigfuchser die Freudentränen in die Augen treibt. Keine Flasche über 40 Euro, die meisten deutlich darunter, so wie einige sehr gute Tropfen von Schloss Eberstein bei Rastatt. Insofern eignet sich der Waldknechtshof hervorragend als Einstiegsdroge für die benachbarte Drei-Sterne-Gastronomie. Wer sich also nicht gleich an eine Panna cotta vom Hummer mit jungen Algenspitzen wagt, wie sie nur wenige Kilometer weiter bei Harald Wohlfahrt auf der Karte steht, der kann sich erst einmal bei Christian Lange anfixen lassen - bei Tortellini mit herrlicher Safranfüllung und Spinatcreme.

Die Besitzer des Waldknechtshofs, die Marquardts, sind ein weiterer Glücksfall für die Baiersbronner Gastronomie. Den Hof haben sie von der Großmutter geerbt als sie längst beruflich etabliert waren. Sie als Marketing-Fachfrau, er als Unternehmensberater bei Stuttgart. Aus dem alten Bauernhof ein modernes Tagungshotel und Gourmet-Restaurant zu machen, war für beide zunächst nur eine Herausforderung. Inzwischen ist es eine Leidenschaft.

Auf der schönen, von Sträuchern umrahmten Restaurant-Terrasse bringt die herzliche Bedienung nun das - auf der Karte ebenfalls etwas vage annoncierte - Dessert: "Minze, Beeren, Joghurt, Rahm". Es sind kleine Wunderhäppchen, die man beim Schlucken schon vermisst. Bis zum Schluss hat der Kräutergarten das Menü bestens begleitet. Dieser Ort ist ein Versprechen auf eine noch größere kulinarische Zukunft, und fast ist man traurig, dass man ihn wohl mit immer mehr Gästen wird teilen müssen.

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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