Geschmackssache:Die Reine

Bratreine mit Essensresten und Tranchierbesteck
(Foto: Jonathan Gregson/StockFood)

Die Reine ist eine Form für den Ofen und damit zuständig für Bodenständiges wie Auflauf oder Braten. Doch weil nostalgische Küchenpoeten mehr in ihr sehen, ist sie plötzlich ein Symbol für viel mehr. Was für eine Karriere!

Von Anne Goebel

Allein der Name: Reine. Klingt das nicht verlockend ländlich, nach Essen am Eichenholztisch? Kulinarischer Wortschatz hat eine eigene Faszination, der Bestseller-Lieferant Martin Suter hat in seinem Roman "Der Koch" Menüfolgen wie Sonette intoniert: "Ingwer-Pfeffer-Müschelchen" oder "Mangoschaum", Begriffe, die auf der Zunge zergehen. Zugegeben: Die Reine, eine schlichte Form für den Ofen, steht eher für grundsolide Kost. Für Braten, Geschmortes, Überbackenes. Und doch stecken hinter der bescheidenen Rückkehr der Reine in unsere Küchen, auf perfekt arrangierte Kochbuch-Seiten im Shabby-Look natürlich mehr als praktische Gründe. Es geht um das Bild, für das der Bräter steht - so muss man das gesamtdeutsch wohl ausdrücken. Aber Bräter darf man nicht mehr sagen, von der Fettpfanne zu schweigen. Seit die Retrowelle rollt, ist die so viel einladendere südliche Wortvariante die einzig zulässige. Reine steht für Patina-Schmuckstücke aus weißem Steinzeug, abgewetztem Metall oder emailliertem Gusseisen mit Gebrauchsmacken. Sie nährt die Vorstellung von breiten Tafeln, gedeckt für viele Esser, smarte Telefone sind weit weg, in der Mitte das Gefäß, aus dem sich alle bedienen wie früher. Der Wunsch nach Ursprünglichkeit in der Küche scheint unstillbar groß zu bleiben. Erfreulich ist, dass wenigstens Traditionshersteller davon profitieren. Ach, wie herrlich und traditionell wären jetzt zum Beispiel Ofenschlupfer, ein simpler süßer Auflauf aus Brotresten, Zucker und Milch. Aber Vorsicht: Im designorientierten Detox-Single-Haushalt schlägt der schnell ein wie eine Bombe. Erschreckend real.

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