Lokaltermin:Markthalle Neun

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Um kein anderes Foodie-Ziel wird ein solches Gewese gemacht wie um die Markthalle Neun in Kreuzberg. Streetfood ist nun ein kulinarischer Adelstitel. Schmeckt das auch alles?

Von Harriet Köhler

Um kein anderes Foodie-Ziel wurde zuletzt ein solches Gewese gemacht wie um die Markthalle Neun in Kreuzberg. Bao Burger, Kimchee Taco oder Empanadas Argentinas - Streetfood ist snackgewordenes Multi-Kulti und gilt längst als kulinarischer Adelstitel. Aber schmeckt das auch alles? Unsere Autorin Harriet Köhler hat sich tapfer durch die Stände gegessen.

Am angenehmsten ist der "Street Food Thursday", wenn man kurz vor dem Beginn um 17 Uhr da ist. Wenn noch schwatzende Kopftuchmamis die Bierbänke bevölkern, die Einkäufe in ihren Aldi- und Kik-Tüten sortieren, Cola aus der Flasche trinken und neonfarbene Trolli-Gummiwürmer direkt aus der Packung picken, ohne sich weiter um die Hipster zu kümmern, die nebenan Palmblattschälchen stapeln, Weingläser polieren und ihre Stände wappnen für den Ansturm der Foodies und Touristen, der gleich über die Markthalle Neun hinwegfegen wird.

Der Kik soll leider weg, ebenso wie der Aldi - beide gelten eh nur als Altlasten aus der Zeit, als die Halle noch eine Art Ein-Euro-Shop fürs arme Kreuzberg war: billig statt bio, Massentierhaltung statt Manufakturmarmelade. Seit 2011 hat die Halle neue Betreiber, die hier ihr Konzept des "Anders-Essens" realisieren: regional, saisonal, handwerklich, fair und alles, was es sonst braucht, um die Besseresser anzuziehen.

Sich darüber lustig zu machen ist verlockend, aber unklug, denn tatsächlich gibt es hier Lebensmittel in bester Qualität: das italienische Hartweizengrießbrot von Sironi etwa, das mafiafreie Obst und Gemüse von Ars Maiorum aus Sizilien, die betörend duftenden Würste von Menze aus dem Bregenzerwald, oder Heidenpeters fruchtiges Pale Ale, das eine Etage tiefer gebraut wird. Das kommt an, und mancher Anbieter könnte gut mehr Fläche gebrauchen, doch das Geschäft macht nicht nur Umsatz, sondern auch Ärger, weshalb Anwohner und Betreiber sich längst im offenen Krieg ("Dialog") rund um Ruhestörung und Wildpieselei befinden. Denn zum allwöchentlichen "Street Food Thursday" verwandelt sich die beschauliche Markthalle in eine gigantische Mischung aus Festzelt und Imbissbude, in der ohne Unterlass gerührt, gedämpft und gebrutzelt wird, denn die Leute futtern, fressen, schauen und saufen, wie sie es sonst nur auf dem Weihnachtsmarkt tun.

(Foto: N/A)

Aber was ist es, das die Menschen zum "Street Food Thursday" lockt? Wirklich das Essen? Oder doch nur die Exotik des Angebots, das einem das Gefühl gibt, man würde sich todesmutig durch die authentischsten Garküchen der Welt probieren? Tja.

Für die vietnamesischen Sommerrollen würde man jedenfalls keine Reise buchen - dieses in Reispapier gehüllte Aromennichts an unangenehm säuerlicher Hoisin-Erdnuss-Sauce bekommt jeder Bahnhofsimbiss genauso hin (3 Euro). Auch das ferne Schwaben enttäuscht: Die Füllung der gebackenen Maultaschen mit Kartoffelsalat (7,50 Euro) von Barbaras Küche könnte man gut als Radiergummi verwenden, und die Nudelhülle ist so zäh-ledrig, als sei sie zur Zeit des Mauerfalls vorgebraten worden - da will man die chinesischen Dumplings, die genauso vorbereitet auf unschuldige Esser warten, gar nicht erst probieren. Der vegane Burger von Sun Day Burgers bereitet gleichfalls wenig Freude - der original Berliner Tofu ist zäh gebraten, und das glutenfreie Brötchen können auch dreierlei Sößchen nicht erheben (5,50 Euro).

Die Finger lassen sollte man auch von dem abstoßend mehligen "MacaJoe-Smoothie" aus Aloe Vera, Cashew, Banane und Maca, einem neuen Superfood aus den Anden, das bei Kinderwunsch und Rheuma genauso helfen soll wie bei Potenzproblemen. Es macht tatsächlich ganz wild - aufs Zähneputzen (4,50 Euro). Der neuseeländische "Chili-Beef-Pie" von Oma Marnie's schmeckt mit dem milden Tomatenchutney zwar gar nicht übel - aber letztlich doch nur wie Chili con Carne in Pastetenhülle (3,50 Euro)

Doch vielleicht zeigt sich darin das kulinarische Problem: "Street Food" lässt sich an Markthallendonnerstagen fast immer mit "Essen im Kohlenhydratmantel" übersetzen - das gilt für "The Naanwich" wie für "Empanadas Argentinas", für "Bao Burger" wie für "Bao Zhi", für "Koreandog" wie "Kimchee Taco" - und sogar für die "Ice-Cream-Sandwiches" von Zwei Dicke Bären, bei denen man ganz gutes Schokoladeneis mithilfe zweier dicker Erdnussbutter-Cookies seiner zweifelhaften Bestimmung zuführt.

Doch letztlich funktioniert das Konzept "Mantel mit Füllung" nur, wenn das Zusammenspiel aus Innen und Außen wirklich präzise abgestimmt ist - wie beim taiwanesischen "Gua Bao", einem watteweichen Dampfbrötchen mit ebenso zartem, karamellisiertem Schweinebauch, Krautsalat, Erdnüssen und Sojareduktion: Das ist ein kleines, fluffiges Umami-Wunder, bei dem man beinahe vergisst, dass man ein Sandwich isst (5 Euro). Doch schon wenn das Verhältnis nicht hundertprozentig stimmt, wird klar, dass aus einer Klappstulle kein Kunstwerk wird - etwa beim Lachsbrötchen von Glut & Späne, wo der eigentlich gute heißgeräucherte Fisch in einem viel zu dicken Bett aus banaler Krume untergeht (5 Euro).

Man bekommt in der Markthalle jedoch auch "richtiges" Essen, und das sogar in Sternequalität: In der "Kantine" der Halle werkelt der Sternekoch Michael Hoffmann aus dem Restaurant Margaux vor sich hin, eher zum Zeitvertreib und unbemerkt vom großen Foodie-Trubel. Sein schlotzig-bissfestes Bärlauchrisotto ist ein Genuss, der sich bei aller Einfachheit in keinem Burgerbrötchen verstecken muss (6 Euro).

© SZ vom 09.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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