Lokaltermin:Lode & Stijn

Über kein Restaurant wird in Berlin gerade so viel geredet wie über das Lode & Stijn. Wer es seit Eröffnung noch nicht dorthin geschafft hat, fällt auf Partys durch nervöses Zucken auf.

Von Harriet Köhler

Über kein Restaurant wird in Berlin gerade so viel geredet wie über das Lode & Stijn. Wer es seit Eröffnung im April noch nicht dorthin geschafft hat, fällt auf Partys durch nervöses Zucken der Mundwinkel auf, für unsere Autorin Harriet Köhler alles Warnsignale. Nach ihrem Besuch dort findet sie aber: Okay, ja, es ist ein Hipster-Laden. Aber einer, der Fressreflexe auslöst

Bis vor Kurzem unterschied man Restaurants im Großen und Ganzen nach der Art ihrer Küche: Italienisch, Indisch, Imbiss, Steak, Sushi, Gourmet und so weiter. Das hat sich geändert, seit es das "Hipster-Restaurant" gibt, eine neue, inzwischen aber viel diskutierte Kategorie, in der erst einmal zweitrangig ist, ob radikal Regionales oder irgendwas mit Ras-el-Hanout auf der Karte steht - entscheidend ist, dass die Köche Vollbart tragen, bereits durch einen Supper Club oder ein Pop-up-Lokal aufgefallen sind und sich voll locker an den Tisch des Gastes hocken, um ihm irgendwas über den Riesling zu erzählen. Man muss an dieser Stelle noch einmal darauf eingehen, denn das Lode & Stijn ist so ein Restaurant, zumindest auf den ersten Blick.

Schon vor der Eröffnung im April ging ein Raunen durch Berlin, und wer es im Mai immer noch nicht dorthin geschafft hatte, dem stand bereits der nervöse Schweiß auf der Stirn. Anders als sonst verstummte das Murmeln auch nicht wieder, und das muss daran liegen, dass dieses kleine Lokal am Kreuzberger Landwehrkanal ausnahmsweise mal wirklich ganz großartig ist. Was die beiden jungen niederländischen Köche Lode van Zuylen und Stijn Remi in vier oder sechs festen Gängen (48 beziehungsweise 68 Euro) servieren, ist eigenständig, aber nicht krampfhaft originell, verständlich, aber nicht simpel - vor allem aber ist es irrsinnig geschmacksintensiv. Heimische, saisonale Zutaten werden verarbeitet, aber niemand veranstaltet deshalb großes Gewese. Wie erstklassig die Produkte sind, darf man ganz allein beim Essen verstehen - ohne, dass einem vorher der Kellner mit der Lebensgeschichte des Ziegenhirten auf die Nerven gegangen ist. Das ist angenehm in einer Stadt, in der sich inzwischen jeder bessere Wurstverkäufer als "Storyteller" versteht.

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Los geht es mit einem Brot, das gleich mal erwähnenswert ist: Lode van Zuylen war zuletzt bei der berühmten Bäckerei Sironi in der "Markthalle Neun" angestellt und zaubert seinen Gästen nun kleine fluffig-saftig-knusprige Wunder auf den Tisch. Auch die danach gereichten "Snacks" darf man nicht übergehen, allen voran die superresch panierten Bitterballen, die mit ihrer schlotzigen, intensiv-fleischigen Füllung aus geschmorter Rinderrippe schon allein ein Grund zum Wiederkommen sind. Der erste "richtige" Gang wirkt dann zunächst unspektakulär: Rindertatar auf Brot mit Romanasalat und altem Gouda. Aber dieser Geschmack! Das Brot wurde in der Pfanne gebraten, ist warm, weich und schwer, darauf schmilzt eine dünne Schicht milder Romana-Paste, obendrauf thront das samtige Hackfleisch - diese Schnitte wäre schon eine Delikatesse für sich. Doch der Clou türmt sich in der Extraschüssel. Es ist ja eher selten, dass Salat einen wahren Fressreflex auslöst, aber hier ist der Mix aus Romana, geriebenem Käse, nussigen Leinsamen und aromatisch zwiebelig-cremigem (haben wir ein Adjektiv vergessen?) Dressing so gelungen, dass man sich schon sehr zusammenreißen muss, nicht zu schlingen.

Viele Köche tüfteln heute an Aromen und Konsistenzen herum, um so möglichst viel Spiel auf den Tisch zu bringen - heraus kommen dann reichlich Schwämmchen, Gels und Knusperelemente, die zu essen fast so mühselig wie ihre Herstellung sein dürfte. Lode & Stijn erzielen ihre Effekte ganz ohne Chemie, zum Beispiel, wenn sie eine sanfte Blumenkohlcreme wie ein weiches Bett ausbreiten, auf dem gebratene Pfifferlinge und frische Zitronenspritzer, zarte Champignonscheiben, krachige Buchweizenkörner und geröstete Macadamiasplitter einen Gang Bang vollführen. Und auch der nächste Teller funktioniert so simpel wie verblüffend: Cremig-frischer Ziegenkäse trifft auf leicht angekeimte Roggenkörner. Dazu kommt die vegetabile Note von etwas Buschbohnensaft, die Schärfe von ein paar Raukeblättern, Säure von Stachelbeervierteln, außerdem kleine Bohnen- und Gurkenstücke. Eine Kombination, die so einleuchtend und schmackhaft ist, dass man sich beim Essen fast fragt, warum sie nicht mindestens seit dem Kaiserreich ein Klassiker der deutschen Küche ist.

In einem Satz

Im Lode & Stijn lässt sich Berlins Hipster-Szene gut ertragen, weil das Lokal Wert legt auf eine ganz altertümliche Gastro-Tugend: Geschmack.

Qualität: ●●●●●

Ambiente: ●●●○○

Service: ●●●●○

Preis/Leistung: ●●●●●

Am konventionellsten ist, wie so oft, der Fleischgang: feines Lamm - ein sorgsam aus der Keule gelöster Muskelstrang voller Aroma und mit gutem Biss - auf saftig-süßen Tomatenhälften und cremigem Dicke-Bohnen-Pürree. Das alles schwimmt in einer kräftigen Oregano-Jus, wird von zart knusperndem, frittiertem Grünkohl gekrönt und schmeckt hervorragend, ist jetzt aber nichts, was man auf Facebook posten würde. Das Dessert ist so unsüß, dass es anderswo als Vorspeise durchginge, den urbanen Carbophobiker dürfte es jedoch beglücken: tiefrotes, geschmeidiges Kirschsorbet mit dickem Doppelrahm, säuerlichem Joghurt und einem Tupfen Baiser sind angenehm frisch und zwingen einen am Ende nicht unnötig in die Knie.

Wie die Küche lässt auch das Interieur alle Zeitgeistfallen aus, ist um Zurückhaltung bemüht, aber hochwertig: weiße Wände, schlichte Leuchten, blanke Holztische - kein Midcentury-Schnickschnack und keine angesagte Kunst, die vom Essen ablenken könnte. Die Kargheit des Raums ist allerdings auch seine Schwäche, denn die Akustik ist grausig: Kaum kommen drei Amerikaner rein, muss man brüllen wie auf der Wiesn. Und das, wo man doch eigentlich nur leise seufzen will vor Glück.

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