Jubiläum:Sitzen bleiben

Series 7 - 60th Anniversary Edition

Zum Jubiläum gibt es die "Serie 7" in neun neuen Farben.

(Foto: Ditte Isager)

Betonte Taille, schwingende Rückenlehne: Der legendäre Arne-Jacobsen-Stuhl aus der "Serie 7" wird 60 Jahre alt.

Von Julia Rothhaas

Sie sind unter uns. Und zwar im wörtlichen Sinne: im Wartezimmer in der Arztpraxis, im Besprechungsraum beim Steuerberater, sogar im Sitzkreis in der Kinderkrippe. So präsent, dass wir sie gar nicht mehr sehen. Oder wie der Kollege im Nebenzimmer, der - darauf angesprochen- verblüfft sagt: "Oh, ich wusste gar nicht, dass das ein Design-Teil ist."

Mit "Design-Teil" meint er den Stuhl aus der "Serie 7" von Arne Jacobsen, der sich seit nunmehr 60 Jahren in unseren Wohnungen und Büroräumen so verbreitet wie das Indische Springkraut im Garten. Der Stuhl mit der betonten Taille, dessen Schale aus Furnier auf ein vierbeiniges Stahlrohrgestell montiert ist, hat sich nach Angaben des Herstellers Fritz Hansen mehr als sieben Millionen Mal verkauft. Das dürfte ihn zu einem der erfolgreichsten Möbelstücke der Gegenwart machen.

Stapelbar, leicht und doch robust: Der dänische Architekt und Designer Arne Jacobsen (1902-1971) wollte Stühle schaffen, die in die immer kleiner werdenden Wohnungen passen. Dafür experimentierte er mit einer damals neuartigen Technik, bei der er schichtverleimte Furnierplatten mit Dampf formbar machte. Präsentiert wurde der "3107", die Standardausstattung, schließlich 1955 im schwedischen Helsingborg auf der H55, der Weltausstellung für Architektur, Design und Wohnen. Heute findet man ihn nicht nur im Museum of Modern Art in New York, sondern auch in der St. Dionysiuskirche in Dortmund, im Königlichen Theater in Kopenhagen oder der Centre Bakery in Tokio.

Dass der Jacobsen-Stuhl über sämtliche Geschmacksbarrieren weltweit hinweg funktioniert, liegt daran, dass Menschenhintern jeglicher Ausprägung genug Platz darauf haben und die Lehne dermaßen sachte nachgibt, dass man nicht glauben mag, gerade auf einem schlichten Holzstuhl zu sitzen. Die Auswahl an Furnieren und Lackierungen und die Option auf Drehstuhl, Barhocker oder Kindersitz vermittelt außerdem für einen Moment das Gefühl, ein Einzelstück zu besitzen. Seine so sinnlichen Formen natürlich nicht zu vergessen.

Die wurden richtig bekannt, als das britische Model Christine Keeler 1963 bei Fotoaufnahmen auf dem umgedrehten Stuhl saß und genau den Teil ihrer Nacktheit hinter der Lehne verbarg, den sie nicht öffentlich zur Schau stellen wollte. Dass es sich allerdings um eine Kopie des Originals handelte (mitunter zu erkennen an dem länglichen Ausschnitt in der Rückenlehne), störte wohl niemanden. Auch heute sind Fotografen manchmal noch der Meinung, dass Models für ein gutes Bild nicht mehr tragen müssen als den Jacobsen-Stuhl. Zu den prominentesten Absolventinnen dieser Sitzerotik gehören etwa Tina Turner und die Band Spice Girls.

Nun soll also der 60. Geburtstag gefeiert werden. Dafür hat der dänische Künstler Tal R neun neue Farben kreiert, darunter eine maskuline (dunkelblau) und eine feminine Version (zartrosa und mit 24 Karat Gold beschichteten Beinchen). So viel Klischee im Jahr 2015 hätte der Stuhl gar nicht gebraucht, aber wer weiß: Vielleicht wollte man ihn damit den Vorstellungen mancher 60-Jähriger anpassen.

Gehuldigt wird ihm auch von Designern und Architekten wie Zaha Hadid, die die Beine eines quietschgrünen Modells sanft zusammenlaufen lässt. Es gibt eine Paar-Version (zwei Stühle, die sich gegenüber stehen und durch einen kleinen Tisch miteinander verbunden sind) und eine Outdoor-Variante, die ganz ohne Beine auskommt. Die Ergebnisse werden ausgestellt, zu kaufen gibt es sie jedoch nicht.

"Im Sitzen holt sich der Mensch fremde Beine zu Hilfe", schrieb Elias Canetti. Die "Serie 7" wird diese Hilfestellung wohl weiterhin millionenfach geben. Damit hat uns der Stuhl etwas voraus: Wer kann schon von sich behaupten, mit 60 so begehrt zu sein wie eh und je?

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