Jasmine und Melissa Hemsley:Weiblich, ledig, jung kocht

Jasmine und Melissa Hemsley: Gehören zu den bekanntesten Vertretern der gesunden britischen Küche: die Hemsley-Schwestern.

Gehören zu den bekanntesten Vertretern der gesunden britischen Küche: die Hemsley-Schwestern.

Die Hemsley-Schwestern sind die angesagtesten Köchinnen Großbritanniens - und angeblich dafür verantwortlich, dass der Zucchini-Absatz im Land um 20 Prozent gestiegen ist. Ein Treffen in München.

Von Marten Rolff

Wenn ein Koch heute eine eigene Sendung im guten alten Medium Fernsehen bekommt, dann interessiert das in der Regel kaum noch jemanden. Außer vielleicht es handelt sich bei den neuen Gastgeberinnen um Jasmine und Melissa Hemsley, besser bekannt als Hemsley & Hemsley.

Soeben ist ihre frühlingsfrische Kochshow "Eating Well" (etwa: Gut essen) in der Primetime des britischen Fernsehens gestartet (Channel 4). Und wenn das Anlass für einige Betrachtungen gibt, dann deshalb, weil sich an den Hemsley-Schwestern geradezu exemplarisch zeigen lässt, wie fundamental sich der Kochzirkus (und mit ihm womöglich das Essverhalten) derzeit wandelt.

Anzeichen gibt es viele. Man könnte zum Beispiel einsteigen mit dem preisgekrönten Times-Reporter Robert Crampton, der die Hemsleys im März für ein Porträt zu Hause in London besuchte und mit (äußerst wohlwollender) Süffisanz nahelegte, dass die Beschreibung "studentisch" für Melissas Küchenausstattung wohl noch übertrieben ist. Melissa Hemsley, 30, wiederum erzählt einige Wochen später lachend, Crampton habe doch tatsächlich, "das muss man sich mal vorstellen", in ihrer Wohnung zum doppelten Espresso eine Zigarette geraucht, "am offenen Fenster, aber er durfte das, wir waren da ganz entspannt".

Reich an Gemüse, arm an Zucker und Kohlenhydraten

Das Verständnis von Genuss, so viel ist mal sicher, verändert sich rasant. Und mit den üppigen Gelagen vergangener Dekaden haben nicht nur die Hemsleys in ihren Rezepten gründlich aufgeräumt.

Die "Queens of Greens" (The Guardian) sind so etwas wie die Speerspitze einer ganzen Brigade zumeist junger, stets pumperlgsund wirkender neuer Kochbuchautorinnen, dank derer die Vorschauen der Verlage inzwischen daherkommen wie ein im Shabby-Chic aufgehübschstes Darm-Special der Apotheken Umschau. Die Ansätze mögen unterschiedlich sein, doch mindestens vorgeblich steht die Gesundheit bei all diesen Köchinnen im Zentrum. Ob bei der amerikanischen Green-Smoothie-Mum Victoria Boutenko, bei der britischen Star-Bloggerin Ella Woodward ("Delicously Ella") oder bei der österreichischen Lcf-Köchin ("Life changing food") Eva Fischer.

Der Stil der Hemsleys ließe sich grob als gesunde, nachhaltige Wohlfühlküche beschreiben, reich an Gemüse, arm an Zucker und Kohlenhydraten. Und wenn sie für ihre Show den legendären Sendeplatz von Jamie Oliver - (der sie klugerweise co-produziert) - bekommen haben, dann treten sie nur oberflächlich betrachtet ein großes Erbe an.

Denn selbst das britische Fernsehen, das so viele Köche weltberühmt gemacht hat, ist hier womöglich nur noch erweitertes Spielfeld für ein Duo, das über Twitter und Facebook, Pinterest und Instagram bekannt wurde. So erreichte der Kochbucherstling der Schwestern ("Natürlich gut essen") vor knapp zwei Jahren quasi aus dem Nichts sechsstellige Auflagen. Und mit dem gerade erschienenen Zweitwerk ("Einfach gut essen - jeden Tag", beide bei Edel) dürfte es auch laufen.

Kurzum: Es gibt ein paar Gründe, sich einmal mit den Hemsleys zu unterhalten und gemeinsam mit ihnen zu kochen.

Treffpunkt ist eine Showküche an Münchens Viktualienmarkt, wo die Schwestern später auch ihr Buch vorstellen. Auf dem Speiseplan steht Dreierlei vom Blumenkohl sowie ein Schoko-Himbeer-Dessert. Und wenn sie ab sofort, wo man ja nun gemeinsam Gemüse putzt, nicht mehr Melissa und Jasmine sind, sondern "bitte Mel und Jaz", dann wird sofort klar, warum Hemsley & Hemsley als Top-Profis des totalumarmenden Frontaleinstiegs gelten.

Eine der Schwestern war schon in München zum Weißwurstfrühstück

"Spaß haben" und "gesund genießen" ist Teil ihres Küchencredos, weshalb bei der Zubereitung des Dreierleis auch der klitzekleinste Granatapfelkern noch mit "amazing" komplimentiert wird. Ohnehin scheint München eine Art Heimspiel zu sein für die Schwestern, Jaz, 36, ist hier einst von ihrem Bavarian Boyfriend erst auf den Kirchturm des Alten Peter und danach zum Weißwurstfrühstück geschleppt worden, was selbstverständlich ebenfalls beides amazing war (Fleisch ist bei den Hemsleys übrigens unbedingt erlaubt).

Nach diesem Intro darf man aber nun nicht den Fehler machen, die Häme-Schiene zu fahren; die sind die Hemsleys ohnehin gewohnt von der kulinarischen Orthodoxie und von allen, die sich dafür halten. Weil die Schwestern nicht mal eine Kochausbildung haben. Weil sie als Bloggerinnen der Vogue bekannt wurden. Und weil es bei ihren Videos passieren kann, dass Jaz auf einem Wochenmarkt die Frühlingszwiebeln lobt, während die Kamera noch mit dem Blumenprint von Mels schulterfreiem Sommerkleid beschäftigt ist.

Doch all die Einwände sind nicht nur etwas wohlfeil, sie greifen auch ein wenig zu kurz. Denn sicher ist: Die Hemsleys wissen vielleicht nicht, was "Mise en Place" oder wer der französische Küchenübervater Auguste Escoffier ist (wie sie in Interviews unbekümmert zugaben). Doch dafür wissen sie womöglich besser als einige andere in ihrer Branche, wovon sie reden.

Der Dreck, den alle täglich in sich reinstopfen

Jasmine Hemsley ist jetzt damit beschäftigt, für die Nachspeise Kakao und einen Teelöffel Ahornsirup mit Kokosöl zu verrühren ("eine Prise Salz hebt die Süße, ohne dass ich Zucker brauche") - und bereits mitten in ihrem Thema: der Dreck, den alle täglich in sich reinstopfen. "Industriell erzeugtes Füllmaterial anstelle von Nährstoffen, es ist, als ob die Menschen Styropor äßen, und um den Mangel zu kompensieren, stopfen sie Styropor nach."

Die Notwendigkeit, ausgewogen zu essen, der Anstieg von Lebensmittel-Allergien bei Kindern oder die Forderung, Ernährung endlich an den Schulen zu lehren - natürlich hat man all das oft gehört, nicht nur bei Jamie Oliver. Doch bei der Generation der neuen Kochbuchautorinnen klingt es kompromissloser. Und manchmal etwas fundierter: Die Bücher der Hemsleys etwa enthalten einige populärwissenschaftliche Passagen, die Rezepte sind auf einer Art Ernährungskonzept aufgebaut.

Jasmine Hemsley kann Wohlstands-"Allergiker" lustig parodieren

Da geht ebenso um das Timing des Essens wie die fatale Wirkung von Zuchtgetreide auf den Blutzuckerspiegel oder um die gezielte Vermeidung von Transfetten oder Gluten. Das wohl wichtigste Talent der Hemsley-Schwestern aber ist, diese schwergängigen Themen fluffig, ja selbstironisch zu verpacken ("Okay, wir sind Schwestern, das ist bei unserem Job echt kitschig, aber es hat sich so ergeben, und nun ist es eben oft auch lustig").

Geht es um Ernährung, wird Jasmine sachlich und präzise, Einordnung ist ihr wichtig. Sie leitet mühelos über von der Bedeutung des Fermentierungsgrades von Tofu für die Verdauung zur Hungerkrise in Kambodscha und weiter zu den vielen selbstverliebten Mode-Allergikern, die auf Gluten verzichten, obwohl sie gar nicht wissen, was das ist. Jasmine Hemsley kann die Wohlstands-"Allergiker", die echten Zöliakie-Patienten längst auf die Nerven gehen, lustig parodieren. Anders als viele Vertreterinnen der Clean-Eating-Gemeinde haben die Hemsleys verstanden, dass man zwingend seriös und grundsympathisch auftreten und jedes Dogma, jede Bevormundung vermeiden muss, wenn man in Kleidergröße 34 bis 36 und mit dem Teint von Miss Universe über böses Getreide, miese Fette und wertvolle Antioxidantien referiert.

Melissa geht sogar so weit zu behaupten: "Unser Aussehen ist bei Auftritten gar kein Thema. Glaub mir, wenn die Leute die Wahl haben, ein Gesicht zu fotografieren oder einen Teller, dann nehmen sie den Teller." Das ist natürlich Quatsch. Aber man weiß auch - und hier greift ein Bonmot von Wolf Biermann: "Wenn jemand zu dreist lügt, nennt man das Charme."

Jasmine Hemsley hat 15 Jahre als Model gearbeitet. Und dabei den üblen Kreislauf aus nichts essen und Mist essen beobachtet. Sie begann, unabhängig zu sein, über Ernährung zu lesen und selbst zubereitete Mahlzeiten mit zu Shootings zu bringen - und wurde bald von anderen um Rat gefragt. Später holte sie ihre Schwester dazu, die im Marketing arbeitete. Gemeinsam bauten sie einen kleinen Catering-Service auf und erstellten auch Ernährungspläne für Prominente (die Namen sind Schall und Rauch). Nun ging alles schnell: Mund- und Netzpropaganda, der Vogue-Blog, die Anfrage für ein Kochbuch. "Wir wurden plötzlich so gedrängt, es war nicht leicht, den Verlagen zu vermitteln, dass es uns nicht nur um Rezepte geht, sondern auch um das Wissenschaftliche", sagt Melissa.

So wurden Hemsley & Hemsley selbst zu Bona-Fide-Prominenten für eine rasant wachsende Fangemeinde der gesunden Küche. Sie geben Ratschläge, was ein gutes Produkt ausmacht, wie Kichererbsen und Avocado einen Salat zur Mahlzeit adeln oder wie man besonders nährstoffhaltiges Gemüse zu Reisersatz hobelt. Vieles ist praktikabel, einiges davon clever, vieles war immer schon da. Wie das Kokosöl-Kakao-Dessert, das - zugegebenermaßen mit Zucker und Butterkeksen - als "Kalter Hund" von jeher ein Retroknaller auf bundesdeutschen Kindergeburtstagen war. "Tatsächlich? Ist ja irre", sagt Jasmine.

Zucchini-Absatz soll dank der Hemsleys um 20 Prozent gestiegen sein

Man muss einräumen, dass die Hemsleys damit gerade viele Menschen erreichen. Seit sie den Spiralizer bekannt gemacht haben, eine japanische Erfindung, die Gemüse zu spiralförmigem Nudelersatz dreht, soll der Zucchini-Absatz in Großbritannien um 20 Prozent gestiegen sein. Nur ein Gerücht, aber ein eindrucksvolles. "Die Ernährungsumstellung der Menschen wird groß", so prophezeien die Schwestern.

Psychologen sagen, dass es bei den neuen Foodhypes - ob nun Paleo, vegan oder lowcarb - nicht nur um Moden, Nachhaltigkeit und Gesundheit geht, sondern auch um Zugehörigkeit. Weil der Follower in Zeiten, in denen Religion, Familie und gemeinsames Essen wegbricht, nach Struktur sucht. Was wäre da geeigneter als das ethisch vertretbare Konzept einer netten Foodfamilie? Sollte das stimmen, dann passt dazu, dass die Hemsleys gern in dem kleinen Lokal vorbeischauen, dass sie gerade im Londoner Nobelkaufhaus Selfridges eröffnet haben. Auch weil Gäste sich über einen Plausch und ein Selfie freuen.

Am Ende werden in München für das Dreierlei vom Blumenkohl (mit Halumi-Käse, als Taboulé und mit Huhn und Rührei) natürlich Tische zum gemeinsamen Mahl zusammengeschoben. Es schmeckt gut, und das, so erzählen die Schwestern, fand auch die philippinische Verwandtschaft, der Mutter Hemsley (der Vater ist britischer Offizier) den "Blumenkohlreis" kürzlich nahezu unbemerkt unterjubelte.

Der Verzicht (in dem Fall auf Reis), auch das ist ein wiederkehrender Topos der neuen Nischenküchen, darf nie als solcher benannt werden. Als man Jasmine und Melissa zum Abschied ein gutes Lokal um die Ecke empfiehlt, da lachen sie: "Danke, aber die Buchvorstellung geht sicher bis 20 Uhr, danach ist es für Abendessen zu spät."

Machen wir uns also nichts vor: Auch das schlechte Gewissen sitzt jetzt immer häufiger mit am Tisch.

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