Handwerk Gemüseschnitzen:Im Kürbis steckt ein Drache

Handwerk Gemüseschnitzen: Ein Drachen aus Kürbis: Das Handwerk des Thai Carving wird auch in Deutschland populär.

Ein Drachen aus Kürbis: Das Handwerk des Thai Carving wird auch in Deutschland populär.

(Foto: Wannaporn Stehr)

Schwäne und Rosen aus Rettich und Mango: Beim "Thai Carving" entstehen Skulpturen, die mehr als nur Zierde sind. In Asien gehört das Handwerk zur Grundausbildung von Köchen.

Von Laura Hertreiter

Vor einigen Jahren saß Xiang Wang zwei Tage lang über einen Rettich gebeugt. Er schälte, schnitt und schnitzte, bis er das Gemüse in einen filigranen Pfau verwandelt hatte. Es war eines der aufwendigsten Werke des Chinesen, und er gewann damit den zweiten Weltmeistertitel im Obst- und Gemüseschnitzen. Später entwickelte Wang den Rettichvogel weiter zu einem noch imposanteren Pfau aus Kürbis mit Zucchinigefieder.

Thai Carving heißt das Handwerk, Wang hat mehrere Bücher darüber geschrieben, in denen er erklärt, wie die Mango zur Rose wird und der Hokkaido zum Adler. Auf einer Skala zwischen Kitsch und Kunst ist in seiner Disziplin alles vertreten, wie Melonen-Mickymäuse, Rettichschwäne und Kürbis-Kakadus auf einschlägigen Hotelbuffets, aber auch filigrane Schnitzereien bei internationalen Wettbewerben beweisen.

Für Wang ist Thai Carving eine Kunst mit langer Tradition. Wo genau sie ihre Wurzeln hat? In China natürlich, sagt Wang. Während der Tang-Dynastie, 618 bis 907 nach Christus, sei derlei Garnitur von Speisen weit verbreitet gewesen. Aber auch andere asiatische Länder beanspruchen die Urheberschaft des Handwerks für sich. Allen voran Thailand. Dort schaukeln zum traditionellen Lichterfest Loi Krathong seit Jahrhunderten im Herbst Flöße mit Bananenblättern, Blumen, Kerzen und opulenten Obst- und Gemüseschnitzereien über die Flüsse, um Ärger und Groll zu vertreiben.

Gemüseschnitzen Teil der Koch-Ausbildung

Der Legende nach soll vor 700 Jahren zu diesem Anlass eine talentierte Hofdame erstmals geschnitzte Früchte für ein Floß gefertigt haben. Als der König den prächtigen Schmuck sah, befahl er, dass die Kunst ab sofort am Königshof gelehrt werden solle.

In Thailand und Vietnam sind die meisten Schnitzer auf Blütenmotive spezialisiert. Seerosen, Lilien, Lotus, Jasmin. So auch die Thailänderin Wannaporn Stehr, die eine Thai-Carving-Schule in der Lüneburger Heide führt und das Handwerk wie Wang im größeren Stil nach Deutschland importieren will. Der Boom der asiatischen Küche hierzulande mache sich auch beim Anrichten der Teller bemerkbar, sagt sie. Nicht nur asiatische Restaurants und Hotels schicken ihr Personal in ihre Kurse. Anders als hierzulande ist die Schnitzerei in asiatischen Ländern Teil der Grundausbildung von Köchen.

Handwerk Gemüseschnitzen: Eine Papaya wird dank Thai Carving zum Blüten-Relief.

Eine Papaya wird dank Thai Carving zum Blüten-Relief.

(Foto: Wannaporn Stehr)

In China werden hauptsächlich Tiere und mythologische Figuren geschnitzt. Wangs Lieblingsmotiv ist der Drache. Er fertigt das mythologische Wunderwesen aus Kürbis, schnitzt feine Zähne aus Rettich und steckt alles zusammen. Je filigraner die Figuren, desto mehr Übung und Geduld sind erforderlich. Ein falscher Schnitt, und aus der Arbeit von Stunden wird Kompost.

Chirurgische Feinarbeit

Wer sich an der asiatischen Schnitzkunst versuchen will, braucht ein scharfes Messer - idealerweise ein Thai-Carving-Messer mit schmaler, spitz zulaufender Klinge - und festes Obst oder Gemüse. Wannaporn Stehr lässt die Teilnehmer ihrer Anfängerkurse anfangs Blätter aus knackigen Gurken schnitzen. "Der Klassiker aber ist die Wassermelone, weil sie dreifarbig ist." Je nachdem, wie tief man schnitzt, ist rotes Fruchtfleisch, weiße Haut oder grüne Schale sichtbar. Die obere Hälfte einer Melone in ein dreifarbiges Blütenmeer zu verwandeln, dauert etwa drei Stunden.

Geschnitzt wird zu Beginn meist nach Designvorlagen. Profis schnitzen frei Hand. Xiang Wang besitzt ein Ledermäppchen mit 26 verschiedenen Werkzeugen, ähnlich dem eines Chirurgen. Halbrunde Messer, Spachtel mit Rillen, spitze Metallstäbe. Rosen könne man mit einem normalen Küchenmesser schnitzen, sagt er, für Drachen und Vögel brauche man Spezialwerkzeug. Damit wird geschnitten, geschnitzt, geschält, gemeißelt und gesteckt. Thailänder verzichteten auf solche Hilfsmittel, im Gegensatz zu Chinesen arbeiteten sie nur mit Messern. Die fertigen Werke halten im Kühlschrank eine gute Woche. Auch Xiang Wangs zwei Tage lang geformter Rettichpfau begann dann zu welken.

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