Lokaltermin:Im Genusstempel

Wer im Augsburger Restaurant August reserviert, sollte nicht nur Appetit, sondern auch Lust an der Inszenierung mitbringen. Als Tische dienen illuminierte Glasvitirinen, die umdekoriert werden. Als Vorgruppe kommt ein Dutzend Amuse-Gueules.

Von Max Scharnigg

Wer im Augsburger Restaurant August reserviert, sollte nicht nur Appetit, sondern auch Lust an der Inszenierung mitbringen, rät Max Scharnigg. Bühne ist die protzige Industriellenvilla Haag. Als Tische dienen illuminierte Glasvitrinen, die für jeden Gang umdekoriert werden. Als Vorgruppe kommt ein Dutzend Amuse-Gueules. Noch hungrig? Gut so, denn der Abend wird opulent.

Die Anbahnung ist etwas mühsam. Es gibt keine richtige Homepage, lediglich eine Telefonnummer, das Restaurant hat nur an vier Tagen geöffnet - man plaudert folglich öfter mit dem Anrufbeantworter. Für eines der besten Restaurants Deutschlands fast eine Verweigerungshaltung. Aber weil in der Villa Haag in Augsburg spektakuläre Dinge vor sich gehen sollen, bleibt man hartnäckig, bis einer der geheimnisvoll wenigen Sitzplätze bei Chefkoch Christian Grünwald reserviert ist. Und schon bei der schmiedeeisernen Parkeinfahrt im Augsburger Textilviertel weiß man, dass der Ort elementarer Teil des Erlebnisses werden wird: Die Villa Haag sieht aus wie aus dem Bilderbuch mit protzigen Industriellenvillen, das Restaurant im ersten Stock ist in den original erhaltenen Salons untergebracht. Genusstempel? Hier passt es mal!

Den Champagner trinkt man auf dem Balkon, die alten Fabrikgebäude genauso scharf im Blick wie einst der Heizungspionier Haag. Wie Herr Grünwald dann mit dem extra designten Kochkittel (der im Laufe des Abends ein beeindruckendes Fleckengemälde bekommen wird) und wehenden Frackschößen die Gäste platziert, macht deutlich - das ist hier nicht nur Sterneküche in der Villa, sondern auch Lust an Inszenierung. Die Bühnen dafür sind neben den herrlichen Räumen die - patentierten - Leuchttische. Die maximal 18 Gäste sitzen an Glasvitrinen, die nicht nur illuminiert, sondern auch das ganze Menü hindurch bespielt werden. Das Serviceteam wirkt nebenbei als Deko-Abteilung und bestückt den Guckkasten unterm Teller mit jeweils passenden Früchten, Schalen oder auch dem Skelett der Seezunge. Das klingt schräger, als es ist, tatsächlich ist man bei vier Stunden Essen für etwas Ablenkung dankbar, allerdings erhöht sich dadurch das Gewese bei Tisch erheblich - auch durch die sehr unterschiedliche Ansprache der Servicekräfte, von kumpelhaft bis steif auswendig gelernt, ist alles dabei. Aber wer intime Stunden suchte, hätte ohnehin besser beim Eckfranzosen reserviert.

Lokaltermin: (Visitenkarte August001.tif)

(Visitenkarte August001.tif)

Hier in der Villa Haag spielen Essen und Autodidakt Grünwald die Hauptrolle. Und das anzuerkennen fällt leicht, angesichts der unanständig vielen Kleinigkeiten, welche die Küche vor dem Menü in schneller Abfolge schickt. Dabei konspiriert Grünwald auf kleinstem Raum: Bachforellenkaviar mit Kalbskopf und Erbsen - Wahn & Sinn auf zwei Quadratzentimetern. Ingwer, Räucheraal, Melone, Gänseleber - ein Mundvoll Sommerabend. Langusten auf Champagnerschaum - Krustentiere bitte nie wieder anders. Falsche Oliven, die als Martini explodieren, eine Auster mit Perle - herrliches Drama! Der Koch beherrscht dieses Vorspiel exzellent und führt dem Gast seine Harmonielehre vor, die in den meisten Fällen überaus stimmig ist. Besonders hervorzuheben: eine mit altem Barbados-Rum abgeschmeckte heiße Tomatenessenz, die dem Gast wie nebenbei gereicht wird und dann großes Entzücken auslöst, weil man diese zwei, ach was, hundert Aromen beim Knutschen beobachten darf. Auf derart eleganten Zehenspitzen tanzt das "August" in die Nacht.

Die Weinkarte ist erstaunlich bodenständig und fair ausgepreist, die Sommeliersdienste sind eher beiläufig. Nach einem guten Dutzend erstaunlicher Häppchen beginnt das Menü (189 Euro), das leider nicht als gekürzte Version verfügbar ist - nur das Dessert kann man abwählen. Seltsam, zumal angesichts der üppigen Vorrunde. Es ist zu viel des Guten, der Gast schon vor den Vorspeisen fast spektakelsatt. Dabei fordert der erste Gang - eine "Collection von Pimientos", wieder volle Aufmerksamkeit. Ein Espuma so paprikagrün, wie noch nie eine Paprika grün geschmeckt hat, assistiert von winzigen Stücken geschmorten Schweinbauchs. Herrliches Soulfood, breit, deftig, man sieht Lagerfeuer an wilden Küsten. Als Antagonist dazu in Rot: eine 60 Stunden geschmorte Schote, bei deren tiefdunkler Gemüsesüße Stücke von gebrannter Amalfi-Zitrone die richtigen Obernoten setzen. Das ist toll ausgeklügelt, auch wenn sich die eigene Zunge bald anfühlt wie ein gut besuchtes Trampolin - und nun folgen ja erst noch Rindertatar, Hummer, Seezunge und Reh!

In einem Satz

Dieses Restaurant bietet spektakuläre Küche in passendem Rahmen - wenn es mal wirklich etwas Besonderes sein soll.

Qualität: ●●●●●

Ambiente: ●●●●●

Service: ●●●●○

Preis/Leistung: ●●●●○

Bei all der Inszenierung wäre ein Dramaturg für die Menüabfolge wünschenswert, so geht spätestens bei der auf 37 Grad gegarten Seezunge mit ihrem herrlich roh-festen Fleisch und der tollen Meerwasser-Hollandaise die Konzentration flöten. Zu viel, zu gut. Gerade die Hauptgänge erklären sich dem Gast so nicht mehr bis ins Detail, zumal Grünwald eine Vorliebe für prunkvolle Schichtgerichte offenbart. Die "Bienenwabe" etwa, bei der sich über dem Rindertatar ein pochiertes Ei, diverse Blüten und Blätter, hauchdünne Tranchen von Artischocken, Trüffel-Nektar und Parmesanknospen stapeln. Der Gaumen irrt hier etwas unsicher durch die Kulisse, den ständigen Verzehranweisungen zum Trotz ("In einem Haps, bitte!"), da gleitet das Menü kurzzeitig ins Zirkushafte ab.

Auch die Nachspeise verblüfft in ihrer gestapelten Üppigkeit, Erdbeermoos und Kopfsalatblätter, Rosenwassereis, Vanilleschaum - das alles von den Ausmaßen eines großen Lasagnestücks. Uff! Sicher, Grünwald ist keiner der neuen Minimalisten, was gut ist. Er setzt auf Luxuszutaten und saisonale Pointen. Wobei einem tatsächlich letztere und gerade die Gemüsegänge den größten Beifall abverlangen, während manch Löffel Kaviar oder der Hummer eher wie eine pflichtgemäße Dreingabe wirkten.

Nein, Christian Grünwald experimentiert besonders geschmackssicher mit den einfachen Zutaten, Erbsen, Gurken, Paprika und beschert dabei Momente reiner Glückseligkeit. Am Ende, kurz vor Mitternacht, bei den aller-allerletzten Macrons, die natürlich auch noch fantastisch sind, ist man komplett genuss-sediert und auf fast unfeine Art überfüllt. Das passt aber letztlich zu diesem für alle Sinne üppigen Abend, an dem man beim exzentrischen Villenkoch Christian Grünwald wie privat zu Gast sein durfte.

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