Lokaltermin:I Raddi

In Italiens touristischen Traumstädten ein anständiges Lokal zu finden, wird immer schwieriger. Wir aber haben einen Geheimtipp aus Florenz.

Von Philipp Maußhardt

Der kulinarische Ruhm von Städten wie Florenz oder Venedig, wo ist er hin? Je mehr Touristen kommen, umso schwerer wird es, ein anständiges Lokal zu finden. 16 Millionen Besucher drücken sich mittlerweile jedes Jahr durch die Gassen von Florenz, viele Einheimische sind deshalb in die Vorstädte gezogen. In weiten Teilen des Zentrums findet man nur noch Geschäfte für Touristen. Lebensmittelläden, Trattorien oder Handwerksbetriebe sind verschwunden.

Wer vor 20 Jahren hier gut essen wollte, musste nur warten, bis die Bauarbeiter Mittagspause machten, und sich an ihre Fersen heften. Zwei Ecken weiter saß man schon in einer dieser typischen toskanischen Kneipen, meist ohne Speisekarte, weil der Chef das Menu del giorno lieber persönlich aufsagte und den Wein in Wassergläsern ausschenkte. Das alles ist Geschichte. Heute gibt es in Florenz überall nur Schnell-Restaurants oder völlig überteuerte Chichi-Schuppen.

Wagemutige können zwar noch immer in abgelegenen Gassen nach authentischen Osterien suchen, aber sie zu finden gleicht einem Lotteriespiel. Es sei denn, man hat den Tipp eines italienischen Freundes, der oft beruflich in der Innenstadt von Florenz zu tun hat. Er empfahl uns ein Lokal in einem Viertel auf der linken Uferseite des Arno, nicht weit entfernt von Ponte Vecchio. Ohne die genaue Adresse hätten wir "l'Raddi" wohl nie gefunden, kein Hinweisschild zeigt den Weg in die winzige Gasse, erst wenn man direkt vor der Tür steht, erkennt man, dass es sich hier wohl um ein Restaurant handelt.

In einem Satz

Tradition schmeckt meist dort am besten, wo sie neu interpretiert wird, und im l'Raddi geschieht das auf sehr spannende Weise.

Qualität: ●●●●○

Ambiente: ●●●●○

Service: ●●●●○

Preis/Leistung: ●●●●●

Die Trattoria wird heute von drei Freunden betrieben, trägt aber noch immer den Namen des Vorbesitzers. Luciano Raddi war in den 50er-Jahren ein in Florenz weltberühmter Boxer, seine Witwe schaut manchmal vom ersten Stock über dem Lokal auf die Straße herunter und grüßt die Gäste, die hier eine Zigarette rauchen. Dann seufzt sie ein wenig und sagt: "Luciano war ein schöner Mann und ein guter Mann." Seine Handschuhe und ein Porträt von ihm hängen bis heute über der Theke.

Das erste Zeichen der Hoffnung: Außer uns sitzen nur Italiener an den zehn Tischen, womöglich gar Einheimische. Etwas ernüchternd ist, dass es eine Karte auf Englisch gibt, ermutigend indes, wie übersichtlich sie ist, hier wird täglich frisch gekocht. Vorspeisen, Pasta und die vier Hauptgerichte klingen nach echter Florentiner Küche, oft auch "Cucina povera", Arme-Leute-Küche, genannt, weil sie mit wenigen Zutaten auskommt. Die aber sind auch hier von unglaublicher Qualität. Das zeigt sich schon bei der "Pappa di Pommodori", einer dicken Tomatensuppe mit eingeweichtem Brot und frischem Basilikum (7 Euro). Allein der Duft! Die Auswahl der richtigen Tomatensorte ist eine Philosophie. Mehrere Dutzend unterscheiden die Italiener, je nachdem, ob man sie für Salat, einen Sugo oder für die berühmte Panzanella (Brotsalat) verwendet.

Zuvor hatten wir schon die klassischste aller toskanischen Vorspeisen gegessen, Crostini mit Hühnerleber. Der junge Koch verrät uns später, er habe die angebratene Leber mit Vin Santo abgelöscht, typischem Süßwein, der aus Rosinen gekeltert wird. Sechs Monate hat der Koch in Deutschland verbracht, im badischen Freiburg. Dann floh er zurück in die Toskana. Es hat ihn entsetzt, was die Deutschen als italienische Küche vorgesetzt bekommen. Oder nach was sie verlangen: "Vitello tonnato, Spaghetti Vongole oder Bolognese - auf allen italienischen Speisekarten steht in Deutschland dasselbe drauf."

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Anders im l'Raddi. Hier gibt es Ossobuco vom Schwein, in Biersauce mit Zwiebeln und Champignons (16 Euro). Eine herrliche Variation des Originals aus einer Rinderbeinscheibe. Das Ganze liegt auf einer Kartoffelscheibe, die, sämig und fest zugleich, sofort wieder die Frage nach der Sorte aufwirft. Viele Gerichte hier sind klassisch toskanisch, aber aufgepeppt mit neuen Ideen. Da gibt es die bekannten Coccoli (Kugeln aus salzigem Bierteig), allerdings mit Marmelade aus roten Peperoni. Oder hausgemachte Tortelli mit einer Füllung aus Topinambur und geschmortem Zicklein (12 Euro). Die Atmosphäre dazu ist locker. Und auch beim Wein mag man es im l' Raddi schnörkellos. Der 300-Liter Edelstahltank, gefüllt mit sehr anständigem Rosso di Montalcino, steht zum Zapfen am Eingang. Zudem gibt es eine kleine Auswahl an sehr schönen Flaschenweinen, vor allem toskanische, zu Preisen von selten mehr als 20 Euro.

Nach einem schönen Dessert von Mascarpone-Creme mit frischen Erdbeeren stürzen wir uns wieder in die überfüllten Straßen. Das l' Raddi ist eine Oase in dieser vom Tourismus ausgetrockneten Stadt. Hoffentlich nicht die letzte.

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