Kochkunst:Warum ein französischer Spitzenkoch seine Sterne nicht mehr will

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Die höchste Auszeichnung des Guide Michelin mache ihm zu viel Druck, sagt Sébastian Bras. Über die neue Sehnsucht nach Freiheit - nicht nur in der Küche.

Von Friederike Zoe Grasshoff

Da steht er nun und will sie nicht mehr haben. Er, der französische Spitzenkoch gegen die drei schönen Sterne. Diese höchste Auszeichnung des Restaurantführers Guide Michelin, die doch alle wollen oder wollen sollen. Diese Kanzlerschaft des Spitzenkochs, diesen Nobelpreis für Genuss, diese Bürde des maximalen Maximums. Sébastien Bras will Freiheit. Da sind drei Sterne drei zu viel.

Vor zehn Jahren hat Bras das Gourmetrestaurant "Le Suquet" in der französischen Region Aubrac von seinem Vater Michel Bras übernommen. Er hat seinen Gästen Glück verkauft und andere satt gemacht, er hat das berühmte Gemüsegericht "Gargouillou" gekocht, er hat Endivien pochiert und funktioniert, für die Sterne. Jetzt will er nicht mehr, mit 46.

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Am Mittwoch teilte er in einem Video auf Facebook mit, dass er das "Le Suquet" zwar weiterführen wolle, Guide Michelin aber darum gebeten habe, im nächsten Restaurant-Führer von 2018 nicht mehr aufgeführt zu werden. Bras, weiße Kochjacke, Brille, in sich ruhendes Gesicht, steht vor einer Wiese, hinter ihm weicht der Sommer dem Herbst. Warum er diese Krone freiwillig hergeben will? Diese drei Sterne bedeuten zu viel "Druck", sagt er, er wolle "freier" sein. Seine Erklärung klingt wie ein Rücktrittsgesuch, von einem Amt, von dem man nicht einfach so zurücktritt.

Man. Manche aber schon. 2005 hatte der im Juni verstorbene Vertreter der "Nouvelle Cuisine", Alain Senderens, freiwillig auf seine drei Sterne verzichtet, er schloss sein Restaurant, die kulinarische Welt war schockiert. "Ich wollte einfach meine Freiheit wieder", sagte er damals. Er wolle einfach wieder so kochen, wie es ihm gefalle. Nach dem Rücktrittsgesuch von Sébastien Bras teilte Guide Michelin mit, dass dies ein "einmaliger" Vorgang sei. Andere "Sterneverweigerer" hätten das Angebot verändert oder ihr Haus geschlossen. Man werde das Gesuch prüfen, ihm aber nicht automatisch folgen.

"Der Guide ist nicht für Köche gemacht, sondern für Kunden." Das Restaurant "Le Suquet", das vom Guide Michelin als "faszinierend" bezeichnet worden war, ist wegen seiner regionalen Küche mit viel Kräutern, Gemüse und Blüten bekannt. Es ist eines von 27 Drei-Sterne-Restaurants im aktuellen Michelin-Führer für Frankreich.

Den dritten Stern bekam das "Le Suquet" schon 1999, da war Sébastien Bras Ende zwanzig. Wer die Sterne einmal hat, muss viel tun, um sie zu behalten. Es ist eine Kunst für sich. Wer bleibt ganz oben? Wer wird herabgestuft?

Vielleicht ist es eben jenes permanente Bewertungs-Szenario, das Sébastien Bras meint, wenn er in seinem Video sagt: "Man wird zwei bis drei Mal pro Jahr kontrolliert." Man wisse nie wann. Das heißt, dass jeden Tag einer der 500 Teller bewertet werden kann." Jetzt, mit 46, wolle er seinem Leben "einen neuen Sinn" geben und für sich neu definieren, was essenziell ist.

Nicht nur in der Gastronomie macht der Erfolgsdruck die Menschen kaputt

Essenziell in der Welt des Kochens und Bewirtens sind harte Umgangsformen, Perfektionsdruck, Koks in der Kühlkammer. Ende 2014 veröffentlichte der ehemalige Zwei-Sterne-Koch Gérard Cagna aus Frankreich das Manifest "Rühr meinen Gehilfen nicht an!", er lenkte die Aufmerksamkeit damit auf ein äußerst diskret behandeltes Phänomen: gezielte Verbrennungen, Tritte vors Schienbein, Gewalt in der Sterne-Gastronomie - eine weitere Ausprägung von Erfolgsdruck, von Stress. Das will oder kann nicht jeder aushalten.

Nach Angaben des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga brachen im Jahr 2016 gut 28 Prozent aller Lehrlinge ihre Ausbildung wieder ab - trotz Ottolenghi-Hype und Jamie-Oliver-Romantik. Wer einmal in einer Küche gearbeitet hat, weiß: Die Stunden sind so militärisch durchgetaktet, dass sie sich am Ende des Tages anfühlen wie Minuten - und draußen an den Tischen freuen sich die Menschen des Lebens. Oder sind unzufrieden. Gruß in die Küche, Druck à la carte.

Stress und Druck sind die Silben unserer Zeit. Nicht nur für Köche, sondern auch für alle, die sich mit dem gesellschaftlichen Imperativ des Du-genügst-nicht identifizieren. Für Mütter und Väter, die neben der Arbeit die Kinder "managen". Für Junge und nicht mehr so Junge, die sich "verwirklichen" und dabei vergessen, dass sie schon wirklich sind. Für all jene, die das Leben mehr bewältigen als es leben, und sich alle paar Wochen ein Entschleunigungsangebot im Wald erkaufen. Der Wunsch nach work und balance ist also nicht nur ein Phänomen von Menschen um die 30, die lieber vier Tage arbeiten als sich die ganze Woche ausbeuten zu lassen - auch das zeigt der Fall Bras. Wie will man noch lauter schreien als er: Lasst mich hier raus!

Michael Kempf will nicht raus, was man bei einem Anruf bei dem Küchenchef des Zwei-Sterne-Restaurants "Facil" in Berlin erfährt. Durch das Telefon hört man Töpfe scheppern, er macht Suppe. Genauer gesagt: Er testet eine neue Suppe. Kann er das nachvollziehen, was da in der französischen Spitzengastronomie geschieht? "Ich kann mich gut in die Lage des Kollegen hineinversetzen. Aktuell würde ich aber keinen Stern abgeben." Natürlich, der Job sei allein schon körperlich anstrengend. Sein Tag beginnt frühmorgens, mittags eine Pause, um 23 Uhr ist Schluss, Kempf ist Vater von Zwillingen. Es sei aber auch eine Frage der Einstellung, er gehe zum Ausgleich joggen oder lese ein Buch. Den Druck mache man sich am Ende selbst.

© SZ vom 22.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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