Kaviar Gauche bei der Fashion Week Paris:Zwischen Nähmaschine und Wahnsinn

Kaviar Gauche - Runway - Paris Fashion Week

Johanna Kühl (li.) und Alexandra Fischer-Roehler nach der Show.

(Foto: dpa)

Fehlende Models, schreiende Agenten und noch mehr Stress: Zum ersten Mal zeigt das Berliner Label Kaviar Gauche eine eigene Show bei der Pariser Modewoche. Ein Countdown.

Von Tanja Rest

Es begann im März 2004 mit dem, was später nur noch "die Guerilla-Modenschau" hieß. An der Pariser Designermeile St. Honoré hatte das Berliner Label Kaviar Gauche ein Apartment im vierten Stock angemietet, internationale Einkäufer geladen und Lautsprecher aus dem Fenster gehängt, damit es auch die Hipster auf der Straße mitbekamen. Weil gerade Fashion Week war, hätten sie dafür eigentlich eine Genehmigung gebraucht. Aber das modebesessene Paris stieg auch so in den vierten Stock, und hinterher zogen sie mit ihren Models noch unangemeldet durch den damals schon schwer angesagten Concept-Store Colette. Ausbeute: Bestellungen aus Japan, China, Kanada. "Wir haben nicht groß gefragt, sondern gemacht", sagt Johanna Kühl. "So verrückt kam uns die Aktion auch gar nicht vor", sagt Alexandra Fischer-Roehler, "aber es wurde unser Gründungsmythos." In Paris hat es angefangen, nach Paris wollen sie wieder zurück. Diesmal richtig.

Berlin, Torstraße: Atelier. Noch acht Tage bis zur Show

Man kann es ein Atelier nennen. Man kann aber auch von zehn Frauen und Bergen von Material in einer sehr kleinen Wohnung sprechen. Inmitten von Schneiderpuppen und Organzawolken, Bataillonen von Garnrollen, Knopf- und Nadelboxen wird an vier Nähmaschinen konzentriert gearbeitet. Die Kollektion ist schon fertig entworfen, zu diesem Zeitpunkt aber nur bruchstückhaft vorhanden: ein paar zarte weiße Blusen mit Kupferknöpfen, einzelne Hosen und Oberteile aus Lasercuts - Kalbsleder mit floralem Lochmuster.

Stündlich liefert ein Musteratelier neue Teile an, die dann probiert und abgeändert oder gleich verworfen werden. Die Schuhe und Taschen kommen in drei Tagen aus Italien, der selbst designte Schmuck aus einer Berliner Goldschmiede - es ist ein 1000-teiliges Puzzle, das am Tag der Show etwa zwei Dutzend Looks ergeben soll. Weil sie bei Kaviar Gauche kein Hausmodel haben, steigt jetzt die Marketing-Assistentin Eva in eine der Lederröhren im Farbton Cotton Candy. "Setzen kann ich mich nicht", stöhnt sie. Die beiden Designerinnen schauen kritisch. Reicht die Länge?

Johanna Kühl, 32, und Alexandra Fischer-Roehler, 37, könnten auf den allerersten Blick Schwestern sein: beide mit langem, gescheitelten, rotblonden Haar, beide im Kaviar-Gauche-Look, also weiße Seidenbluse zur Bikerhose. Romantisch und ein bisschen rockig, das ist die Signatur der beiden Berlinerinnen. Kennengelernt haben sie sich auf der Modeschule Esmod in Kreuzberg; den Namen für das gemeinsame Label steuerte der Regisseur Oskar Roehler bei, Alexandras Mann: "Gauche Kaviar" war ein Spottwort für die Pariser Champagnersozialisten der Sechziger.

Nach der Guerilla-Aktion fand Kaviar Gauche erst international Beachtung und wurde von 2007 an auf der Berliner Fashion Week gefeiert. Aus der Nachwuchs-Ecke sind sie dann schnell rausgekommen, unter den jungen deutschen Labels gilt ihres heute als eines der wichtigsten. Nahezu die gesamte erste Garde deutscher Schauspielerinnen hat schon mal Kaviar Gauche getragen, 2010 eröffnete in Berlin der erste Flagship Store, alles lief schwer rund - mit einer Einschränkung. "Die ausländischen Einkäufer haben wir von hier aus nicht mehr erreicht", sagt Fischer-Roehler, während sie einen Ärmel zurechtzupft. "Außerdem wird man auch in Deutschland anders wahrgenommen, wenn man in Paris zeigt."

Alle wollen nach Paris

Paris, da wollen natürlich alle deutschen Modemacher hin. Aber dann sitzen bei der Show doch wieder nur Landsleute im Publikum, während die polyglotte Masse von Chloé zu Galliano spurtet. Darum haben die Designerinnen eine Pariser Agentur engagiert: Die kümmert sich nicht nur um die Platzierung auf dem Schauen-Plan, um das Casting der Models und das Equipment für die Show, sie lädt auch die internationalen Einkäufer, Stylisten und Berichterstatter ein. Die Location ist bereits gefunden, eine Kapelle im 11. Arrondissement. 150 Sitz- und ein paar Stehplätze passen da rein. "Ich seh' mich an dem Abend schon auf der Straße rumrennen und wahllos Leute reinwinken, weil nur fünf gekommen sind", sagt Johanna Kühl und lacht. Bis dahin haben sie noch ein paar Nachtschichten vor sich.

Paris, Rue Coquilière: Casting. Noch zwei Tage

Das Kaviar-Gauche-Team ist am frühen Morgen im sehr grauen Paris gelandet; mit der Marketing-Chefin, der PR-Frau, den Assistentinnen und drei Schneiderinnen sind sie insgesamt zehn Leute. Die Kollektion trifft im Kofferraum eines Wagens ein, in Plastiksäcke verpackt. Ist sie fertig? "Zu 90 Prozent", sagt Johanna Kühl. Es klingt, als ob sie sich selbst Mut macht. Ausgepackt sieht das Ganze höchst unfertig aus.

In den Räumen einer Filmproduktionsfirma im Hinterhof wartet schon Paul Louisor, der Casting-Agent. Er hat die Models bestellt, die im Lauf der nächsten Stunden vorbeischauen sollen. Der von Kaviar Gauche gewünschte Look: feine Züge, gute Haltung, stark, aber mit positiver Ausstrahlung - "und nicht zu dunkle Haare", ergänzt Kühl. "Weil der Hintergrund in der Kapelle ja schon dunkel ist."

Als eine der Ersten kommt die 18-jährige Maike Kleiber aus Karlsruhe, in der gängigen Model-Uniform: schwarze Bikerstiefel, schwarze Leggins, Lederjacke, ungeschminktes Gesicht. 20 Castings hat sie am ersten Tag der Pariser Modewoche absolviert, "heute sind es nur noch zehn". Paul greift zur Kamera.

Foto für die Panorama-Seite 1 vom 16.3.2013

Die Pinnwand-Fotos zeigen,welches Mädchen in welchem Look auf den Laufsteg geht.

(Foto: Tanja Rest)

Bitte an die Wand stellen, ein Bild von vorne, eins im Profil, zweimal auf und ab laufen, fertig, wir melden uns.

Das ist das Procedere. Wenn das Model gefällt, darf sie am nächsten Tage zum Fitting kommen. Wenn sie in den Kleidern gut aussieht, wird sie gebucht. Nur bei der Brasilianerin Giuliana Caramuto, 18 Jahre, 1,80 Meter, läuft es etwas anders. "Ja Wahnsinn", staunt Johanna Kühl, "können wir sie klonen?" "Sie ist eines der heißen neuen Gesichter der Saison", schwärmt Paul, "jeder will sie!" Giuliana darf die transparente Bluse und die Lasercut-Hose sofort anprobieren. Im Raum bessert sich die Stimmung schlagartig. Und von diesem kurzen Hoch geht es dann langsam aber sicher: abwärts.

Zehn Models brauchen sie, nach zwei Stunden waren erst fünf da. Und dabei bleibt es. Die schönsten Mädchen der Welt sind in der Stadt, aber an diesem Tag laufen sie bei Carven, Balmain und Nina Ricci und rennen zwischendurch zu anderen Castings. "Da müssen wir Casting und Fitting morgen zusammen machen", schimpft Paul. Die ruhige und sachliche Alexandra Fischer-Roehler sagt den unruhigen und unsachlichen Satz: "Es ist ein Tanz auf dem Vulkan."

Rue Notre Dame de Nazareth: Fitting. Noch ein Tag

"Wie viele Looks haben wir eigentlich?", fragt Paul. "Wie viele Looks. . .", wiederholt Johanna Kühl und blickt ins Leere, "gute Frage." Bis zur Show sind es keine 30 Stunden mehr, und wenn man überschlägt, was noch zu tun ist, kann einem jetzt doch bange werden.

Models fehlen, Chaos bricht aus

Foto für die Panorama-Seite 1 vom 16.3.2013

Im Berliner Atelier arbeitet eine Schnittdesignerin an den Lasercuts; das Oberteil eines Kleides ist schon fast fertig.

(Foto: Tanja Rest)

Es fehlen immer noch vier Models; wenn sie nicht bald kommen, fällt das Ganze flach. Welches Mädchen später welche Kleider tragen wird: noch nicht entschieden. Abänderung der Sachen auf ihre Maße hin: kommt dann noch. Die Reihenfolge, in der die Models laufen sollen, ist ungeklärt, die Haar- und Make-up-Probe verschoben, weil keiner Zeit dafür hat. In der Vierzimmerwohnung im Marais sieht es aus, als sei eine Streubombe hochgegangen. Klamotten, Stoffreste, Schuhe und Strümpfe sind überall verteilt.

Im ersten Schlafzimmer sitzt die Schnittdesignerin Katrin an der Nähmaschine, die auf einem Nachttisch steht, und kürzt den Träger eines Lasercut-Tops. Im zweiten Schlafzimmer werden Blusen aufgebügelt, im dritten fieberhaft Säume umgenäht. Auf die Frage, wie es ihr geht, sagt Alexandra Fischer-Roehler: "Cool wäre zu viel gesagt."

Im Wohnzimmer steht nun aber eine hoch aufgeschossene, aparte Erscheinung im Kaviar-Gauche-Mini plus Flauschjacke. Luca Adamik, der neue Shooting Star aus Ungarn. "Wow", flüstert jemand. Alle betrachten angenehm berührt das Model, als Pauls Handy klingelt. Schlechte Neuigkeiten: "Luca ist gerade für Jean Paul Gaultier gebucht worden." Gaultier zeigt unmittelbar vor Kaviar Gauche, womit die 19-Jährige praktisch ausscheidet. Während alle entsetzt durcheinanderreden, ballt Luca die Hand zur Siegerfaust und formt mit den Lippen ein lautloses: Yesss! "Vielleicht schicken wir einen Fahrer zu Gaultier, der sie nach der Show schnell mit dem Moped rüberschafft", überlegt Paul. "Notfalls läuft sie eben mit dem anderen Make-up." Johanna Kühl macht ein tragikomisches Gesicht: "Können wir rausfinden, was Gaultier für ein Make-up verwendet?"

Couvent des Récollets: Backstage. Noch 30 Minuten

Bestimmt fünfzig Menschen. Ein unüberschaubarer Haufen an Equipment. Tausende einzelne Handgriffe. Es gibt einen Moment an diesem Abend, wo alle diese Teile ineinandergreifen und die Maschinerie ins Rollen kommt. Unaufhaltsam.

An den Schminktischen sitzen neun Mädchen und starren auf ihre iPhones, während ein Heer von Visagisten Wangenknochen modelliert, Augenbrauen nachdunkelt, Lider bepinselt und Lippen glosst. Hairstylisten kleben Haarteile auf, Accessoires-Frauen sortieren Schuhe und Taschen. Auf einer Eckbank haben sich die Anziehhilfen niedergelassen, für jedes Model eine. In der Kapelle, wo auf jedem Platz schon ein Präsenttütchen steht, macht der Ton-Mann einen schnellen Soundcheck, oben auf seinem Gerüst testet der Beleuchter den Scheinwerfer. Im Damenklo hängt Luca überm Waschbecken und wäscht sich die Gaultier-Frisur aus den Haaren, dann richten sich drei Föhne gleichzeitig auf sie. Irgendwo schreit Paul, dass das alles so nicht geht. Und im Hinterstübchen stehen die Designerinnen vor einer Pinnwand mit 26 Fotos und sind sich über die Reihenfolge, in der die Models laufen sollen, immer noch nicht einig.

Es ist ein überwältigendes Chaos. Doch wenn man lange hinsieht, erkennt man die Ordnung darin.

Die Show beginnt

Kaviar Gauche - Runway - Paris Fashion Week

Luca Adamik auf dem Kaviar-Gauche-Laufsteg.

(Foto: dpa)

15 Minuten vor der Show ist die Kollektion beinahe fertig. Die Kleider, jedem Model einzeln auf den Leib geschneidert, hängen fein säuberlich an vier Kleiderstangen. Für einen richtigen Durchlauf reicht die Zeit nicht mehr, denn schon treffen die Gäste ein. 30 Fotografen und Kamerateams bauen sich am Ende des Laufstegs auf, mehr als 200 Zuschauer rangeln um die besten Plätze. Da sitzen: die deutsche Vogue, die Madame, die Cosmo, die Fotografin Ellen von Unwerth, die Stylistinnen von Gwyneth Paltrow und Cate Blanchett und viele internationale Einkäufer. Die letzten Nachzügler eilen vorne noch zur Tür herein, als Katrin hinten an der Nähmaschine den allerletzten Saum befestigt.

Couvent des Récollets: die Show

Um 21.10 Uhr tastet sich ein Lichtfinger durchs Dunkel. Das Raunen von Didgeridoos setzt ein, gefolgt vom Chor der Matthäus-Passion. Dann kommen sie: die lachsfarbenen und goldenen Lasercut-Hosen und -Tops, die Seidenblusen und bodenlangen Chiffonkleider, die Leder-Minis, Angorapullis und schneeweißen Kunstpelzjacken. Zehn Models für 26 Looks: Das bedeutet, dass sechs Mädchen innerhalb kürzester Zeit dreimal laufen müssen, da wird backstage beim Umziehen die Hölle los sein. Aber auf dem Laufsteg merkt man davon nichts. Kein Model kommt zu spät raus oder stolpert, die Kleider sitzen, die Kollektion hat genau die richtige Balance zwischen verspielt und cool. 15 Minuten dauert die Show. Alles geht gut.

Berlin, Torstraße: Büro. Zehn Tage danach

"Die zwei Wochen vor der Show waren sehr intensiv, wir haben uns alle wie im Tunnel gefühlt", sagt Alexandra Fischer-Roehler. "Aber danach kam das Licht. Die Euphorie von allen Seiten, das war überwältigend." Wieder zurück in Berlin schwingt schon beides mit: die Begeisterung und die Erschöpfung.

Am Morgen nach der Show hing die Kollektion bereits im Showroom, es kamen die Einkäufer, Vertriebsleute und Agenten vorbei. Läden aus London, Kuwait und Dubai haben geordert, mit den Stylistinnen von Cate Blanchett und Gwyneth Paltrow sind sie im Gespräch. Andere, die nichts bestellt haben, kennen nun immerhin das Label. Medienecho? Das japanische und das chinesische Fernsehen haben berichtet, Women's Wear Daily und Style.com nicht. Die Konkurrenz um Aufmerksamkeit ist gewaltig in Paris. "Da sind wir realistisch", sagt Fischer-Roehler, "in dieser Stadt ist Kaviar Gauche ein kleines Licht."

Die Show, so schätzen die Designerinnen, hat fast dreimal so viel gekostet wie sonst. "Aber es hat sich gelohnt", findet Johanna Kühl. Zeit zum Atemholen haben sie nicht. In München wird in wenigen Tagen ihr zweiter Shop eröffnet, die Pariser Bestellungen müssen bis August in verschiedenen Größen produziert und ausgeliefert werden. Und nach Ostern beginnt bereits die Arbeit an der nächsten Kollektion, die sie im Juli wieder in Berlin zeigen wollen. Es geht alles, irgendwie, von vorne los.

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