Küchentrend:Die Kunst des Teilens

Gyuto

Dieses Gyuto zum Filetieren und Vorbereiten von Fisch und Fleisch erinnert an Bistrobesteck.

Japanische Messer sind wie launische Diven. Dennoch sind längst nicht mehr nur Meisterköche scharf auf die Samuraischwerter der modernen Küche.

Violetta Simon

Kühl liegt das Messer auf der Haut, die keinen Widerstand leistet. Unerbittlich gleitet die Klinge durch das zarte Fleisch. Spärlich fließt der rote Saft, hauchdünn fallen die Scheiben auf das Holz - eine Tomate, in Würde zerteilt, ist der beste Beweis für die Güte eines Messers. Jetzt die Zwiebel. Der scharfe Geruch kitzelt bedrohlich in der Nase. Doch erleichtert stellt der ambitionierte Hobbykoch fest: Diesem Gemüse wird er nicht eine Träne nachweinen.

In Japan, heißt es, gilt ein Messer als scharf, wenn es in einem Bach steckt und ein Blatt, das gegen die Klinge stößt, in zwei Teilen weitertreibt. Ist es besonders scharf, schwimmt das Blatt aus Ehrfurcht vor der Klinge in großem Bogen um sie herum. Für den Test daheim gilt: Eine reife Tomate darf sich beim Schneiden weder verformen noch tropfen, eine Zwiebel nicht in den Augen brennen.

"Viele Menschen wissen gar nicht, was ein scharfes Messer ist", sagt Petra Steinberger, Geschäftsführerin eines Werkzeugherstellers in Metten. Das Traditionsunternehmen ließ bereits seine Sägen in japanischen Schmieden produzieren, bevor es sein Sortiment um die handgefertigte Hocho-Serie erweiterte. Mit den üblichen rostfreien Edelstahlklingen, die in deutschen Messerblöcken stecken, würde ein japanischer Messerschmied vielleicht seine Fingernägel reinigen, aber sicher keinen Fisch filetieren.

Traditionelle Hochos sind scharf wie Rasierklingen. Sie werden auf dieselbe Weise hergestellt wie einst die legendären Schwerter der Samurai. Allerdings prüfte ein Samurai die Klinge seines Schwertes auf weitaus grausamere Weise: indem er es der Länge nach durch den Körper eines Unglückseligen gleiten ließ.

Seit das Tragen und Herstellen von Samuraischwertern 1876 verboten wurde, haben sich viele Schwertschmiede in den japanischen Provinzen auf die Herstellung von Küchenmessern spezialisiert. Bis heute geben die Familien ihr Wissen aus der Samurai-Tradition an die nächste Generationen weiter. Bis heute hat sich die Herstellungsweise nicht verändert.

Bevor ein Stück Metall es verdient hat, sich Hocho zu nennen, hat es einen weiten Weg vor sich: Die extreme Schärfe erreichen die Schmiedemeister durch die Kunst des Lagenschmiedens: Bis zu 65 Lagen Karbonstahl werden dabei verschmiedet. Wie Blätterteig falten sie diesen extrem harten Stahl dutzende Male und verschweißen ihn schließlich über dem Feuer mit weicheren Schichten. So entsteht das typische Wellenmuster auf der Klinge - Samuraischwerter der modernen Küche.

Allein die Form dieser Messer ist eine Wissenschaft für sich: Für jedes Nahrungsmittel, jede Schneidetechnik scheint ein eigenes Modell zu existieren. Es gibt Messer für Gemüse (Usuba oder Ajikiri), Fisch (Sashimi oder Kobayashi) und Fleisch (Gyuto). Das Deba eignet sich zum Hacken und Zerteilen von Knochen und Gräten.

"Das Messer sollte ohne Druck, nur mit seinem Eigengewicht durch das Lebensmittel gleiten", erklärt Steinberger. Es wird durch das Lebensmittel gezogen - Drücken gilt nicht. Und weil nichts gequetscht wird, fließt selbst beim Schneiden einer Zwiebel kein Saft - und somit auch keine Träne. Selbst dem gehackten Schnittlauch kann man durch die unversehrten Röhrchen kucken. "Ein glatter Schnitt ist nicht nur wichtig für die Optik, sondern auch für die Zellstruktur. Kommen die Zellen nicht mit Luft in Berührung, bleiben die Vitamine erhalten".

Messer im Gegenwert eines Kleinwagens

Hochos sind im Kommen, auch wenn der Preis zunächst respekteinflößend ist. Je nach Zusammensetzung, Qualität und Verarbeitung liegt er zwischen 50 und bis zu mehreren hundert Euro. Ist die Stahlzusammensetzung besonders rein, das Material für den Griff aus edlen Hölzern und stammt das Messer auch noch aus einer kaiserlichen Schmiedemeister-Werkstatt, ist man schnell bei 1000 Euro. Dafür erhält der Kunde Maßarbeit, die auf seine Hand und seine Vorlieben für bestimmte Lebensmittel zugeschnitten ist - selbstverständlich mit eigenem Schliff für Rechts- oder Linkshänder. Ein Hocho ist also eine persönliche Sache. Nicht ohne Grund sagt man in Japan: "Nimm nie das Messer eines anderen".

Eigentlich müssten vor allem Frauen die Hochos kaufen. Schließlich kochen sie viel öfter und sollten an einer Arbeitserleichterung interessiert sein. Dennoch finden die japanischen Hightechmesser vor allem unter ambitionierten Hobbyköchen und Profis wie Witzigmann, Klink, Zacherl & Co. ihre Abnehmer. Die Herren legen eben auch in der Küche mehr Wert auf gutes Equipment.

Edler Rost

Weil der Trend zwar zum Japanischen Messer geht, der Preis jedoch nicht unbedingt die Masse anspricht, werden Hochos von immer mehr Billig-Herstellern angeboten. "Meist ist daran nur die Form japanisch, die Qualität nicht", sagt Steinberger, die mit mehreren traditionellen japanischen Messerschmieden zusammenarbeitet - unter ihnen auch der kaiserliche Hoflieferant Kobayashi und Meister Tokifusa Izuka, dessen Messer bei japanischen Köchen hohes Ansehen genießen.

Wie aber erkennt der Laie, ob er teuren Schund oder gute Ware in Händen hält? "Wichtig ist der Härtegrad, die Stahlzusammensetzung und dass die Härtelinie an der Schneide zu sehen ist. Außerdem ist jedes Stück vom Meister mit japanischen Schriftzeichen signiert. Auf Imitaten, die als "Japanmesser" verkauft werden, sind oft chinesische Schriftzeichen geprägt. Dass ein Messer rostfrei sein muss, sei ein weit verbreiteter Irrtum. Traditionelle japanische Messer sind meist nicht rostfrei. "Nur reiner Karbonstahl lässt sich für die extreme Schärfe so fein ausschleifen, und der rostet nunmal", erklärt Steinberger.

Das erfordert allerdings einen gewissen Pflege-Aufwand: Ein Hocho-Besitzer sollte sein edles Werkzeug niemals in die Spülmaschine stecken. Er reinigt die Klinge nach Gebrauch mit Wasser und pflegt sie mit lebensmittelechtem, säurefreiem Camelienöl. Olivenöl eignet sich wegen seines hohen Säuregehalts nicht! So bleibt sie länger scharf und rostet nicht. Auch wirft der Profi ein Hocho nicht einfach zusammen mit anderen Messer in die Schublade oder klebt es gar an eine Magnetschiene. "Das beeinflusst das Stahlgefüge, und es lässt sich nicht mehr gut schärfen", sagt Steinberger. Ebensowenig wird auf irgendeiner beliebigen Unterlage gearbeitet. Ein Brett aus Gingko-, Akazien- oder kanadischem Pinienholz, antibakteriell und nicht verleimt, sollte es schon sein.

Weil viele Europäer den Aufwand scheuen und ihr Hocho doch lieber in die Spülmaschine stecken, haben sich die meisten Hersteller angepasst und bieten zusätzlich eine westlich orientierte Linie an. Aus rostfreiem Stahl, mit Griffen, die ein bisschen an Bistrobesteck erinnern.

Scharf machen, aber richtig

Doch um eines kommen auch sie nicht herum: Selbst das schärfste Messer braucht hin und wieder den nötigen Schliff. Und der will beherrscht werden. Es ist eine Wissenschaft für sich, zu der man einen Wasserstein, einen Abrichtblock (um den Stein zwischendurch plan zu machen) und eine rutschfeste Unterlage benötigt. Herkömmliche Schleifgeräte wie Wetzstahl oder Schleifmaschinen sind verboten! Für die richtige Technik hat das Unternehmen sogar eine eigene "Schärf-Fibel" herausgebracht. Für Perfektionisten werden sogar - kein Witz - Schärfkurse angeboten, in denen man lernt, die richtige Bewegung im richtigen Winkel durchzuführen.

Wer sein Hocho liebt, der wird das Pflegen und Schärfen gern in Kauf nehmen, zumal es eine willkommene Gelegenheit zum Entspannen bietet. "Schneiden und Schärfen ist ein meditatives Ritual, bei dem ich wunderbar abschalten kann", sagt Steinberger, während sie die Klinge eines Sashimi-Hochos über den Wasserstein zieht. Dann nimmt sie ein Blatt Papier, hält es in die Luft und lässt es ohne Druck hindurchgleiten.

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