Lokaltermin:Essigbrätlein

Gemüse ist das Lieblingsthema der Avantgarde. Schön und gut, findet Katharina Seiser. Aber warum stümpern dann selbst Spitzenköche immer noch mit Kohlrabi und Sellerie herum? Dass es anders geht, zeigt das Nürnberger Essigbrätlein.

Gemüse ist das aktuelle Lieblingsthema der Avantgarde. Alles schön und gut, findet Katharina Seiser. Die Frage sei dann nur, warum selbst Spitzenköche mit Kohlrabi und Sellerie immer noch so viel herumstümpern. Dass es auch anders geht, erfährt der Gast im Nürnberger Restaurant Essigbrätlein. Dort wird alles, was aus dem Garten kommt, auf Weltklasse-Niveau veredelt.

Nach einem Menü im Essigbrätlein drängen sich zwei Fragen auf: Wie konnte es passieren, dass man nicht schon vor zehn Jahren hier essen war? Und warum wird in den Avantgardeküchen so viel mit Gemüse herumgestümpert, wo die beiden Meister in der Essigbrätlein-Küche doch für alle schmeckbar (und in ihren Kochbüchern nachlesbar) beweisen, wie's geht? Scheinbar mühelos nämlich, was natürlich so nicht stimmt. Andree Köthe und Yves Ollech kochen seit 20 Jahren so und wurden dafür unter anderem mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Man kann sie daher schlecht als Entdeckung bezeichnen. Merkwürdig, dass dieses Lokal nicht Monate im Voraus ausgebucht ist. Seine Köche sind nicht nur ihrer Zeit, sondern auch jedem aktuellen grünen Trend weit voraus. Gemüse hypen? Hier wäre das endlich einmal angebracht.

Haus und Restaurantname am Nürnberger Weinmarkt sind Jahrhunderte alt, man klingelt. Das winzige Lokal (20 Plätze) mit den eng gestellten, bestens ausgeleuchteten Tischen ist gemütlich: Holzboden, dunkle Vertäfelungen und Balken, Butzenscheiben, eine umlaufende Sitzbank, Schwarz-Weiß-Fotografien sowie spektakulär ausgetriebener Lauch in Vasen. Abends gibt es ein Menü mit vier (122 Euro) oder sieben Gängen (149 Euro) und dazu eine Weinbegleitung ohne regionale oder stilistische Grenzen.

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Schon mit jedem Gruß aus der Küche wächst die Vorfreude aufs Menü: gekochter und knusprig gebackener Hafer in Apfel-Hafer-Sud, dichter Saft von gegrillter, gelber Paprika mit Holunderblütenöl, roh eingelegter Rettich, Creme aus fermentiertem Rettich mit getrockneten Preiselbeeren, Kopfsalat mit Pistaziencreme und Limettenabrieb. Danach ist man so aufgeganselt, dass nur eine Sorge bleibt: Wird die Küche diesen Einfallsreichtum und Wohlgeschmack sieben Gänge lang halten können? Das Brot enthält natürlich auch Gemüse - geschmorte Stückchen von Karotte und Sellerie schenken süße, abwechslungsreiche Würze. Die zarte Buttercreme aus grünen Bohnen hält da kaum mit.

"Lauch mit Kerbel" nennt sich der erste Gang im Essigbrätlein-Understatement. Was kommt, sind der untere, verdickte Teil vom geschossenen Lauchblütenstiel (der in der Vase), roh, getrocknet, gekocht, die Konsistenz ähnlich wie Spargel, der wiederum - getrocknet und dann zur Polenta-artigen Creme gekocht - als Basis gereicht wird. Obendrauf fermentierte Lauchbutter, Kerbelsaft und -stiele. Schon jetzt weiß man: Diese Küche hat weder etwas Puritanisches noch Schulmeisterliches, sie ist extrem schmackhaft und zugänglich und zugleich aufregend und überraschend.

In einem Satz:

Im Essigbrätlein servieren sie hochinnovative Gemüseküche ohne Tamtam, so aufregend wie bescheiden, in einem Wort: Weltklasse.

Qualität: ●●●●●

Ambiente: ●●●●●

Service: ●●●●●

Preis/Leistung: ●●●●●

"Kohlrabi und Haselnuss" erinnern mit den dunklen Soßenspuren auf dem Teller zwar an die 90er-Jahre, wäre da nicht der fantastische Geschmack: ein gegartes, ungeschältes Kohlrabiköpfchen, der rohe "Cocktail" mit eingelegter Wassermelonenschale und Kaffeemayonnaise, dazu grobsandige, intensive Haselnusscreme und Kohlrabi-Reduktion - sensationell! Als Nächstes kommt "Spinat mit Rhabarber", wieder eine Untertreibung für dieses grün-säuerliche Aromenuniversum, das sich auf drei Tellern auftut: Rhabarber - ja, Ende August geerntet, nur eine Stange pro Pflanze, damit die Wurzel nicht verletzt wird, wie Köthe beim Servieren erläutert -, mit frischem Wacholder und Zucker mariniert, darauf gegarte Spinatblätter, eine Kombination fürs Küchenlehrbuch. Auf dem nächsten Teller finden sich zart angegarte Spinatstiele mit Sauerampferblättchen, Zitronenschale und Butter aus getrocknetem Lauch. Und schließlich Cremespinat mit Gewürzgurke, Kapuzinerkresse, Wasabiblatt und Shiso.

"Forelle mit Sonnenblume" ist dann das erste Tier im Menü, auf der Haut stark geflämmt, sonst kaum gegart, dazu kommt Creme aus Topinamburblüten mit Sud von eingelegten Gurken, Fenchelblüten, strahlenloser Kamille und rosenduftenden Geranienblättchen. Dieser Teller hat einzig das Pech, vom folgenden ausgestochen zu werden: Denn der fünfte grüne Gang brennt sich auf ewig ins Geruchsgedächtnis, diese Aromenkombi sollte als "Essigbrätlein No. 1" in Flakons gefüllt werden: "Bohne mit Erbsen" duftet zuerst nach frischer, erhebender Grapefruitzeste mit warmem Majoran, dann nimmt die Nase braune Butter und grüne Bohnen wahr, die soeben der Hitze ausgesetzt wurden. Im Mund geht es genau so aufregend weiter: die kurz knackig gemachten grünen Bohnen zu solchen, die lang in brauner Butter gegart wurden, dazu Erbsen und mild-saftige Zwiebeln und alles zusammengehalten von einer Creme aus fermentierten Erbsenschoten und sahniger Sauce aus jungem frittierten Knoblauch. Weltklasse! Jetzt könnte man heimgehen und nie wieder essen, weil's besser und befriedigender einfach nicht geht. Aber dann kommt noch herrliches "Lamm mit Maiscreme" und scheinbar gerade vom frischen Maiskolben geschnittenen rohen, süßen Körnern zum Herz von grünen Tomaten.

Zum Dessert dann Eis aus Blattpetersilie, das durch luftigen Apfelschaum und leichte, scharfe Ingwercreme noch betont wird, bis man auf dem Grund der Schale dreierlei gegarte Getreidekörner und einen Saft aus Sauerampfer und Verbene schmeckt. Sie ziehen hier wirklich bis zuletzt alle Aromen- und Textur-Register, Pflanzen spielen in jedem Gang die Hauptrolle, und der zuvorkommende Service weiß die Details, was will man mehr? Am Ende hätte das kandierte Rhabarberstückchen im Waldmeisterzucker gereicht. Wieso danach noch Schokolade? Aber auch da überzeugen die Köche: Die bittere Sorte ist mit grünem Sauerampfermarzipan gefüllt.

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