Kochen ohne Stern:"Die Gäste sind meine Sterne"

Spitzenkoch Jörg Müller

Spitzenkoch Jörg Müller betreibt mit seiner Familie ein Hotel und zwei Restaurants auf Sylt.

(Foto: Ydo Sol ; Jörg Müller)

Früher, als die deutsche Küche nicht so angesehen war, konnte ein Koch mit Sternen, Punkten, Kochlöffeln und Hauben noch hervorstechen. Inzwischen hat Deutschland so viele Gourmetköche wie nie zuvor. Der deutsche Spitzenkoch Jörg Müller gab vor Kurzem bekannt, dass er keine Bewertung mehr wünscht und künftig auf sämtliche Auszeichnungen verzichtet. Seine erste Weihe durch den Guide Michelin bekam der gebürtige Freiburger bereits 1974, sein erstes Lokal auf Sylt erhielt zwei Sterne. Seit 25 Jahren betreibt Müller dort ein Hotel mit einem Sterne-Restaurant. Im Gespräch mit Süddeutsche.de erklärt der 67-Jährige, warum er trotzdem keine Auszeichnung mehr will und sein neues Restaurantkonzept ohne Stern auskommt.

Von Violetta Simon

Süddeutsche.de: Sie verzichten in diesem Jahr zum ersten Mal auf einen Stern für Ihr Restaurant im Hotel "Jörg Müller". Was hat Sie dazu bewogen?

Jörg Müller: Erst einmal war es eine persönliche Entscheidung - das Hotel steht vor einem Generationenwechsel. Ich bin jetzt 67 und möchte nicht mehr täglich mit der Belastung konfrontiert sein, die eine solche Bewertung mit sich bringt. Der Aufwand ist einfach zu hoch. Die Belastung der Mitarbeiter und speziell meiner Frau, die das alles mit mir gelebt hat, war enorm. Und es lohnt sich nicht einmal.

Also war es auch eine unternehmerische Entscheidung?

Es ist tatsächlich so, dass die Gäste in einem "normalen" Bereich oft besser konsumieren, als in einem Sternelokal, wo alles so gehoben ist. Das Zweitrestaurant unseres Hotels, das friesisch-rustikale "Pesel", hat keinen Stern und ist dennoch jeden Tag mindestens zweimal belegt. Das schaffe ich mit dem Sterne-Restaurant nur in der Hochsaison. Ich habe den Eindruck, der Trend geht zurück in den regionalen Bereich, wo alles etwas legerer ist.

Was sagen Ihre Gäste zu Ihren Plänen?

Unsere Stammgäste, mit denen ich über die geplanten Veränderungen gesprochen habe, finden das super und freuen sich schon auf das neue Konzept. Die Küche selbst werden wir ja nicht verändern, es sind dieselben Köche, und wir bieten weiterhin ein hohes Niveau. Auch die Ausstattung bleibt - wir verwenden nach wie vor gute Gläser und hochwertiges Geschirr. Ich gehe davon aus, dass wir die gleiche Klientel ansprechen, schon von der Preisklasse her.

Was ändert sich dann?

Wir werden künftig weniger Chichi bieten, nicht mehr ganz so viel Aufwand betreiben. Es braucht keine drei bis fünf Amuse-Gueules, bis der Gast etwas aus der Karte bestellt. Abgesehen davon werden wir die Karten beider Restaurants zu einer vereinen, mit den Klassikern und den Lieblingsgerichten der Gäste - so, wie ich vor 40 Jahren angefangen habe. Ich nehme die zwei Restaurants wieder unter ein Dach und gehe zurück zu meinen Wurzeln.

Was erhoffen Sie sich von diesem Schritt?

Mehr Freiheit. Ich werde nicht mehr jeden Tag zehn Stunden in der Küche stehen, sondern weniger - und das mit Spaß. Meine Tochter und ihr Mann gehen den Weg mit. Vielleicht gibt es immer noch Gäste, die Wert auf Gourmet-Auszeichnungen legen. Doch wenn es gut war, kommen sie trotzem wieder.

Wie sind die Reaktionen der Kollegen - Kopfschütteln oder Bewunderung?

Teilweise können sie diesen Schritt gut nachvollziehen. Manche bestätigen mich und sagen: "Du gehst den richtigen Weg." Andere, gerade wenn sie Angestellte in einem Restaurant sind, sagen: "Das kommt für uns nicht in Frage."

Würden Sie den Rückzug aus der Sterneküche jedem empfehlen?

Für einen Betrieb in einer Großstadt, mit täglich wechselnder Kundschaft, empfiehlt sich so eine Entscheidung nicht unbedingt, auch auf dem Land könnte es schwierig werden. Dafür braucht man ein gutes Einzugsgebiet und eine treue Stammkundschaft.

Und, werden Sie den Sternen nicht doch ein bisschen hinterhertrauern?

Wenn man gute Stammkunden hat, ist es wichtiger, ihnen zu entsprechen, nicht den Testern. Meine Gäste sind meine Sterne.

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