Lokaltermin:Da Gelsomina

Die Insel Capri ist ein Sehnsuchtsort. Essen gehen hier alle bei Gelsomina. Das Restaurant wird in jedem Reiseführer gefeiert, lockt mit Traumblick aufs Meer - und ist eine üble Touristenfalle.

Für romantikhungrige Nordeuropäer ist Capri ein Sehnsuchtsort. Auch zu Pfingsten ist die Mittelmeerinsel bestens gebucht, nun rennen wieder alle zum meistempfohlenen Restaurant hier. Da Gelsomina wird in absolut jedem Reise- und Gastroführer gefeiert, lockt mit traumhaftem Meerblick - und ist die übelste Touristenfalle, an die sich unsere Autorin Harriet Köhler erinnern kann.

Der Ärger beginnt mit dem Wein. Doch der Reihe nach. Denn bis dahin hat man das Restaurant "Da Gelsomina" am südwestlichen Zipfel Capris ehrlich ins Herz schließen wollen - immerhin wird das seit den Fünfzigerjahren in Familienhand befindliche Lokal wirklich von allen Seiten empfohlen - als eine der letzten Enklaven, die traditionelle Inselküche zu bezahlbaren Preisen serviert: vom britischen Guardian wie vom Guide Michelin, vom Italienveteranen wie von den Vermietern im Dorf, von Reiseführern, Reiseportalen, Reisebloggern.

Und war die kleine Wanderung durch Wein- und Zitronengärten nicht so idyllisch, wie alle versprochen hatten? Die Aussicht vom schwindelerregenden Belvedere della Migliara auf den Leuchtturm von Carena nicht noch atemberaubender als allerorts beschrieben? Nun will man auch diese lichtüberflutete Terrasse hier großartig finden, den Blick aufs Meer, in dem die Sonne später tatsächlich rot versinken wird, den Kellner, der uns wie alte Freunde bedient, und natürlich auch den selbsterzeugten Weißen, der direkt von den biologisch bewirtschafteten Reben stammen soll, auf die man vom Tisch aus spucken könnte und von dem jedes Jahr nur gut 2000 Flaschen abgefüllt werden. Das hier, das ist doch genau das Italien, nach dem wir uns den ganzen Winter lang gesehnt haben!

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Doch der Weiße, den der Kellner in einer unetikettierten, unverkorkten Flasche an den Tisch bringt: Er schmeckt einfach nicht. Tankstelle, das ist die erste Assoziation, aber ist das wirklich Frostschutzmittel oder nicht doch einfach Tetrapakfusel, woran wir uns erinnert fühlen? Na, was soll's, das hier ist Urlaub - wir werden uns schon eintrinken, an den Nachbartischen schlürft man das Zeug ja auch entzückt (0,5 Liter für acht Euro).

Bei der Insalata Caprese, die man auf Capri einfach gegessen haben muss, versteht man endlich, was das Geheimnis ihres globalen Erfolges ist: Sie lässt sich mit guten Zutaten überall auf der Welt reproduzieren. Und umgekehrt bekommt man es mit mäßiger Büffelmozzarella (Aufpreis: zwei Euro) und wässrigen Tomaten sogar hin, dass sie am Ort ihres Ursprungs genauso mundet wie in jeder x-beliebigen Vorortpizzeria. Vielversprechend klangen auch die Verdure miste, schließlich soll der größte Teil der in der Küche verwendeten Produkte aus den schönen Gärten rund ums Restaurant stammen. Aber dann sitzt man vor seinem Teller mit gegrillten, gefüllten, gerollten und sonst wie gewickelten Zucchini, Auberginen und Paprika, die - allesamt gleich lätschert - ein Nest aus schleimigem Spinat, Rosinen, bleichen Pinienkernen und Oliven umringen. Da stellt sich dann die Frage, wie der Gärtner es zulassen konnte, dass man sein liebevoll gezogenes Gemüse so kaltblütig exekutiert.

Überhaupt scheint die Küche große Skrupel nicht zu kennen, das fällt auch bei der Insalata di Seppie aus aufdringlich schmeckendem Gummioktopus in einem Pesto aus Mandeln und getrockneten Tomaten auf; das Gericht macht den Eindruck, als sei es vorletztes Wochenende vorgekocht worden und würde nun so lange auf der Karte stehen, bis auch die allerletzte Portion verkauft worden ist (Antipasti um die zwölf Euro).

Als Primo legt uns der Kellner schließlich mit Nachdruck die Tagesspezialität ans Herz: Paccheri con Ricciola, ein Fisch, der dem Schwertfisch ähnele und absolut typisch sei für die Gewässer um die Insel! Doch was einen an dem Gang mit den geschmacklosen Fischstückchen und billigen Oliven dann am meisten erfreut, ist die Großzügigkeit der Löcher in den angeblich hausgemachten Nudeln. Die Ricciola, so recherchieren wir später, ist übrigens die Große Bernsteinmakrele - absolut typisch für eigentlich alle warmen Meere dieser Erde (18 Euro).

In einem Satz

"Da Gelsomina" ist vor allem ein Beispiel dafür, dass das am besten vermarktete Restaurant nicht immer auch das beste sein muss.

Qualität: ●○○○○

Ambiente: ●●●●○

Service: ●●●○○

Preis/Leistung: ●●○○○

Und so geht es weiter. Die berühmte Parmigiana di Melanzane? Erinnert an abgekratzten Pizzabelag: blasse Auberginenscheiben, etwas Tomatensauce, zähe, viel zu dicke Käseschichten. Das regionaltypisch geschmorte Kaninchen, Coniglio alla Cacciatora? Hat diese unangenehme, graue Massentierhaltungsnote von billigem Schwein oder Hühnchen (18 Euro). Die süße Inselspezialität Torta Caprese? Ist halt ein Schoko-Mandel-Kuchen. Zu überraschen vermag die Küche allenfalls mir ihrer Tagliata di Frutta, die trotz des wunderbaren Obstes, das sich in den Auslagen vor den Alimentari von Anacapri stapelt, aus muffiger Honigmelone, überlagerter Ananas, eiskalten Erdbeeren und gewöhnlicher Kiwi besteht (Desserts um die sechs Euro).

Am Ende ist der Weißwein warm geworden und enthüllt beim letzten Nachverkosten dann doch noch sein Geheimnis: Er erinnert weder an Frostschutzmittel noch an Tetrapakfusel, sondern an eine kleine Dieselpfütze neben den Zapfsäulen, in welcher der abgefahrene Reifen eines Ape-Kleinlasters steht. Bleibt also nur noch ein Mysterium zu lösen - warum das "Da Gelsomina" so erfolgreich ist. Wahrscheinlich ist die Antwort so simpel wie das Essen hier: An einem solchen Sehnsuchtsort kann man den zum Urlaub wild entschlossenen Italienromantikern offenbar alles verkaufen - wenn man das alte Lied von der Authentizität nur laut genug singt.

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