Ladies & Gentlemen:Durchgeknallt trifft auf flamboyant

Ladies & Gentlemen: Jamie Lee Kriewitz tritt für Deutschland bei Eurovision Song Contest an.

Jamie Lee Kriewitz tritt für Deutschland bei Eurovision Song Contest an.

(Foto: Getty Images)

In Japan wäre das Mainstream: Deutschlands Kandidatin beim Eurovision Song Contest trägt Plüschtiere auf dem Kopf. Das neue Outfit von Bill Kaulitz ist ähnlich spannend.

Von Julia Werner und Max Scharnigg

Jamie-Lee Kriewitz: In Japan wäre sie Mainstream

An diesem Samstag ist Eurovision Song Contest, und man darf ihn wieder schauen, seit Conchita Wurst dem lähmendsten TV-Abend des Jahres eine gesellschaftspolitische Dimension verlieh. Für uns fährt eine 18-Jährige namens Jamie-Lee nach Stockholm. Sie hat die Casting-Show "The Voice of Germany" gewonnen, die man als geschmackssichererer Bildungsbürger auch gucken darf, so aus grundsätzlicher Menschenliebe.

Auf den ganz normalen Büro-Sklaven wirkt das Mädchen etwas durchgeknallt, in Japan wäre sie Mainstream. Jamie-Lee trägt Plüschtiere auf dem Kopf und Funkenmariechen-auf-Acid-Minis. Das ist in Tokio stinknormal, dort lebt ein ganzer Wirtschaftszweig davon, junge Frauen mit Manga-Merchandise auszustatten, in Kaufhäusern sauber sortiert nach Untergruppen.

Jamie-Lees Stil wird mit dem Fachbegriff "Decora Kei" beschrieben, es geht hier um die freie Anlehnung an den Look von Manga-Comic-Protagonisten. Die gesteigerte Form davon heißt "Cosplay" - mehr als Mode, eine Lebenseinstellung, man zieht sich nicht nur so an wie sein Comic-Held, sondern verhält sich auch so.

Wir finden: Es macht Hoffnung, dass 18-Jährige wieder Helden sein wollen! Deswegen ist es doppelt schade, dass Jamie-Lees Wettbewerbsbeitrag "Ghost" ein banaler Blubb-Song ist. Der brave Bürosklave sollte also bei Jamie-Lees Auftritt den Ton ausstellen und ihn mit der Stimme der Verzweiflung überspielen - etwa mit der von Transgender-Sängerin Ahnoni. Ihr neues Album heißt "Hopelessness". Dann wird das ein erhellender Abend.

(Julia Werner)

Bill Kaulitz: Outfit als Therapiesitzung

Bei Bill Kaulitz hatte man immer das Gefühl, das Outfit wäre seine Form der Therapiesitzung. Da türmten sich Haare, Piercings, Tattoos zum Bollwerk gegen ein Publikum, das ihn vor lauter Begeisterung fast pulverisiert hätte. Das war vor sechs Jahren.

Die Kaulitz-Zwillinge flüchteten damals vor der Fanliebe nach Los Angeles und wurden prompt vergessen, das letzte Album jedenfalls schaffte es kaum mehr ins Licht der Großcharts. Ein Problem, das auch viele deutsche Exilliteraten in Los Angeles hatten, achtzig Jahre vorher.

Jetzt aber ist Kaulitz allein zurück und will Billy genannt werden. In dieser neuen Kunstfigur sollen sich, wie man liest, Musik, Fotografie und Mode auf vorteilhafte Art miteinander versuppen. Der Sound ist dabei schon mal eher egaler Emo-Elektro-Blitz, der Billy-Style aber ist interessant. Zu den neuerdings weichblonden Haaren trug er in Berlin ein Sweatshirt des Designers Henry Holland. Kragenslogan: Blow me!

Ladies & Gentlemen: Bill Kaulitz will jetzt Billy genannt werden

Bill Kaulitz will jetzt Billy genannt werden

(Foto: Getty Images)

Holland ist bekannt dafür, Promis mit leicht zotigen Sprüchen auszustatten, was ein guter Kniff ist. Die Stars müssen beim Fototermin gar nichts sagen und alle Welt fühlt sich trotzdem angesprochen. Die ordentlich eingegürtete Taille und das weich schwingende Beinkleid befeuern dazu die bekannte Kaulitz-Flamboyanz, wobei genau diese Ansiedelung zwischen den Geschlechtern heute ja zu den Top-Themen der Mode gehört. Da ist der Billy also wirklich vorne und schafft es trotzdem, nicht komplett ungefährlich zu wirken. Düsternis umweht diesen Knaben weiter und das nach sechs Jahren Kalifornien - Respekt!

(Max Scharnigg)

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