Gault&Millau:Ein Unspektakulärer wird "Koch des Jahres"

Koch des Jahres Andreas Krolik

Sternekoch Andreas Krolik vom Frankfurter Restaurant "Lafleur".

(Foto: dpa)

Andreas Krolik, Küchenchef im "Lafleur" in Frankfurt, macht aus dem Zubereiten keine Show. Vieles auf der Karte kommt dem Gast bekannt vor - und schmeckt doch ganz anders.

Von Marten Rolff

Wenn die deutsche Spitzenküche in den vergangenen 20 Jahren so viel besser geworden ist, dann hat das - wie jeder Boom - auch Schattenseiten: Das Getöse um die Köche ist mittlerweile so beachtlich, dass manche von ihnen sich fragen, wann sie denn noch an den Herd kommen. Die Menüs sind mitunter so kompliziert, dass die Erklärungen dazu das Essen kalt werden lassen und mancher Teller in einer Jackson-Pollock-Ausstellung nicht groß auffallen würde. In einem solchen Klima wird natürlich kopiert, dass es kracht: alles, was als schick gilt. Übertragen auf den seit Jahren andauernden Regionaltrend heißt das etwa, dass einige Kellner sich ihre Bärte hinzauseln, als hätten sie beim Pilzesammeln im Wald genächtigt; in dem Aufzug präsentieren sie dann niedrig gegarten Schwarzwurzel-Eintopf als Gemüse-Innovation des Jahres.

Man kann die Mahnung also nachvollziehen, mit welcher der Gastroführer Gault&Millau seine an diesem Dienstag erscheinende Ausgabe für 2017 beginnen lässt. Die Köche sollen sich doch bitte wieder mehr auf das Wesentliche konzentrieren - und das ist für die Restaurantkritik selbst im Instagram-Zeitalter immer noch: der Geschmack.

Ein Gericht sei dann perfekt, "wenn man nichts mehr weglassen kann", so heißt es bereits im Vorwort in Abwandlung eines Zitats von Bar-Legende Charles Schumann. Weniger ist mehr, findet also der Gault&Millau, denn manches Menü gleiche heute "eher einem Schaulaufen von Küchentechniken" als dass es dem Genuss diene. Wie es besser geht? Zum Beispiel ein Hauptprodukt, flankiert von zwei, drei klug gesetzten Aromen, fertig. Weniger Effekthascherei, weniger Tupfer-Firlefanz auf den "Streber-Tellern"; dafür mehr Handwerk, etwa bei den Soßen, die leider - so bedauert die Restaurant-Fibel - bei einigen Köchen zu verschwinden drohten.

Er entwickelt seine Gerichte nicht am Herd, sondern oft nachts im Bett

So richtig das klingen mag, ein wenig scheinheilig ist diese Mahnung, nebenbei bemerkt, natürlich auch. Weil die großen Gastroführer, die bei uns stets im November erscheinen, ein Stück weit in der Falle sitzen: Die Restaurantkritik braucht kulinarische Trends, den Hype um Köche, das Wachstum der Szene, denn all das nährt auch die eigene Bedeutung. Doch angesichts schmaler Budgets, knappsten Personals und der wachsenden Konkurrenz im Netz ist es längst unmöglich, die Geister, die man rief, zu kontrollieren. Wo die Chefs von Gault&Millau, Michelin oder auch dem Feinschmecker in den damals gerade mal zwei, drei Dutzend Spitzenküchen früher nur den Daumen zu heben oder zu senken brauchten, müssen heute auch die erfahrensten Kritiker froh sein, wenn sie so etwas wie Überblick bewahren. Und wenn sie mit ihren Bewertungen ein möglichst eigenständiges Profil aufbauen, ohne sich zu sehr vom Mainstream zu entfernen.

Der Gault&Millau hat mit dem Titel "Koch des Jahres" weiterhin eine der wichtigsten Auszeichnungen der Branche zu vergeben. In diesem Jahr geht sie konsequenterweise an einen Küchenchef, der seine Exzellenz nicht nur mit Disziplin (ohne geht es ja nicht), sondern auch mit Bodenhaftung und Bescheidenheit zu verbinden weiß: Andreas Krolik, 42, vom Restaurant "Lafleur" in Frankfurt/Main. Krolik ist erst im Frühjahr 2015 vom Tiger-Gourmetrestaurant mit neuer Mannschaft an den Herd des "Lafleur" gewechselt und hat sich nun endgültig in die absolute Spitze des Landes gekocht. Er freue sich riesig, sagt er artig, danke seinem Team, aber ansonsten seien Titel "nichts zum Ausruhen".

Andreas Krolik stammt aus dem Südharz in Sachsen-Anhalt, hatte keinen berühmten Mentor und keine spektakulären Ausbildungsstationen. Erste Aufmerksamkeit erweckte er als Küchenchef in Brenner's Parkhotel in Baden-Baden (ab 2004). Er stehe lieber in der Küche, als Events zu besuchen oder Interviews zu geben, sagt er. Er möge Geradlinigkeit, eine zeitgemäß interpretierte Küche auf klassischer Basis, die aber nie erwartbar sein dürfe. "Wenn einem Gast auf der Karte vieles bekannt erscheine, er aber danach sagt, dass es doch überraschend anders gewesen sei, dann bin ich zufrieden", erklärt Krolik. "Schließlich kann ich die Dinge als Koch zwar weiterdenken, aber nicht neu erfinden."

Krolik nimmt den Regionaltrend wirklich ernst

Der Gault&Millau attestiert Andreas Krolik eine enorme Feinfühligkeit bei den Aromen und die Fähigkeit, zunächst einfach wirkende Gerichte mit extremer Spannung aufzuladen. Der Koch biete "jedem Gast ein Optimum an Geschmack", seine Küche komme "nie wuchtig oder effektheischend daher, entfaltet am Gaumen aber geradezu explosive Kraft". So habe der Koch "eines der komplexesten Gerichte der Testsaison" präsentiert: Brust, Keule und geschmortes Confit vom Schwarzfederhuhn, dazu ein pochiertes, auf weißem Bohnenpüree thronendes Bio-Ei, Bohnenkrautsalat, alles umspielt von konzentriertem Geflügel-Dashi-Sud. Die Reduktion aufs Wesentliche, so viel ist klar, bedeutet natürlich nie ein Weniger an Komplexität.

Krolik erklärt, er nähere sich einem Gericht über eine Hauptkomponente, auf der er dann lange herumdenke, "meistens nachts". Probiert er es das erste Mal aus, sei es bereits "von vornherein geschmacklich komplett zusammengebaut". Er gilt als hervorragender Gemüsekoch, wobei er von seiner Herkunft als "Kind vom Lande" geprägt wurde, die Familie unterhielt große Gärten und beschäftigte sich mit Viehzucht. Seine Hobbys sind Angeln und Pilze.

Obwohl er in der Großstadt Frankfurt arbeitet, muss man Andreas Krolik zu den Köchen zählen, die den vielerorts nur müde durchdeklinierten Regionaltrend und die Farm to Table-Bewegung wirklich ernst nehmen. Zum Vorteil der Gastronomie. So haben Restaurants wie das Berliner "Einsunternull" Einweck- und Fermentiertechnik perfektioniert, um Gästen das ganze Jahr über Hochwertiges aus Brandenburg (milchsauer vergorenen Spargel) zu servieren. An der Müritz zeigt man den Fischern japanische Schnitte, um die Qualität von Saibling und Forelle zu verbessern. Und in Lokalen wie dem "Sosein" in Franken verfügen sie heute nicht nur über eigene Nutzgärten, sondern auch über ein Netz aus Bauern und Kleinstproduzenten, das internationale Vergleiche nicht scheuen muss.

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