Haute Couture in Paris:Hinter dem Spalier der Funktionsjacken

Paris Fashion Week

Die Welt braucht die hohe Schneiderkunst noch, unbedingt!, könnte man nach den Schauen in Paris rufen: Valentino-Präsentation.

(Foto: Francois Mori/AP)

Irgendwie passt die Maßschneiderkunst einer Handvoll Modeschöpfer nicht mehr ins wahre Leben. Aber wer bei den Haute-Couture-Schauen das ganze Theater drumherum ausblendet, der sieht: die schönsten Kleider der Welt.

Von Julia Werner, Paris

Es regnet in Strömen. Trotzdem hat sich am Trocadero, wo man den besten Blick auf den Eiffelturm hat, ein Menschenspalier gebildet. In der ersten Reihe stehen schöne Männer in schwarzen Anzügen mit Regenschirmen, damit Gäste wie Sophia Loren und Kate Hudson möglichst trocken und gepudert zu den Pariser Couture-Schauen kommen. Und, wichtiger: die Damen, die sich noch Haute Couture leisten.

Das werden immer weniger, das Verständnis von Luxus wandelt sich. Der Trend geht eher nicht zu Kleidern, für deren Pflege man Personal abstellen muss. Das Traditionshaus Givenchy hat sich aus der Haute Couture zurückgezogen, Sneakers verkaufen sich leichter. Das Spalier der Funktionsjacken, das am helllichten Tage auf Frauen in Abendroben trifft, ist ein gutes Bild dafür, wie Haute Couture, die Maßschneiderkunst einer Handvoll Modeschöpfer, ins wahre Leben passt: gar nicht. Und das ist natürlich gut so.

Wenn Zehntausende Lilien zum Vorhang werden, der nur mittels eigens herbeigeschaffter Befeuchtungsanlagen die paar Stunden Show übersteht, so wie bei Dior, oder wenn der ganze Laufsteg aus Pelz besteht, so wie bei Versace, dann geht es um eine Demonstration der Macht. Also, brauchen wir sie noch, die Haute Couture? Unbedingt!

Christian Dior: Runway - Paris Fashion Week : Haute-Couture Fall/Winter 2014-2015

Dior-Schau in Paris: Immer weniger Reiche leisten sich Haute Couture. Braucht die Welt die hohe Schneiderkunst überhaupt noch?

(Foto: Pascal Le Segretain/Getty Images)

Die Haute Couture als Kreativlabor der Modehäuser

Die hohe Schneiderkunst ist eine Traumwelt, in der kilometerweise Seide per Hand plissiert und Kilos von Perlen auf Stoffe genäht werden, wochen-, monatelang. Es geht dabei um viel. Die Petites Mains, die Schneiderinnen, sind das Herzstück eines Mikro-Industriezweigs, der historische Feder-, Stickereien- und Hutateliers am Leben hält. Die Haute Couture ist einerseits eine Art Stiftung für bedrohte Kunsthandwerke, andererseits ein Kreativlabor für die viel lukrativeren Ready-to-Wear-Kollektionen der Modehäuser. Haute Couture beeinflusst also auch die Garderobe des Alltags: Iris van Herpen zum Beispiel experimentiert mit 3-D-Druckern. Solche Visionen sind kostspielig, deswegen gehen sie nur in der Haute Couture. Noch. Irgendwann werden sie Massenprodukt sein.

Aber nicht alles ist so zukunftsweisend. Das aufwendig auf den Körper geschneiderte Kleid, ohne Schnittmuster, scheint aus der Zeit gefallen. Karl Lagerfeld lässt sich deshalb von Le Corbusier inspirieren und zeigt erstmals Entwürfe, die auf die Haute-Couture-Spezialität des Seamstressings komplett verzichten. Sie sind aus einem Stück gemacht.

Die neue Couture-Kundin, die Asiatin, trägt riesige Diamantencolliers um zehn Uhr morgens, was eher den Charme von Eisprinzessinnen beim Warten auf die Notenvergabe versprüht als wahre Eleganz. Die sonst so versnobten Pariser Modegötter schauen großzügig darüber hinweg. Denn die Eisprinzessinnen haben Fittings in den Ateliers vereinbart, bei denen sie sich Kleidung aussuchen werden, die manchmal Hunderttausende von Euro kostet. Und weil die ziemlich spitze Zielgruppe für Extravaganzen nun schon mal da ist, nehmen die Juweliere die Haute-Couture-Woche gleich zum Anlass, ihre Haute Joaillerie zu präsentieren. Bei Chanel fliegen dann Millionen-Colliers durch die Luft, bei Piaget werden aus Diamanten wunderschöne Krägen gemacht. Oligarchengattinnen sind die neuen Mäzeninnen der Mode.

Vallis Kundschaft ist eine Mischung aus jungem Adel und schönen Kosmopolitinnen

Vor lauter Champagner und Botox kann einem hier auch schon mal schlecht werden. Aber wer das ganze Theater ausblendet, die dicke Schicht Drama in Form bescheuerter Kopfbedeckungen und exzentrischer Make-ups imaginär abkratzt, der sieht: die schönsten Kleider der Welt. Bei Armani verbergen sich unter Netzschleiern mit Punkten glitzernde Abendroben, die so perfekt gemacht sind, dass sie zu zerfließen scheinen. Volant-Capes aus fingerdickem Piqué schwingen am Rücken im Einklang mit passenden kurzen Röcken. Die Kollektion in Schwarz und Rot wirkt wie eine Hommage an all die asiatischen Kundinnen im Publikum. Sie ist nicht visionär. Aber sie ist zum Anziehen da.

Paris Fashion Week

Die Welt braucht die hohe Schneiderkunst noch, unbedingt!, könnte man nach den Schauen in Paris rufen: Valentino-Präsentation.

(Foto: Francois Mori/AP)

Im Gegensatz zu Schiaparelli, dem vom italienischen Schuh-Unternehmer Diego della Valle wieder zum Leben erweckten Label. Das ist ganz großer Zirkus, mit Eichhörnchen auf großartigen Abendkleidern, einer Bolero-Jacke aus Weihnachtsbaum-Lametta. Und die breiten Schultern hätten der Dreißigerjahre-Feministin Elsa Schiaparelli gefallen. Aber wollen Frauen so aussehen? Es sind die Kundinnen, an denen man die Modernität einer Haute-Couture-Marke schon vor der Show ablesen kann.

Bei Giambattista Valli kaufen jedenfalls weniger supergeliftete Amerikanerinnen als bei den Status-Labels. Vallis Kundschaft ist eine Mischung aus jungem Adel und schönen Kosmopolitinnen, die sich auch die Kunstsammlung zu Hause eher selber verdient haben. Die Frau, die im Grand Palais im Zickzack über den Laufsteg stolziert, ist superelegant, aber keine entrückte Göttin. Sie trägt Shift-Dresses aus theatralisch drapiertem Streifenstoff, der an Männerhemden erinnert. Oder gleich sein Pyjamahemd zu ihrem Robenrock von der Party am Abend davor. Breite Fifties-Röcke oder enge, transparente Kleider mit Stickereien in Pink- und Gelbtönen - es ist dieser Mix aus Lady-Eleganz und It-Girl-Sexyness, der Vallis Kollektion so zeitgemäß erscheinen lässt. Genau so wollen Frauen heute aussehen.

Und, natürlich, so wie bei Dior: Raf Simons zeigt genau die richtige Mischung aus Dior-Verneigung und eigenem Stil. Es ist die beste Kollektion des Belgiers, seit er die kreative Leitung übernommen hat. Ja, reich sein wäre schön, nur, um diese Kleider zu tragen. Und dann erscheint auf dem Vampir-Laufsteg von Jean-Paul Gaultier Conchita Wurst - in einem schwarz-roten Brautkleid zu Marilyn Mansons Tainted Love. Großer Jubel. Brauchen wir Haute Couture? Unbedingt!

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