Lokaltermin:Sosein

Avantgardistisch, aber über jeden Hipster-Verdacht erhaben: Das Sosein in der Nähe von Nürnberg ist eine der spannendsten Restaurant-Eröffnungen des Jahres.

Von Stevan Paul

Avantgardistisch, aber über jeden Hipster- Verdacht erhaben: Das Sosein in der Nähe von Nürnberg ist eine der spannendsten Restaurant-Eröffnungen des Jahres, findet unser Autor Stevan Paul. Die DNA der Küche ist extrem fränkisch und dabei so zukunftsweisend, dass das Lokal schon wenige Wochen nach dem Start zum Gesprächsthema geworden ist. Zu Recht.

Der Franke, heißt es so schön, "wurschtle" gern vor sich hin, zielstrebig bis starrsinnig, im Stillen und stets mit Bescheidenheit. Womöglich ist das eine hilfreiche Schublade, um sich vorzustellen, wie Küchenchef Felix Schneider und Caterer Jens Brockerhof ihr Restaurant geplant haben. Sie werkelten zwei Jahre detailversessen im Verborgenen, suchten heimische Bauern, Züchter, Winzer und Kleinstproduzenten. Herausgekommen ist ein Lokal, das sich an einigen Grundideen von Regionalismus, Saisonalismus und Neuer Nordischer Küche orientiert haben mag, das aber doch eine völlig eigene Handschrift trägt. Bemerkenswert für eine Küche, die erst vor zwei Monaten eröffnet hat und über die in der Branche bereits intensiv geredet wird.

So verzeiht man dem "Sosein", wenn es den Individualismus etwas arg programmatisch im Namen vor sich herträgt. Er klingt ja durchaus heimelig und passend für ein Lokal, dessen Konzept auf der "Zwangsläufigkeit der Natur" beruht, wie Schneider erklärt. Und zwar einer ziemlich fränkischen Natur, muss man wohl ergänzen. So avantgardistisch, wie es ist, könnte das "Sosein" in Kopenhagen oder Berlin sein, es findet sich aber - über jeden Hipster-Verdacht erhaben - in der ländlichen Marktgemeinde Heroldsberg, zehn Kilometer von Nürnberg entfernt. An der Fassade des Fachwerkhäuschens kündet der Schriftzug "Landgasthof Schwarzer Adler seit 1530" von kulinarischer Tradition. Die neuen Besitzer haben renoviert. Ein in Stein eingelassenes Display am Eingang zeigt das Menü an. Bitte klingeln, die Gastgeber begrüßen an der Haustür. Drinnen gewachsene Gemütlichkeit, dicke Mauern, niedrige Decken und Gebälk, dunkle Tische, Design-Stühle aus der Manufaktur, klare Formen, Naturstoffe natürlich.

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Der Abend beginnt fulminant - mit fünf "Snacks", die anderswo schon die Hauptattraktion wären: Rehydrierte Rote Bete mit Rosenessig, Leinsamenchip mit Topinambur-Creme, dreierlei Bamberger Hörnchen-Kartoffeln mit Hanföl-Buttercreme. Geräucherter fränkischer Ziegenkäse mit würzig fermentiertem Radieschen und Wacholderöl, schlicht und vermeintlich einfach, doch im Mund eine ganze Welt. "Fränkisches Nutella" wird serviert, eine dunkle Creme aus fermentiertem Knoblauch mit einer knusprig frittierten Hefeteigstange.

Das eigentliche Menü startet gegen 20 Uhr und fließt für alle Gäste im Gleichklang, die Atmosphäre ist familiär, der Service unprätentiös und verbindlich. Zum Auftakt des Menüs in sieben Gängen (115 Euro) wird ein Laib Sauerteigbrot (bereitet mit 65-stündiger Teigführung) ofenwarm aufgeschnitten, dazu gibt es acht Wochen gealterte Butter, die duftet wie guter reifer Käse. Der erste Gang: fränkische Tomate in drei Reifestufen, naturbelassen, nur mit einer Milch-Öl-Emulsion beträufelt, geröstete, süße Pinienkerne und gezupfte Kräutersalate. Tomaten im November, wir staunen - auch über den vollen Geschmack. Es sind die letzten eigenen Tomaten, die kontrolliert (nach-)reifen.

In einem Satz

Ein Lokal mit einer modernen, ganzheitlich gedachten Naturküche, die Schlichtheit und Raffinesse formvollendet kombiniert.

Qualität: ●●●●●

Ambiente: ●●●●●

Service: ●●●●●

Preis/Leistung: ●●●●●

Achtzig Prozent aller Gemüse, dazu das Obst, Salate und Kräuter stammen aus eigenem Anbau; Felix Schneider bewirtschaftet einen 1,4 Hektar großen Nutzgarten. Der konfierte Saibling, angerichtet auf warmem Granit, kommt mit roh marinierter Petersilienwurzel, -creme und -schaum. Dazu passt Birnensaft mit Petersilie, er ist Teil der alkoholfreien Menübegleitung (65 Euro), entwickelt von Restaurantleiter Dominik Altenkamp. Zum Entenhack auf geröstetem Weißkohlblatt mit feinem Krautsalat und Entenkrusteln begeistert kühler Walnussjoghurt. Zur süßen, dunkel gerösteten Topinambur mit geschmortem Kopfsalat und frischer Verjus, wird Verjus-Limonade gereicht, zubereitet aus unreifen Trauben vom Weinberg der Familie des Patissiers. Der zart-knusprige Happen vom Wollschwein wird von einer Steckrübenvariation begleitet, Star des Tellers ist aber die komplexe "Schlachtsoße", ein tiefdunkler, würziger Jus, der mit Blut und Leber angerührt ist (die Küche verarbeitet nur ganze Tiere). Begleitet wird der Gang von einem erstaunlich alkoholarmen Indian Pale Ale Craftbeer namens "Nanny State".

Eine herrliche Kombination ist dann das erste Dessert: eher cremefarbene, kühle "Schwarze Reismilch" zu feinem Milchreis aus schwarzem Reis mit herbem Schokoladeneis und japanischem Kōji-Reis-Baiser. Es ist eine weltoffene Auslegung von Regionalität, die nur dem besten Geschmack verpflichtet ist. Es folgt als süßer Abschluss fränkische Zierquitte, zitroniger Bisquit, Butterkaramell und samtiges Sorbet, das als "Aromen von Hefe" angekündigt, genauso anregend schmeckt, wie frische Hefe riecht: fein säuerlich, rahmig, würzig. "Vollreif &vergehen" ist das Motto des aktuellen Menüs, in dem (noch bis Ende des Jahres) Reifung und Fermentation eine große Rolle spielen: erdige Aromen und tiefe Würze genial kombiniert, kontrastreich und spannend, klug gedacht, perfekt umgesetzt.

Sechs dieser Themen-Menüs soll es künftig rund ums Jahr geben, die sich am regionalen Marktangebot orientieren, in sich aber flexibel bleiben und im Laufe der Zeit weiterentwickelt werden können. Sosein - das Quäntchen Küchenphilosophie im Namen des Restaurants geht also mehr als in Ordnung. Diese Küche steht für das Wesen(tliche), für Essenz, Eigenheit, die reine Form. Und ihre fränkische DNA wird - davon darf man wohl ausgehen - schon bald ganz unfränkisch Aufsehen erregen.

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