Lokaltermin:Altenauer Dorfwirt

In Altenau bei Oberammergau haben Dörfler ihr seit Jahren geschlossenes Wirtshaus zum Leben erweckt. Der Dorfwirt ist nun besser als je zuvor.

Von Philipp Maußhardt

In Altenau, einem Dorf nicht weit von Oberammergau, kann jeder Bewohner mit Fug und Recht behaupten: Das Wirtshaus gehört mir. Gut zehn Jahre war das einzige Gasthaus des Ortes leer gestanden, dann taten sich die Altenauer zusammen, gründeten eine Genossenschaft und sanierten das heruntergekommene Gebäude in einer Gemeinschaftsaktion für eineinhalb Jahre. Herausgekommen ist der "Altenauer Dorfwirt", ein bayerisches Bilderbuch-Gasthaus, das dem Dorf neues Leben einhauchte.

Es ist schon eine etwas irre Geschichte, die dem Gast auf den ersten Seiten der Speisekarte des "Dorfwirts" mitserviert wird. Da sterben die Gasthäuser landauf, landab, fast jede vierte bayerische Gemeinde hat das ihre in den vergangenen Jahren verloren. Im Ammertal aber wollte man den Trend umdrehen. Alle, die einen Hammer von einer Säge unterscheiden konnten, halfen bei der Grundrenovierung. Und weil der Bayrische Rundfunk über die Aktion berichtete, hörte davon auch der Hotelfachmann Florian Spiegelberger und bewarb sich um die Stelle des Pächters. Einen besseren hätten die Altenauer wohl nicht finden können: Bodenständig und kreativ bewirtschaftet er seit einem halben Jahr zusammen mit seiner Frau Izabella die Küche und das kleine Sechs-Zimmer-Hotel.

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Die Möbel sind handgeschreinert, der Boden aus heimischer Tanne, und die Liebe zum Detail, mit der die Freizeit-Handwerker von Altenau ihren Gasthof wiederauferstehen ließen, setzt sich auch auf der kleinen Speisekarte fort. Da sind die Kartoffelknödel zum Krustenbraten "handgedreht" oder das Apfelmus zum karamellisierten Kaiserschmarrn "hausgemacht". Koch Florian Spiegelberger steht für jene bayerische Küche, die der Tradition wohldosierte Moderne beimischt. Statt dumpf und deftig kommen die Gerichte hier leicht daher. Und Vegetarier oder Veganer werden im "Dorfwirt" nicht als lästige Gäste mit einem Alibi-Gericht abgespeist. An diesem Tag finden wir "Polnische Pirogie", wahlweise gefüllt mit Linsen, Äpfeln, Käse oder Kartoffeln auf der häufig wechselnden Karte. Das Gericht, so sagt uns die gut gelaunte Bedienung, sei eine Aufmerksamkeit des Kochs an seine Frau, deren Familie aus Polen stammt.

Da sitzt man also mitten in Oberbayern auf der Terrasse in der lauen Abendluft, isst zur Vorspeise seine Portion herrlich mild-säuerliche Pirogie, die Bauern grüßen beim Vorbeifahren vom Traktor herunter, und auf einmal steht ein älterer Mann neben einem und sagt, er sei "der Lang, Hermann" und singe jetzt ein Gstanzl, und während der Lang, Hermann also singt und singt, läuft schon ein weiterer Dörfler über die Straße - diesmal mit der Quetschn unterm Arm. Warum der Musikerauflauf? Nein, nicht für die speisenden Touristen. Am ersten Donnerstagabend im Monat treffen sich im Dorfwirt immer alle Altenauer, die ein Instrument spielen können oder singen möchten. Als unwissender Gast schaut man sich da schon mal verstohlen um, ob man versehentlich in die Dreharbeiten zu einem Heimatfilm geraten ist. Nein, nein, das sei normal, sagt die Bedienung, da kämen im Laufe des Abends sogar noch mehr.

In einem Satz

Es ist nicht ganz klar, was mehr Freude macht - der Zwiebelrostbraten hier oder die Erkenntnis, wie eine Dorfgemeinschaft funktionieren kann.

Qualität: ●●●●○

Ambiente: ●●●●●

Service: ●●●●●

Preis/Leistung: ●●●●●

Als Hauptgang empfiehlt sie dann das Steak vom Hirsch auf Breznknödeln und gegrillten Egerlingen. "Das hat der Jäger heute Morgen frisch geliefert." Wir entscheiden uns zusätzlich für einen Zwiebelrostbraten mit Lauchgemüse und Röstkartoffeln. Es ist mit 18,90 Euro das teuerste Gericht auf der Karte, das Fleisch kommt vom Metzger aus dem benachbarten Murnau, und schon der erste wunderbare Bissen macht uns fast schmerzlich bewusst, wie viele schlechte Vorgänger des Klassikers wir schon gegessen hatten. Hier ist er auf den Punkt gebraten, geschmacklich intensiv, das Fleisch gut abgehangen. Ja, warum muss man eigentlich erst bis Altenau fahren, um endlich mal wieder einen Zwiebelrostbraten dieser Qualität zu bekommen? Bei der dunklen Bratensoße wird vollends deutlich, dass der Koch hier alles selbst macht, den Fond eingeschlossen.

Die Terrasse hat sich nun gefüllt, und Wirts-Chefin Izabella schwirrt jetzt nur noch umher, um die vielen Durstigen zu versorgen. Mal erhebt sich ein Männerquartett und gibt mehrstimmig ein Wildererlied zum Besten, dann wieder zieht einer eine Kniegeige aus dem Etui und streicht zart über die Saiten. Was für ein Abend. Und wie angenehm hebt er sich ab von der inszenierten Folklore, die sich einem sonst vielerorts präsentiert, wenn es um Brauchtum geht.

Zum Abschluss kommen Blaubeerpfannenkuchen und Kaiserschmarrn auf den Tisch, der Schmarrn so leicht und frisch aufgeschlagen, dass der alte Brand von Mirabellen (aus der Feinbrennerei Prinz in Vorarlberg) vielleicht gar nicht nötig gewesen wäre. Und das zweite Glas erst recht nicht. Aber an diesem Abend wird es spät, auch der Mann an der Quetschn wird nicht müde, an den Tischen vermischt sich das Publikum, und wir wanken in die Nacht hinaus mit der Gewissheit, dass die große Zeit der kleinen Dorfwirtschaften noch lange nicht vorüber ist.

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