Lokaltermin:485°

Die Pizzabäcker haben eine Qualitätsoffensive ausgerufen. Und ein besonders viel gepriesenes Lokal ist das 485° in Köln. Grund für einen Test.

Von Jutta Göricke

Wo von Pizza die Rede ist, geht es plötzlich viel um Reifezeit von Teig und Schinken, um Kapernknospen an handgeschöpfter Burrata. Italien hat eine Qualitätsoffensive ausgerufen, und die reicht angeblich bis nach Deutschland, etwa bis zur gefeierten Pizzeria 485° in Köln. Passt schon, findet unsere Autorin Jutta Göricke, solange wir aufhören, Pizza in die Gourmetecke hineinzuquatschen.

Als die Pizza die Bundesrepublik eroberte, hießen der Thunfisch mit Zwiebeln oder die Salami obendrauf einfach nur "Belag", und man verzehrte sie mit dieser Andacht, die man Neuem eben entgegenbringt: toll, wie viel Beläge es gab, toll, wenn der Teig schön dünn war und der Rand knusprige Blasen warf! Dieser Erfolg war im Grunde fatal, denn auch solch' naive wie anspruchslose Begeisterung trug bei zum weltweiten Niedergang der Pizza zur schwer genießbaren Massen-Flachware. Irgendwann erinnerte der Biss in den Teig an die klebrige Lieferdienst-Pappe drumherum, und der Verzehr endete oft mit einem Klumpen im Magen.

Vor ein paar Jahren nun hat man wegen des Qualitätsverfalls in Italien die "Pizza-Revolution" ausgerufen, es geht um die Rückbesinnung auf traditionelle Werte, auf gute (und manchmal neue) Zutaten. Seither fachsimpeln Spezialisten über die Reifezeit von Teig und über per Pinzette angerichtete Einsprengsel von Kapernknospen an handgeschöpfter Burrata.

Getragen vom neuen Hochgefühl, feiert man jetzt auch in Deutschland wieder einzelne Pizza-Restaurants, zum Beispiel die Pizzeria "485°" in Köln. Schon der Name will sagen: Hier wird korrekt gebacken. Denn die ideale Temperatur für Pizza im neapolitanischen Stil liegt zwischen 400 und 500 Grad. Da musst du hin, hieß es. Da isst man nun. Und muss feststellen: Die Pizza-Revolution frisst ihre Kinder.

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Am frühen Sonntagabend atmet die Kyffhäuserstraße noch das Bier der letzten Partynacht. "Rästorang" und "Tankstelle" heißen die Nachbarn der viel gepriesenen Pizzeria 485°, die ein sympathisches Entree hat. Green Chic mit Holzplanken und Schwarz-Weiß-Fotos. Der Blick fällt sofort auf das Herzstück, den lodernden Kuppelofen. Trotz der frühen Stunde ist das schlauchförmige Lokal mit seinen 40 Sitzplätzen gut besucht. Wir ergattern einen Tisch weiter hinten, direkt neben den Klos, die mit der Ansage aufwarten: "Hände waschen! Du wirst dir die Finger nach der Pizza lecken!" Allgemein unterliegt Toiletten-Humor ja der "Too-Much-Information"-Regel, nun, im Lokal wird das Problem mit der Assoziationskette übrigens nicht kleiner.

Die hausgemachte Limonade aus Maracuja, Ingwer und Zitrone ("Ginger Bomb" zu 3,50 Euro) ist für den ersten Durst eine gute Wahl, dazu gibt es eine so riesige wie erfreuliche Weinauswahl. Inhaber Sebastian Georgi ist gelernter Sommelier und hat auch gleich den Craft-Beer-Boom mitgenommen. 25 Biersorten stehen auf der Karte. Natürlich auch Kölsch und sogar Tegernseer Helles. Dafür gibt es keine Servietten, doch das freundliche Personal hilft gern mit der Küchenrolle aus. Der Pizza "Parma Power" kann aber leider weder das bereitgestellte "Luisenhaller Salz" noch das Olivenöl auf die Sprünge helfen. Der Schinken auf der Pizza, als Produkt mit geschützter Herkunftsbezeichnung und 24 Monaten Reifezeit ausgewiesen, ist zwar extrem großzügig portioniert, schmeckt aber überraschend fad. Auch der frisch gehobelte Parmigiano hebt den Geschmack nicht. Schade, die Pizza sieht so einladend aus! (13 Euro)

In einem Satz

Pizza bleibt Pizza, selbst im Edelschichtbetrieb: 485° ist ein gutes Lokal - um sich eine Grundlage für Partynächte in der Südstadt zu schaffen.

Qualität: ●●●○○

Ambiente: ●●○○○

Service: ●●●○○

Preis/Leistung: ●●●○○

Eines ist aber da schon klar geworden: Bei 485° gibt es keinen 0815-Belag. Wie man auch an der Pizza "Mr. Burns" (12 Euro) sieht: hübsch angerichtete Inseln von Nduja, einer Salamistreichwurst aus Kalabrien, auf Fior-di-Latte-Mozzarella, Tomaten, roten Zwiebeln und milden Jalapeno-Schoten auf extrem dünnem Pizzaboden, eingerahmt von einem kross-fluffigen Teigrand - das muss doch schmecken! Leider ist das wohlklingende Potpourri aus Edelzutaten dann von einer derart gleichförmigen Einheitsschärfe überzogen, dass die einzelnen Aromen untergehen. Das Glück liegt eben doch, wie so häufig, in der Einfachheit; die Salami-Pizza (9 Euro) ist besser, was auch an der aromatischen, ja dominanten toskanischen Fenchelsalami liegen mag, die gnädig über die Bitterkeit der vielen schwarzverbrannten Teigpartikel triumphiert, die wir bei allen drei Pizzen abpfriemeln müssen. Das ist lästig, genauso wie die Fruchtfliegen-Armada, die hier auf dem Tisch tanzt. Im hell ausgeleuchteten Gastraum sehen jetzt auch die angeschabten Holzstühle plötzlich recht schäbig aus. Schade, es könnte alles so charmant sein: die Küchenrolle, das zuvorkommende Personal, die hausgemachte Limo.

Doch: Et kütt wie et kütt, sagt der kölsche Kulinariker, verjagt die Fliegen von der Fenchelsalami, isst und schweigt. Kinder, es ist Pizza! Und es ist - gemessen an den Zutaten allemal - preiswert. Vielleicht liegt diesem Besuch ja auch nur ein großes Missverständnis zugrunde. Sogar der Feinschmecker hat 485° empfohlen, worauf man hier stolz hinweist. Wobei der Zusatz - als "Fast Food Entdeckung des Jahres" - nicht ganz unwichtig ist. Das sollten wir bei aller Euphorie nicht vergessen - und trotz der Qualitätsrevolutionen endlich aufhören, die Pizza ständig in die Gourmetecke hineinzuquatschen.

Das Essen im 485° steht immerhin meilenweit über den üblichen Salami-Teig-Ecken, die man im Vorbeigehen in jeder Fußgängerzone bekommt. Einen verplauschten Abend neben den Klos möchte man hier deshalb nicht gleich verbringen. Aber eine parmabelegte Grundlage einwerfen, bevor man auf die Piste geht? Geht klar.

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