Kochbuchmarkt:Unbegrenzt haltbar

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Kochbücher verkaufen sich immer besser. Aber hohe Auflagen sagen wenig über die Qualität aus. Erst im Antiquariat zeigt sich, welche Rezeptsammlung Substanz hat.

Von Katharina Höhnk

Wenn in diesen Tage die Frankfurter Buchmesse eröffnet, dann beginnt auch die Saison der neuen Kochbücher. Wer nun glaubt, die seit Jahren anhaltende Flut an Rezept- und Lifestyle-Kompendien könne schwerlich noch steigen, dem sei gesagt: Die Verlage rechnen auch 2015 wieder mit einem zweistelligen Umsatzzuwachs.

Die wichtigsten Trends: 1. Die Deutschen backen ihr Brot wieder selbst und scheinen dafür erstaunlich viele und umfangreiche Anleitungen zu benötigen. 2. Die lukrative Symbiose von Essen und Gesundheit mag eine Binse sein, für den Kochbuchmarkt hat sie gerade erst begonnen, egal wie teuer Goji-Beeren und Chia-Samen auch sein mögen, egal wie absurd Moden wie "Superfood", "pegan" (paleo plus vegan) oder "Clean Eating" auch klingen. 3. Wieso man Küchenstars wie Jamie Oliver, Enie van de Meiklokjes oder Attila Hildmann auch das zehnte Werk noch aus den Händen reißt, erklären Experten folgendermaßen: Die Leute wollen Neues haben, aber das bitte von vertrauten Gesichtern.

Die Frage, nach welchen Büchern später tatsächlich auch gekocht wird, ist natürlich eine völlig andere. Im Zeitalter perfekten Brandings und viraler Hypes lassen Auflagenzahlen nur bedingt Rückschlüsse darauf zu, wie langfristig gefragt, also wie nützlich, ein Werk womöglich ist. Denn viele Bücher werden oft spontan gekauft oder verschenkt und schnell wieder verramscht. Interessanter ist da der Blick auf den Markt gebrauchter Bücher. Hier zeigt sich, welche Kochbücher wirklich funktionieren und warum.

Im Windschatten des rasant gewachsenen Online-Buchversands hat sich nämlich auch der antiquarische Buchverkauf prächtig entwickelt. Rezeptsammlungen führen heute durch Plattformen wie medimops.de, rebuy.de, booklooker.de, zvab.de und ja, auch Amazon und Ebay mehrere Leben. Nahezu jedes Kochbuch kann nun gebraucht gekauft werden. War es in vordigitalen Zeiten eher der Zufall, der den Liebhaber im wohlsortierten Antiquariat zum gesuchten Buch lotste, ist die Online-Jagd ein gezielter Prozess und ein schneller meist dazu. "Vergriffen" gibt es nicht mehr.

Mit den antiquarischen Online-Portalen aber ist vor allem der Wert gebrauchter Bücher transparenter geworden. Bei ihnen bestimmt ja nicht die Buchpreisbindung, sondern der Markt die Kosten. Bis vor Kurzem war es pures Hoheitswissen des Kenners, ob der geforderte Preis tatsächlich der Qualität geschuldet war. Nun lässt sich die Preisentwicklung eines Titels über Suchmaschinen wie eurobuch.com bequem verfolgen. Natürlich kommt es zu kleinen Verzerrungen, etwa wenn gerade nur zwei Exemplare eines Werks auf dem Markt sind. Klammert man solche Schwankungen jedoch aus, lassen sich interessante Rückschlüsse ziehen.

Aber wie kommt man nun auf die sogenannte Longseller-Liste? Bekannte Namen großer Köche und Autoren helfen natürlich schon. Ebenfalls gefragt sind herausragende Grundlagenbücher sowie Standardwerke zu Länderküchen.

Gaston Lenôtre und sein "Großes Buch der Patisserie" (Econ-Verlag, 1978) ist dafür ein gutes Beispiel. Der inzwischen verstorbene Meisterpâtissier aus Frankreich verfasste eine so genaue wie praktische Rezeptsammlung für "Spezialisten und ungeübte Interessenten". Rezepte wie seine beliebte Erdbeer-Bagatelle wurden von anderen Autoren nachgebacken, etwa von seiner Tochter Sylvie in ihrer "Hausfrauen-Küche", sie funktionieren also. Mittlerweile wird das Backbuch in einer Preisspanne zwischen 30 und 180 Euro gehandelt (Letzteres mit Schuber) trotz einer nicht besonders zugänglichen Aufmachung mit wenigen Fotos und einem einschüchternd ausufernden Fließtext. Vor acht Jahren kostete das Werk noch unter fünf Euro. Der Preissprung liegt nicht nur an dem Namen Lenôtre, sondern vor allem an der Qualität eben dieses Backbuchs (seine anderen Bücher sind viel billiger) sowie an der neuen Transparenz von Angebot und Nachfrage.

Auch Franz Maier-Brucks "Das große Sacher-Kochbuch" (Schuler Verlagsgesellschaft, 1975) mit seinen zahllosen Gulyás-Rezepten und seinem unterhaltsamen Fledermaus-Rezept (gratiniert!) wird preislich gehandelt als sei es neu, obwohl hier vor allem der literarische Aspekt für die Leser wichtig sein dürfte. Anders beim Standardwerk "Wiener Küche" von Olga und Adolf Hess (Franz Deuticke Wien, 1963). Hier gilt eher: Die Zeit kann einem funktionierenden Rezept nichts anhaben. Ein guter Strudelteig bleibt eben ein guter Strudelteig. Ähnliches lässt sich über das Schulkochbuch "Kochen mit Freude" von Käthe Gleisner und Eugenie Heim (blv Verlagsgesellschaft, 1977) sagen. Die Anweisungen der beiden strengen Damen wirken heute zwar aus der Zeit gefallen autoritär, doch die Rezepte sind top, der Preis hält sich dementsprechend phänomenal. Ein Beispiel neueren Datums ist das "River Cafe Easy Kochbuch" (Dorling Kindersley, 2004) von Rose Gray und Ruth Rogers. Die beiden Autorinnen - Gray ist mittlerweile verstorben - gelten als Institution in London, das River Café symbolisiert auch die Hinwendung der englischen Küche zur Moderne. Gebraucht wird das Werk bald bei seinem Neupreis angelangt sein, und die Tatsache, dass es derzeit kaum verfügbar ist, treibt den Preis weiter nach oben.

(Foto: N/A)

Cocktailbücher sind zeitlos. Bei Weinbüchern hingegen ist der Preisverfall rasant

Wenige Menschen sind so mit den Kriterien für die Langlebigkeit von Kochbüchern vertraut wie Swen Kernemann-Mohr, der in Berlin das Antiquariat Bibliotheca-Culinaria führt. "Besonders wertbeständig sind Bücher, deren Wissen zeitlos wirkt", sagt der Antiquar, "dazu gehören zum Beispiel Genres wie Konditorei oder Fleischverarbeitung, aber auch Bar-Bücher." Einen starken Preisverfall erleben dagegen Werke zum Thema Wein. Darüber hinaus hat sich Kernemann-Mohr auf besonders ungewöhnliche Bücher spezialisiert, weil die ebenfalls gut gehen. Werner Fischers "Köstlichkeiten internationaler Kochkunst" (Hugo-Matthaes-Verlag, 1970) zum Beispiel. Der ehemalige Berliner Chefkoch arbeitete sich kulinarisch quasi durch den gesamten zoologischen Garten - vom Bärenbraten bis zum Elefantenrüssel. Die Fotos in dem raren Werk sind glamourös und aufwendig inszeniert.

Nicht ganz so selten, aber doch ein äußerst begehrtes Dokument der Kochkunst ist "Die Küche des Michel Bras" (Christian-Verlag, 2003). Denn der Feingeist unter den Sterneköchen ist nicht nur eine Ikone der französischen Küche, er war auch sparsam mit Veröffentlichungen - und nur eines seiner drei Kochbücher wurde überhaupt ins Deutsche übersetzt. Ebenfalls preisstabil sind Bücher mit regionaler Ausrichtung wie etwa Werke zur böhmischen Küche. Auch Rezeptsammlungen mit historischem Bezug sind begehrt, populäre Beispiele sind hier höfische Kochbücher oder solche für Soldaten.

Auflage, Zustand und Ausstattung spielen beim Preis eine Rolle. Doch wie nebensächlich das früher despektierliche Prädikat "gebraucht" geworden ist, zeigt sich am Titel "Saucen" von Michel Roux (Umschau-Verlag, 2012). Er ist leicht überarbeitet, frisch gegliedert und mit zeitgemäßen Fotos ausgestattet als Paperback zu haben - und erstaunlicherweise neu günstiger als das gebundene Ursprungswerk mit dem sperrigeren Titel "Saucen: Die Quintessenz der feinen Küche" (Christian-Verlag, 1996), dem optisch der Zahn der Zeit anzusehen ist.

Antiquariate sind die besten Gradmesser für die Substanz eines Werkes: Für die langfristige Nachfrage ist es unerheblich, ob der Titel einst auf einer Bestsellerliste stand oder nicht, es ist vor allem die Qualität eines Buches, die den Preis bestimmt. "Autor, Ausstattung und Rezepte eines Werks müssen so hervorragend sein, dass man nicht darauf verzichten kann und mag", erklärt die Kochbuchsammlerin und Bloggerin Dorothée Beil und verweist auch auf ein neues Phänomen: Besonders gute Bücher bleiben heute in den sozialen Medien im Gespräch - unabhängig davon, ob sie nur neu oder auch gebraucht zu beziehen sind.

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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