Lokaltermin:St. Benedikt

Was zwischen den Jahreszeiten servieren? Ein Lokal bei Aachen schickt Herbst und Sommer in den Kampf auf dem Teller.

Von Jutta Göricke

Saisonale Küche ist für viele Restaurants Ehrensache. Was aber ist mit der Zeit zwischen den Jahreszeiten? Mit den vielen Übergängen? Das Lokal St. Benedikt in Kornelimünster bei Aachen schickt jetzt Sommer und Herbst in den Kampf auf dem Teller. Zu verkopft? Überhaupt nicht, findet Jutta Göricke, Languste und Rosenkohl sollte man öfter kombinieren.

Wer hätte gedacht, dass ein Magen auf Konzertbesuch gehen kann? Fühlt sich aber so an. Thema der Komposition: "Die zwei Jahreszeiten", vorgetragen in expressiver, fast brutaler Bodenständigkeit, umtänzelt und aufgelöst von filigranen Klängen. Mal betont dissonant, mal harmonisch hingebungsvoll mit melancholischem Unterton.

Küchenchef Maximilian Kreus vom "St. Benedikt" begrüßt den Herbst in diesen Tagen, in denen einem noch spätsommerliche Restwärme unter der Haut sitzt, die sich gegen Kälte und Dunkelheit stemmt. Der Gruß kommt in Gestalt eines furiosen Menüs (sechs Gänge für 112 Euro), es wird von Zutaten bestimmt, die nach Kastanienwald und feuchter Erde duften. Dagegen allerdings setzt der Koch ein paar so leichte wie wirkungsvolle sommerliche Kontraste. Kreus' kleines Restaurant St. Benedikt liegt in Kornelimünster, einem dörflichen Vorort von Aachen, der in seiner kompakten Idylle aus mittelalterlichem Fachwerk, barockem Schloss und Wallfahrtskirche aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Kornelimünster ist daher ein beliebtes Ziel für Touristen, die den historischen Ortskern mit ihren Autos zuparken.

Das St. Benedikt ist ein Traditionshaus, es gehört zu den wenigen Spitzenadressen auf deutscher Seite im Dreiländereck zwischen Lüttich, Maastricht und Aachen. Kreus hat es 2011 von seinen Eltern übernommen, mit gerade mal 27 Jahren, und sich sofort einen Stern erkocht. Ganz die Mama, denn Mutter Gisela war viele Jahre Sterneköchin, eine grundsolide, das sei aus Erfahrung gesagt. Seit dem Generationswechsel soll sich einiges geändert haben. Von Radikalität und Experimenten ist die Rede. In der Voreifel? Höchste Zeit, einmal vorbeizuschauen.

Dass Belgien und die Niederlande nicht weit weg sind, zeigt der erste Gruß aus der Küche: ein winziger Auberginenburger mit zwei Pommesstäbchen rot-weiß und dem freundlichen Hinweis, man dürfe ruhig mit den Fingern zugreifen. Klar doch, was sonst? Der kräftige, schön kühl temperierte Winzersekt von Künstler (2009) beflügelt die Einstimmung. Nun folgt der eigentliche Auftakt zum Thema des Abends: Das zweite Amuse ist eine dreiteilige Sellerievariation, einmal gedünstet und in eine Nudeltasche gepackt, einmal als Püree aufgetupft und zu guter Letzt als Reduktion angegossen. Voilà, der Herbst ist gekommen, man schmeckt es.

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Und so geht es weiter mit einem Entenconfit, dessen Fleisch lange gedünstet, dann ausgepresst und schließlich - in eine Mini-Brikettform gebracht - ausgebacken wurde. Eine kleine, aber schwere Angelegenheit, die von fast durchsichtigen Dörrapfelschnitzen und einem Klecks Apfelmus aufgeheitert wird. Als wahrer Antagonist tritt - zur Ente nicht verwunderlich - der Rotkohl auf. Aber nicht, wie üblich, als weich gekochtes, tief violettes Häuflein Elend! Hier ist er ein knackiger, poppig pinker Begleiter, dem ein Hauch Wasabi Pfeffer unterm Hintern gemacht hat und der jetzt der behäbigen und - völlig programmgemäß faserig zerfallenden - Ente ordentlich auf den Wecker geht.

Der nächste Gang ist eine äußerst zarte Languste, kombiniert mit der säuerlichen Frische der Calamondin-Orange und einer ziemlich mutigen Beilage: krosser, braun angebratener Mini-Rosenkohl, hier als geschmacklicher Rammbolzen, der die Leichtigkeit der süß-säuerlichen Sommerkombi mit Röstaromen und rustikalen Bitternoten ausbremst. Zu bitter? Nein. Weil die offene Konfrontation erst den Charakter der Languste herausstellt. Und noch einmal unterstreicht, dass schon der pinkscharfe Rotkohl so etwas wie ein letzter Gruß aus der Sommerhitze war.

Die starke Polarisierung auf dem Teller erinnert daran, dass Maximilian Kreus unter anderem im Düsseldorfer "Schiffchen" bei Jean-Claude Bourgueil gelernt hat, einem Vorreiter des Spiels mit Gegensätzen. Sie ist eine Herausforderung für den Gast (manchmal sogar eine Zumutung?), der mit jedem neuen Gang begreifen muss, dass es hier nicht allein um wohlige Gaumenfreuden geht, sondern auch um Irritation, um ein Konzept, das mit dem Verstand erfasst werden will. Das aber - keine Angst! - auch großen Spaß macht.

Der nächste Gang besänftigt. Jetzt kommt Scholle auf den Tisch, perfekt gegart, in einer aufgeschäumten Sauce, die mit Vadouvan verfeinert wurde, dem gerade sehr gehypten Generikum einer Mischung aus fermentierten indischen Gewürzen. Dazu gibt es Möhrchen im Ganzen und als frittierte Raspel, sowie lustigen Puffreis und knackiges Körnerbeiwerk.

Das war nur die Ruhe vor dem Sturm. Es folgt: Poverade, halbiert, paniert, frittiert. Die junge Artischocke mag für manche ein Frühjahrsthema sein (ist sie nicht nur!), doch sie übertrifft den Rosenkohl noch mal an herbstlicher Bitterkeit, wird dabei allerdings von kräftigem Sugo aus umwerfend sommersüßen Kirschtomaten in Schach gehalten. Dicke grüne Bohnen vermitteln und machen aus dem Gegensatzpaar nicht nur farblich ein starkes Team mit melancholischer Note. Die Sprache, die hier gesprochen wird? Harte Ansagen, wenige Zwischentöne. Ein genialer Teller.

In einem Satz

Das St. Benedikt ist ein im besten Sinne mutiges Lokal, das die Gäste fordert; nur gemütlicher könnte es sein.

Qualität: ●●●●●

Ambiente: ●●○○○

Service: ●●●●●

Preis/Leistung: ●●●●○

Nun ein kleiner Zwischengang, der das Thema weiterspinnt: ein Glas zum Auslöffeln von Olivenöl, geeistem Limettenjus, Salz und Eischnee. Der nächste Teller ist dann ein Höhepunkt: Lammhüfte, ewig gegart und dann leicht gebräunt. Pur. Großartig. Die leichte Sauce atmet weihnachtliche Aachener Printe. Dazu gibt es süßsauren Rettich, grüne - bitterscharfe - Pimientos de Padrón und eine süße Mousse aus abgeflämmter roter Paprika.

An der Stelle sei erwähnt, dass das Weinangebot ausschließlich aus deutschen Anbaugebieten stammt. Dagegen ist nichts einzuwenden, der Riesling aus dem bewährten Weingut Weil im Rheingau hat das Essen bis hierher sehr gut begleitet. Aber der offene Rotwein, eine Merlot-Cuvée, die zum Lamm vom ansonsten jederzeit bestens informierten und zuvorkommenden Service empfohlen wird, schwächelt und kann dem freien Spiel starker Kräfte kaum standhalten.

Das Dessert ist dann ein angemessenes Finale dieses Festivals der lauten Stimmen. Zugrunde liegt ein Salat aus eingekochten Williamsbirnen, deren Sud sich weich mit Buttermilch und langsam schmelzendem Nussbuttereis vereinigt. Konfrontiert wird das Ganze mit Koriandergrün, Petersilie und einer papierdünnen Karamellknackerplatte. Dazu eine aufgeschäumte Biskuitwolke in Kerbelgrün, die sich auch gut als Baumkrone in einer Modelleisenbahnanlage machen würde. Wildes Zeug. Unbedingt ausprobieren.

Das Einzige, was so gar nicht einleuchtet an diesem Ort der geschmacklichen Gegensätze und Herausforderung: die Einrichtung. Zur lauwarmen Gediegenheit kommt eine Beleuchtung wie in einer spanischen Kantine und kalte Bodenfliesen in unentschiedenem Beige, die eine schlechte Akustik begünstigen. Das geht besser. Man darf dem Aachener Grenzland gerne auch beim Ambiente Radikales zumuten.

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