Lokaltermin:Facil

Der Potsdamer Platz ist Berlins einzige echte No-go-Area. Wohin flüchten vor Stars und Goldstaub-Currywurst? Ins Gourmetlokal!

Der Potsdamer Platz ist Berlins einzige echte No-go-Area. Wer hier tagsüber aufgerieben wird zwischen Boulevard der Stars, Event-Marktschreiern und Currywurst mit Goldstaub, der sollte sich ins Facil retten, rät Harriet Köhler. Das Restaurant ist nicht nur eine köstliche Oase der Ruhe, sondern auch der beste Beweis dafür, dass Gourmetküche mittags besonders lohnend sein kann.

In den Medien wird ja viel darüber diskutiert, ob in Berlin neuerdings tatsächlich No-go-Areas existieren. Das ist lustig, weil es für die meisten Berliner eigentlich nur diese eine gibt: den Potsdamer Platz nämlich, über den wirklich nur die allerahnungslosesten Touristen irren, gemein ausgetrickst von ihren Reiseführern, fies angetanzt von der Blue Man Group und brutal abgezockt von Gastronomen, die allen Ernstes 12,50 Euro für eine Currywurst nehmen.

Dabei gibt es einen Kaninchenbau, der einen - ist man einmal hineingeschlüpft - aus der Hochhauswüste heraus direkt in eine Oase der Schönheit und des guten Geschmacks katapultiert. Man muss sich nur vom "Boulevard der Stars" in die Lobby des Mandala Hotels retten und im Aufzug den Knopf mit der 5 drücken. Luft und Licht, aus viel mehr besteht das "Facil" nicht. Denn seine Wände sind ganz aus Glas und das Dach kann bei gutem Wetter so angehoben werden, dass das Restaurant quasi den Hut lüftet und man sich plötzlich fühlt, als würde man in einem Garten sitzen (es gibt auch eine kleine Terrasse, aber drinnen ist es fast genauso schön). Brunnen plätschern, Bambus wiegt sich - oder, wie der Feng-Shui-Berater sagen würde: Das Qi fließt.

Der unaufdringliche Service arbeitet so geschmeidig, dass man manchmal überrascht aufblickt, wenn schon wieder eine Köstlichkeit vor einem steht. Doch das Schönste ist, dass es hier ein Angebot gibt, das sich in Berlin leider nicht so richtig durchsetzen will und das deshalb selten existiert: ein Lunch-Menü nach bester französischer Schule nämlich, das es einem ermöglicht, in eine Restaurantküche hineinzuschmecken, ohne sich gleich zu ruinieren. Interessant übrigens auch für Gäste mit Schwellenangst. Auch weil ein Mittagsbesuch entspannter sein kann als abends. 48 Euro zahlt man im Facil für drei Lunch-Gänge. Angesichts dessen, was man dafür bekommt, ist das eigentlich nichts.

Seit 13 Jahren leitet hier Michael Kempf die Küche, der, seinen zwei Michelin-Sternen zum Trotz, nicht den Starkoch gibt. Man findet ihn nicht auf Buchcovern und kaum je im Fernsehen, sondern mittags wie abends dort, wo ein Koch hingehört: am Herd. Unermüdlich hat er seine Kunst entwickelt, sich von allen Vorbildern befreit, sodass er stilistisch kaum einzuordnen ist. Die "Philosophie", mit der sich Köche heute gerne schmücken, und die meist ja doch nicht viel mehr als eine Marketingschublade ist - bei Kempf sucht man sie vergeblich. Seine Küche ist regional, wo es hilft, und saisonal, wo es Spaß macht, bedient sich ansonsten jedoch freimütig im Orient genauso wie in Oberbayern, am Mittelmeer wie an der Müritz. Vielleicht könnte man sie als "konzentriert" bezeichnen, weil tatsächlich jedes Gericht ein Zentrum hat und nicht hundert Elemente um die Hauptrolle konkurrieren.

In einem Satz

Das Facil ist schlicht eines der besten Häuser Berlins und mittags ein ideales Ziel, um die Schwellenangst vor Gourmet-Lokalen abzubauen.

Qualität: ●●●●●

Ambiente: ●●●●●

Service: ●●●●●

Preis/Leistung: ●●●●●

Und dann sind da noch die Salatbeigaben, mit denen Kempf gerne spielt. Beginnen wir mit dem weißen Spargel: Die bissfesten Stangen versammeln alle Aromen eines Frühsommermorgens in sich, werden umschmeichelt von etwas klassisch-üppiger Sauce Tartar, marinierten grünen Spargelstreifen und geflämmtem Rhabarber, der das blütenzarte Gericht säuerlich-karamellig kontrastiert. Oder der Schweinefuß: eigentlich ein rustikaler Gang aus zart gegarter Schwarte mit kräftiger Füllung, die in einer herzhaften Röstzwiebelemulsion schwimmt - doch obenauf liegt ein zartes Kopfsalatröschen, das ein paar Stückchen marinierter roter Paprika zieren, und plötzlich ergibt die gute alte Wirtshausgarnitur neuen Sinn. Bei der Suppe ist der Salat bloß dunkelgrüne Bühne für ein sommerliches Aromenspiel: milde Lammzungenscheibchen werden von rauchigen Spitzpaprikamus-Tupfen wachgeküsst, ein Pesto aus Pinienkernen und schwarzen Oliven spendiert ein zartes Bitterl, Zwiebelstücke etwas Säure und Biss.

Eines von Kempfs Lieblingsprodukten ist der Felsenoktopus, der immer wieder mal auf der Karte steht, zum Beispiel mit Tomaten-Chorizo-Marmelade, oder mit Kempfs berühmtem Holzkohleöl. Heute wird er auf einem Ragout aus Artischocken, breiten Bohnen und fruchtig-süßen Datteltomaten an den Tisch gebracht. Das ist ein großes "Ja!" zur klassisch-mediterranen Küche - und auch der Esser nickt entzückt.

Das Lokal war schon immer für seine Desserts bekannt; seit der Gault Millau 2016 den bekennenden Schokoholiker Thomas Yoshida aus dem Facil zum Pâtissier des Jahres kürte, ist es endgültig berühmt. Zu Recht, wie sein Granny-Smith-Apfel beweist - ein mit weißer Schokolade umhüllter Apfel aus feinsäuerlichem Sorbet, der an einem filigranen Zweiglein aus dunkler Schokolade hängt, dazu gibt es mit karamellisierten Äpfeln gefüllte Schokoladenmousse, Parfait, Karamellsauce und -knusper. Es ist fast unbarmherzig, dieses kulinarische Ikebana mit dem Löffel zu durchpflügen.

Will man nach einer solchen Mittagsorgie benommen in die Federn sinken? Keineswegs - ein Menü im Facil ist so leicht, man kehrt beinahe heiter an den Schreibtisch zurück. Ja, man wäre notfalls sogar für die Blue Man Group gerüstet.

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