Interview mit Alessandro Benetton:"Italiens Führungsklasse mangelt es an politischer Kultur"

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Das Benetton-Imperium erfindet sich immer wieder neu. Selbst Berlusconi konnte dem Unternehmen nicht ernsthaft schaden, denn die Familie hält zusammen. Mit Berlusconis Rücktritt, so hofft Konzern-Chef Alessandro Benetton, sei die Zeit vorbei, in der man sich als Italiener im Ausland ständig rechtfertigen muss. Ein Gespräch über die Schwäche Italiens, die Stärke von Familien und die Macht der Erneuerung.

Stefan Ulrich

Die Regierung Silvio Berlusconi hat ganze Arbeit geleistet, Italien international als bizarres Krisenreich zu präsentieren. Dass es auch ein anderes Italien gibt, vertreten durch seine erfolgreichen Unternehmerfamilien, daran erinnerte am Mittwoch Alessandro Benetton, als er in Paris die neue Kampagne seiner Firma vorstellte. Vater Luciano machte die Modemarke einst zu einem weltoffenen Gesicht Italiens. Heute ist der 47-jährige Alessandro Benetton Exekutiv-Vizepräsident der Holding. Er hat in Harvard studiert und in London bei Goldman Sachs gearbeitet. Verheiratet ist er mit Ski-Olympiasiegerin Deborah Compagnoni, sie haben drei Kinder. Das Image des Familienimperiums mag ein wenig in die Jahre gekommen sein, doch wie man sich neu erfindet, wissen die Benettons noch immer. Mit dem Rücktritt Berlusconis, so hofft Alessandro Benetton, sei nun vielleicht endlich die Zeit vorbei, in der man sich als Italiener im Ausland ständig rechtfertigen muss.

Alessandro Benetton leitet den Modekonzern, der sich immer wieder durch aufsehenerregende Kampagnen ins Gespräch bringt. Der 47-Jährige, der das Unternehmen von seinem Vater Luciano übernahm, glaubt an die Bedeutung der Familie. (Foto: Getty Images)

SZ: Signor Benetton, Italien steckt in einer schweren Krise, aber seine Familienunternehmen wie Benetton reüssieren weiter in aller Welt. W ie ist das möglich?

Alessandro Benetton: Familienmitglieder bringen sich besonders stark in ihre Firmen ein und entfalten eine regelrechte Passion für ihre Produkte.

SZ: Das würde man von einem guten Manager ebenfalls erwarten.

Benetton: Aber Familien haben die Möglichkeit und den Luxus, weit in die Zukunft hinein zu planen und müssen nicht in den kurzen Zyklen der Börsen denken. Zudem haben Familienunternehmen eine Kultur, eine Identität, die vom Vater auf die Kinder übertragen wird.

SZ: Wie viele ihrer Verwandten arbeiten noch im Familienimperium?

Benetton: Außer mir sind das mein Onkel, der Präsident der Familienholding, und mein Vater, der noch einige langjährige Großkunden betreut. Die Benettons aus meiner Generation haben dagegen andere Berufe. Einer betreibt seine eigene Firma, ein anderer ist Architekt, eine dritte Mutter und Hausfrau.

SZ: Trifft sich die Großfamilie noch?

Benetton: Ja, jedes Jahr am Geburtstag und am Todestag meiner Großmutter väterlicherseits.

SZ: Wie viele kommen da zusammen?

Benetton: Ungefähr 50.

SZ: Wie war es, mit einem Nachnamen aufzuwachsen, der zeitweise gefühlt auf jedem dritten Werbeplakat stand?

Benetton: Ich bin ganz normal groß geworden. Und wenn ich als junger Mann mit meinem Vater durch die Welt reiste, um unsere Geschäfte zu besuchen, dachte ich nicht an meinen Namen, sondern daran, ob die Kassen besetzt waren und die Pullover schön präsentiert wurden.

SZ: Wenn es in einem Unternehmen so wichtig ist, eine bestimmte Kultur an die nächste Generation zu vermitteln: Was haben Sie von Ihrem Vater Luciano gelernt, das Sie an Ihre Kindern wei tergeben?

Benetton: Neue Dinge mit Courage anzugehen - und den anderen die Freiheit zu lassen, ihren eigenen Weg zu gehen.

SZ: Liegt es auch an diesem Individualismus, dass die Familien in Italien so stark sind, der Staat aber so schwach ist?

Benetton: Italien hat sehr alte Wurzeln. Trotzdem ist unsere Fähigkeit, einen Staat zu formen, vielleicht noch zu wenig entwickelt. Womöglich fehlt uns tatsächlich der Teamgeist, um gemeinsame Ziele zu verfolgen. Gerade unsere Stärken als Individualisten, die sich in unseren Firmen zeigen, könnten zu dem Problem beitragen. Darüber hinaus mangelt es unserer Führungsklasse aber auch an politischer Kultur. . .

SZ: . . . die es nach dem Zweiten Weltkrieg ja durchaus gab. Denken wir etwa an Premierminister Alcide De Gasperi, einen der Gründerväter Europas.

Benetton: Aber De Gasperi war gewissermaßen kein echter Italiener. Er wurde in Österreich ausgebildet.

SZ: Sehen Sie schwarz für Italien?

Benetton: Ich habe eine Hoffnung. Die Geschichte zeigt: Große Einigungswerke entstanden immer nach Kriegen. Heute haben wir in Europa zum Glück keinen Krieg, aber doch eine sehr schwere Krise, die uns vielleicht zur Einsicht und zu neuen, besseren Regeln führt. Nicht alles Schlechte schadet, wie es in Italien heißt.

SZ: Wie fühlt man sich als Italiener, der in dieser Endzeit der Berlusconi-Ära viel im Ausland unterwegs ist?

Benetton: Als Italiener in die Welt zu reisen, war immer schwierig. Denken Sie zum Beispiel an unsere Landsleute, die in die USA auswanderten. Sie haben sich dort bewährt. Aber ja: Es war schon peinlich, in den vergangenen Jahren im Ausland unterwegs zu sein und erklären zu müssen, warum in Italien alle wissen, was zu tun wäre, dies aber nicht geschieht.

Umstrittene Benetton-Kampagne
:Küssen verboten

Aidskranke, Todeskandidaten, Kinder mit Down-Syndrom: Die Kampagnen des italienischen Modelabels Benetton erregen regelmäßig Aufmerksamkeit und erhitzen die Gemüter. Die jüngste Plakatreihe zeigt nun politische und religiöse Führungspersönlichkeiten beim Küssen - der Skandal ist programmiert.

SZ: Die Gretchenfrage: Warum haben die Italiener so oft Berlusconi gewählt?

Egal, wer gerade regiert - die Familie hat Bestand. Im Benetton-Clan werden Werte von Generation zu Generation weitergegeben. Im Bild: Luciano Benetton mit einem seiner vier Söhne, Rocco, und Enkel Primo. (Foto: N/A)

Benetton: Ehrlich, ich weiß es nicht. Ich jedenfalls habe ihn nie gewählt. Ich vermute aber, die Italiener glaubten, es gäbe keine besseren Alternativen. Heute dürfen wir nicht denken, es reiche, den Premier auszutauschen und schon werde alles gut. Es ist nie nur ein Einzelner für die Dinge verantwortlich. Es ist ein System. Unsere Probleme mit den Staatsschulden gehen bis in die 70er Jahre zurück.

SZ: Was versprechen Sie sich von der neuen Regierung unter Mario Monti?

Benetton: Dass er uns durch den reißenden Fluss führt.

SZ: Kann Italien von seinen Familienunternehmen etwas lernen?

Benetton: Langfristig zu denken und in die Zukunft zu investieren. Vor allem in die Jugend. Es macht mir Sorgen, dass es etliche junge Italiener gibt, die weder arbeiten noch studieren.

SZ: Benetton galt einmal als junge, frische Marke, als Trendsetter. Doch der Wettbewerb in der Modebranche ist extrem hart . Heute wirkt Benetton im Vergleich eher ein wenig bieder.

Benetton: Wir sind eine Dame mit einigen Falten, aber stets elegant und mit jugendlichem Geist. Eine Marke muss immer wieder neu belebt werden. Wir müssen dem viel Energie widmen, auch weil unsere Konkurrenten sehr aufmerksam sind. Wir wollen die Werte wiederbeleben, für die Benetton steht. Deswegen machen wir unsere neue Werbekampagne.

SZ: Wenige Unternehmen sind so über ihre Kampagnen präsent wie Benetton. Ihre neueste heißt "Unhate" und zeigt Fotomontagen mit Gegenspielern der Weltpolitik, die sich auf den Mund küsse n . Sehen Sie das als Konzept gegen die Krise?

Benetton: Uns ist der Dialog wichtig. Früher, als die Zeiten gut waren, haben wir mit unserer Werbung auf Probleme wie Aids oder Kinderarbeit hingewiesen. Heute haben die Menschen dagegen den Eindruck, alles laufe schlecht. Da wollen wir zeigen: Das stimmt nicht.

SZ: Und da reicht es, wenn Merkel und Sarkozy oder der Papst und ein Scheich sich öffentlich abbusseln?

Benetton: Die Kampagne soll dabei helfen, die Ansichten des Gegners, auch des Feindes, akzeptieren zu lernen, um mit ihm ins Gespräch zu kommen. Denn dazu gibt es keine Alternative.

SZ: Seit einigen Jahren wird die Benetton-Gruppe immer mehr von familienfremden Managern gesteuert. Verliert die Familie langsam aber sicher ihren Einfluss?

Benetton: Nein. Die Familie wird immer wichtig bleiben. Um im harten Wettbewerb zu bestehen, brauchen wir einerseits eine starke Führungsmannschaft professioneller Manager. Andererseits brauchen wir Weitsicht, eine Vision und intime Kenntnis der Firmengeschichte. Das alles bringt die Familie als Aktionär ein. Wir benötigen also beides: ein starkes Management und starke Eigentümer.

SZ: Wie ist ihr Verhältnis zu ihrem 76 Jahre alten Vater Luciano, der immer noch Präsident der Benetton Group ist?

Benetton: Wenn ich einen Rat brauche, dann frage ich ihn.

SZ: Aber der Chef im Hause sind Sie?

Benetton: Ja. Theoretisch zumindest.

© SZ vom 17.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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