Kochen:Gemüse ist mein Fleisch

Gemüse als Hauptgericht

Gurken-Erdnuss-Salat mit Rindfleisch-Spießen: ein Rezept aus dem Kochbuch "Gemüse als Hauptgericht", das Sie auch unter diesen Vorschlägen der SZ-Kochseite Das Rezept finden.

(Foto: Wolfgang Schardt / Becker Joest Volk Verlag)

Vegetarisch leben ist gut für Klima und Gesundheit - für viele allerdings im Alltag nicht umsetzbar. Eine Ernährungswissenschaftlerin zeigt, wie man seinen Fleischkonsum problemlos reduziert, statt am Verzicht zu scheitern.

Von Viktoria Bolmer

Ein Mann steht unschlüssig in der Obst- und Gemüseabteilung eines Supermarkts. Lässt den Blick über sorgsam drapierte Chicoree, Auberginen und Rucola schweifen. Läuft weiter zum Kühlregal, betrachtet die Tofu-Variationen mit gebührendem Abstand und skeptischem Blick. Schließlich schiebt er den Einkaufswagen zur Kühltruhe, zieht eine Packung tiefgefrorene panierte Schnitzel heraus, dazu eine Tüte Kartoffelecken - und geht zur Kasse.

So wie diesem Herrn geht es hierzulande vielen Menschen. 89 Prozent der Deutschen wollen sich dem jüngsten Ernährungsreport zufolge gesund ernähren, doch nur 39 Prozent nehmen täglich Kochlöffel oder Pfannenwender in die Hand. Dabei weiß inzwischen fast jeder: Wer frische, regionale Produkte verarbeitet und dabei auf Obst, Gemüse und - vor allem - weniger Fleisch setzt, tut nicht nur etwas für die eigene Gesundheit. Sondern auch für die Umwelt. Doch im Alltag ist das für viele offenbar nicht umsetzbar. Zu einer Mahlzeit gehört für sie immer noch Fleisch und eine Sättigungsbeilage wie Kartoffeln. Eine Portion gekochter Rotkohl oder etwas grüner Salat sollen den Bedarf an Vitaminen abdecken. Oder zumindest das Gewissen beruhigen.

Warum fällt es so schwer, auf Fleisch zu verzichten? Guido Ritter vom Institut für nachhaltige Ernährung in Münster macht mehrere Gründe aus: "Wir sind Allesesser, wenn Fleisch verfügbar war, gehörte es schon immer in unseren Speiseplan." Dass die Menschen es so gerne essen, sei auch genetisch bedingt: Der Geschmack von zubereitetem Fleisch ist für die Geschmacksknospen ein Hinweis auf Proteine, löst eine positive Verknüpfung aus und regt das Belohnungssystem an. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer weiteren Geschmacksrichtung neben süß, sauer, salzig und bitter: Umami (japanisch für schmackhaft, köstlich) steht für alles, was deftig-herzhaft schmeckt. Hinzu kommt das Image, so der Ernährungsexperte: Lange konnte sich Fleisch nur die Oberschicht leisten. Das ist mittlerweile anders: "Wir haben uns daran gewöhnt, dass es immer vorhanden ist", sagt Ritter.

Dass solche Gewohnheiten schwer zu durchbrechen sind, weiß auch die Ernährungswissenschaftlerin Anne-Katrin Weber. Die Menschen zur vegetarischen Ernährung zu drängen, hält die Autorin, die bereits mehrere vegetarische Kochbücher veröffentlicht hat, für die falsche Lösung. Sie schlägt vor, lieber die üblichen Mengenverhältnisse bei den Mahlzeiten umzudrehen. "Gemüse als Hauptgericht" - so lautet der Titel ihres aktuellen Buches und die Philosophie hinter der Rezeptauswahl: Fleisch oder Fisch gibt es nur ab und zu, allerdings als Beilage.

Das hat mehrere Vorteile: Spielen Fleisch und Fisch bei Mahlzeiten nur noch als Nebendarsteller eine Rolle, reduziert sich die benötigte Menge und man spart Geld. Das sich dann in qualitativ hochwertigeres Fleisch, etwa mit Biosiegel, investieren lässt. Auch die Gesundheit profitiert: Wer Aubergine, Süßkartoffel und Karotte ins Zentrum rückt, nimmt mehr Ballaststoffe zu sich. Man fühlt sich fitter und gesünder.

"Es ist nicht nur diese eine Art der Ernährung gut"

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, maximal zwei- bis dreimal pro Woche Fleisch zu essen, insgesamt zwischen 300 und 600 Gramm. Tatsächlich essen die Deutschen im Schnitt das Doppelte der empfohlenen Höchstmenge, etwa 60 Kilo Fleisch pro Jahr, - mit fatalen Konsequenzen für den ökologischen Fußabdruck: Bei der Produktion von einem Kilo Rindfleisch werden 28 Kilogramm Kohlendioxid freigesetzt. Viele ernähren sich daher auch aus Klimaschutzgründen fleischlos. Bislang sind es in Deutschland aber nur 4,2 Prozent der Erwachsenen, die sich vegan oder vegetarisch ernähren, fand das Robert-Koch-Institut Anfang des Jahres heraus.

Um mehr Menschen die Umstellung auf einen fleisch-ärmeren Speiseplan zu erleichtern, bietet Ernährungswissenschaftlerin Weber in ihrem Buch zahlreiche Alternativ-Rezepte zu Klassikern der deutschen Küche (eine Auswahl finden Sie auf der SZ-Kochseite Das Rezept). So ersetzen etwa Wurzelgemüse-Puffer mit Dip und Räucherforelle die klassische Forelle mit Kartoffeln. Statt Schnitzel mit Pommes gibt es handgemachte Steckrüben-Pommes mit Paprika-Mandel-Dip - ohne Schnitzel. Und aus Rinderbraten mit Salat wird ein Gurken-Erdnuss-Salat mit Rindfleischspießen.

Dass ihr neuestes Werk nicht gänzlich ohne Fleisch auskommen will, liegt auch daran, dass ihr der dogmatische Verzicht, den viele Vegetarier und Veganer propagieren, zu viel wurde. "Es ist nicht nur diese eine Art der Ernährung gut", sagt Weber. In dem Bereich "sollte man sich mal etwas entspannen". Sie selbst ist das, was man als Flexitarierin bezeichnet: "Wenn ich Lust habe, auch wenn das selten ist, gönne ich mir ein richtig gutes Stück Fleisch."

Guido Ritter hält Webers Ansatz für sinnvoll - und nachhaltig. Weil er bewirkt, dass viele Menschen ihren Fleischkonsum reduzieren können. Schließlich soll die Ernährungsumstellung nicht das traurige Schicksal der meisten Neujahrsvorsätze erleiden: Das Ziel war zu hoch gesteckt, es lässt sich langfristig nicht umsetzen.

"Gemüse als Hauptgericht" von Anne-Katrin Weber ist im Becker Joest Volk Verlag erschienen.

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