Lokaltermin:Gasthaus Lamm

Südtirol ist ein gelobtes Land. Hier wird sogar ein Wirtshaus an der Durchgangsstraße zu einer echten Empfehlung für Feinschmecker.

Von Philipp Maußhardt

Es gibt eine Art Lokalatmosphäre, für die man nach Südtirol reisen muss: etwa nach Sankt Martin im Passeier Tal, 25 Autominuten nördlich von Meran gelegen, in den Gasthof "Lamm": Dort gönnt sich der Dorfpfarrer jetzt noch einen Espresso, bevor er kurz vor 18 Uhr zur Samstagabend-Messe hinüber in die Kirche eilt und die eintreffenden Restaurantgäste ihrem Schicksal überlässt. Das "Lamm" liegt mitten im Dorf, in idealtypischer Steinwurfentfernung zum Kirchturm. Daher auch "der Mitterwirt" genannt, war und ist das "Lamm" die zentrale Aufnahmestelle für Speis und Trank und Nachrichten aus dem Ort. Als man eintritt, kniet Arnold Fontana, der "Mitterwirt", vor dem Kachelofen im Gastraum und entzündet ein Feuer. Langsam füllt sich die gute Stube, zwei Bauern gönnen sich einen Feierabendwein, am Tresen treffen sich Freunde aus dem Tal, die Plätze an den Holztischen sind schnell besetzt.

Südtirol ist kulinarisch eine der gesegnetsten Regionen Europas. Hier küsst Alpina den Mediterraneo. Hochgebirge und warmer Südwind treffen aufeinander und lassen, ob nun beim Wein oder bei der Ernte des Gartens, Wunderbares entstehen. Wo wäre solches Pathos angebracht, wenn nicht in Südtirol, wo sie zuletzt am Herd immer noch weiter aufgerüstet haben. Wo sogar ein Mitterwirt an einer Durchgangsstraße noch eine echte Empfehlung ist?

So jedenfalls könnte man denken; doch ist das "Lamm" nicht irgendein Lokal, sondern auch ein Südtiroler Traditionshaus: Hier saß schon Andreas Hofer als Stammgast nach der Kirche, der Volksheld und Rebell, den Napoleon hinrichten ließ.

Das Spiel aus Tradition und kulinarischer Kuscheligkeit beherrscht auch jene Frau, die im "Lamm" in der Küche steht, Hildegard Fontana. Die Speisekarte verrät als Erstes, woher die Eier stammen: vom Oberbichlhof. Den Käse macht der Hansi Baumgartner, das Rind liefern Bergbauern des Passeiertals. Manche spötteln heute, wieso nicht noch der Name der Kuh auf der Karte steht. Andererseits: Es wird so viel über Regionalität geplappert, im "Lamm" wirkt das Bekenntnis wenigstens echt.

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Die Karte ist nicht überbordend und bietet neben Klassikern immer auch Anklänge an die Jahreszeit. Schon für die Vorspeise lohnt sich der Abend: Hildegard Fontana hat einen mild geräucherten Saibling zu Tartar geschnitten und ihn auf eine leichte Mousse aus Meerrettich (Kren) gelegt, dazu gibt es Schüttelbrot (12 Euro). Letzteres ist ein knuspriges Kümmel-Fladenbrot und ein schlichter Südtiroler Klassiker. Aber die Kunst liegt hier in der Einfachheit, in der Kombination und der Güte der Produkte. Am Gaumen eine Freude!

Die zweite Vorspeise besteht aus zwei aufgeschnittenen und kross gebratenen Kürbisknödeln auf einer Almkäsesoße (7,50 Euro). Wieder einfach und trotzdem so besonders. Andere Gasthöfe hätten Knödel oder Kürbissuppe serviert. Dabei ist diese Kombi doch viel aufregender: das Kürbisfleisch bissfest, die Soße eine einzige Liebeserklärung an die Almkühe. Als genialen Begleiter empfiehlt Fontanas Sohn Alexander einen Löwengang Chardonnay von Alois Lageder, einen kraftvollen Bio-Wein, großartig.

Knödel in allen Variationen gehören zur Leidenschaft der Küchenchefin. Man findet sie als eigenständige Gerichte, aber auch als Beilage oder später bei den Nachspeisen. Saisongemäß bestellen wir Rehrücken mit gerösteten Knödeln und Blaukraut sowie ein Filet vom Passeier Rind mit Rotweinschalotten und Röstinchen (je 21,50 Euro). Röstinchen ist nur ein netterer Name für kleine Röstkartoffeln, die selbstredend aus der Gegend, noch genauer: aus dem Pustertal kommen. Und die beiden so traditionell klingenden Hauptgerichte mit ihren dunklen Fond-Soßen konnte man schlicht nicht besser zubereiten.

In einem Satz

Reisende dürfen das "Lamm" gern als Durchgangsstation begreifen, wenn auch als eine sehr köstliche.

Qualität: ●●●●○

Ambiente: ●●●●●

Service: ●●●●○

Preis/Leistung: ●●●●●

Auch deshalb ist es ein wenig schade, dass - zwei Petitessen - die Teller nicht vorgewärmt sind und der extra bestellte Salat angesichts des hohen Standards vielleicht eine Spur zu lieblos wirkt. Doch genug gekrittelt: Die Zwetschgenknödel mit Sauerrahmeis (8,50 Euro) sind dann eine so wunderbare Kombination aus warm und kalt aus sauer und süß, dass man - vor allem für ein vermeintlich einfaches Dessert - geradezu andächtig vor dem Teller sitzt.

Das "Lamm" ist seit Beginn der Slow-Food-Bewegung in den jeweiligen Führern verzeichnet, später überschütteten auch die anderen Gastroführer die Küchenchefin mit Punkten und Hauben. Doch trotz des vielen Lobs ist man im "Lamm" immer fest auf dem Boden geblieben. Man will ein Gasthaus und kein Restaurant sein. Wer essen möchte, kann hier essen; wer stammtischlern will, kann stammtischlern.

Wenn auch das mitunter recht edel gerät: Wirt Arnold Fontana macht beim Abschied der Gäste auf ein Fläschlein neben der Theke aufmerksam, mit einer cognacfarbenen Flüssigkeit. Es ist Maronenbrand aus dem Eisacktal, im Eichenholzfass gelagert. Das herrliche, warme, an Wald und Rauch erinnernde Aroma füllt den Rachenraum. Es ist vorstellbar, dass Raubein Andreas Hofer sich noch vor der Erschießung so einen genehmigt hätte. Seine letzten Worte vor der ersten Salve lauteten: "Gebt Feuer! Ach, was schießt ihr schlecht."

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